Maskenpflicht wegen Covid-19: »Lächeln können wir hören«
In Deutschland gilt seit dem 27. April 2020 an vielen Orten eine Maskenpflicht. Um die Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 zu verlangsamen, ist es geboten, beispielsweise in Bus und Bahn, beim Einkaufen oder Arzt einen Mundschutz zu tragen. Wie verändert das die Kommunikation? Beeinträchtigt der Mundschutz das soziale Miteinander? Und wie ist eine Maske eigentlich richtig zu tragen? Die Mimik- und Emotionsforscherin Ursula Hess liefert Antworten im Interview.
Spektrum.de: Wer eine Maske korrekt trägt, bedeckt damit Nase und Mund – die Hälfte des Gesichts wird dadurch unkenntlich. Wie beeinflusst das die Wahrnehmung des Gegenübers?
Ursula Hess: Ob die Person einen positiven oder negativen Eindruck macht, hängt vor allem davon ab, wie Sie das Tragen von Masken bewerten. Sind Sie ein Mensch, der die aktuellen Schutzmaßnahmen übertrieben findet, erscheint Ihnen das Gegenüber vielleicht leichtgläubig, wenn nicht gar dumm. Trägt jemand die Maske hingegen aus Überzeugung, begegnet er dem Gegenüber vermutlich wohlgesonnener.
Oft hilft es, Menschen anzulächeln, um eine Situation zu entspannen. Ein Lächeln zu erkennen, fällt mit dem Mundschutz deutlich schwerer …
Das würde man vermuten. Aus einer unseren Studien, die demnächst veröffentlicht wird, wissen wir jedoch, dass das so nicht stimmt: Menschen erkennen Gefühlsausdrücke nicht wesentlich schlechter, wenn Mund und Nase verdeckt sind. Beim echten Lächeln bewegt sich nämlich nicht nur der Mund, es kontrahieren auch der große Jochbein- sowie der Augenringmuskel. Dadurch heben sich die Mundwinkel, und um die Augen entstehen die typischen Lachfältchen. Um Gefühle zu erkennen, reichte im Test zumeist die Augenpartie. Wir haben das mit Schals, Niqabs und Masken untersucht. Verwechslungen gab es nur in Einzelfällen.
Bei welchen Gefühlsausdrücken kam es dazu?
Furcht und Überraschung. Beides Gefühle, bei denen wir die Augen in der Regel weit aufreißen. Den entscheidenden Unterschied liefert die Mundpartie. Furcht äußern wir über einen breit gezogenen Mund; sind wir überrascht, machen wir ihn auf. Werden Mund und Nase verdeckt, können wir diesen Unterschied nicht sehen. Dass wir selbst subtile mentale Zustände, wie etwa Nachdenklichkeit an der Augenpartie erkennen können, zeigt auch der »Reading Mind in the Eyes«-Test des britischen Psychologen Simon Baron-Cohen.
Ein Test, der ursprünglich zur Diagnose von Autismus entwickelt wurde.
Genau. Da Menschen mit Autismus sich weniger gut in andere Menschen einfühlen können und Blickkontakt meist meiden, bittet man die Testpersonen, sich Bilder unterschiedlicher Augenpartien anzuschauen und ihnen die richtigen Gefühlszustände zuzuordnen. Das Spannende: Menschen, die nicht autistisch sind, schneiden bei diesem Test sehr gut ab. Unsere Empathiefähigkeit schränken Masken also nicht wesentlich ein.
So tragen Sie die Maske richtig
Das Coronavirus Sars-CoV-2 verbreitet sich vor allem über Tröpfchen, etwa beim Sprechen, Husten und Niesen. Ein Mundschutz kann potenziell infektiöse Partikel abfangen. Die Bedeckung schützt also in erster Linie wenn überhaupt nicht den Träger, sondern das Gegenüber. Um den größtmöglichen Schutz zu erreichen, empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA):
- Die Maske sollte beim Tragen Nase und Mund bis zum Kinn bedecken; die Ränder müssen möglichst eng anliegen.
- Waschen Sie sich vor dem Anlegen gründlich die Hände. Am besten mit Seife für mindestens 20 Sekunden. Das mindert das Risiko einer Schmierinfektion, also die Gefahr, sich über die Hände mit Krankheitserregern anzustecken.
- Fassen Sie die Maske während des Tragens möglichst nicht an. So verhindern Sie, dass Erreger, die sich auf der Außenseite festgesetzt haben, an Ihre Hände kommen.
- Ist ein Mundschutz feucht geworden (etwa durchs Atmen), sollten Sie ihn wechseln. Denn: Je feuchter die Maske, desto weniger Barriere bietet sie. Außerdem siedeln Keime sich im Feuchten leichter an.
- Achten Sie beim Abnehmen darauf, die Ränder nicht anzufassen. Dort sitzen die meisten Erreger. Nutzen Sie stattdessen die Laschen oder Schnüre an den Seiten.
- Haben Sie den Mundschutz ablegt, heißt es erneut: die Hände gründlich mit Seife waschen.
- Bis zum nächsten Tragen bewahren Sie die Mund-Nasen-Bedeckung luftdicht auf (etwa in einem separaten Beutel). Noch besser ist es, sie gleich bei 60 bis 95 Grad in der Waschmaschine mit einem Vollwaschmittel zu waschen. Das Coronavirus Sars-CoV-2 ist nämlich hitzeempfindlich und wird durch solch hohe Temperaturen abgetötet.
Wichtig: Eine Maske zu tragen, ist nur ein Teil des Schutzes. Hände waschen, in die Armbeuge niesen und Abstand halten kann sie nicht ersetzen. Mehr Informationen – etwa eine Übersicht über die verschiedenen Maskenarten und ihre Handhabung – gibt es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Die Supermarktkasse ist kein Labor. Lassen sich solche Experimente auf den Alltag übertragen?
Unsere Studien zeigen erstmal, dass wir zum Erkennen von Emotionen nicht auf den Mund unseres Gegenübers angewiesen sind. An der Supermarktkasse, beim Bäcker oder auf der Straße gibt es sogar einen entscheidenden Vorteil: Menschen begegnen sich mit dem gesamten Körper. Ob eine Person traurig, ärgerlich oder fröhlich ist, drückt sie schließlich nicht nur über die Mimik aus, sondern auch über die Art, wie sie sich bewegt und redet. Und nicht nur das: Ob jemand lächelt oder ernst schaut, ist auch zu hören.
»Ein ernst schauendes Gesicht klingt dunkler als ein Lächeln«
Wie hört sich ein Lächeln an?
Es klingt hell. Das kommt daher, dass die Mundform die Modulation unserer Stimme verändert. Ein ernst schauendes Gesicht klingt hingegen dunkler.
Emotionen zu erkennen, ist eine Sache. Die andere ist das Fühlen. Sehen wir eine Person lächeln, sorgen Spiegelneurone dafür, dass wir ebenfalls lächeln – zumindest innerlich. Sind wir schlecht gelaunt, fühlen wir uns dadurch oft besser. Funktioniert das auch mit Maske?
In der Forschung nennen wir das »soziale Mimikry.« Gemeint ist damit, dass Menschen dazu tendieren, das Verhalten des Gegenübers zu imitieren: Überschlägt er die Beine oder legt nachdenklich sein Kinn in die Hand, tut der andere das oft auch. Durch dieses Sich-gegenseitig-Spiegeln bewerten wir die Interaktion insgesamt positiver und fühlen uns dem anderen näher. Ein Mensch, der nicht imitiert, vermittelt das Gefühl, in unserer Beziehung würde etwas nicht stimmten. In der bereits angesprochenen Studie, imitierten Menschen das Lächeln des Gegenübers selbst dann, wenn Mund und Nase verdeckt waren.
Masken scheinen allerdings durchaus einen Eindruck zu hinterlassen: In Hongkong hat ein Team untersucht, wie sich das Tragen von Masken auf die Arzt-Patienten-Beziehung auswirkt. Mit Mundschutz schätzten die Patienten ihren Arzt als weniger empathisch ein.
Hier sind wir wieder bei den Einstellungen, mit der wir einer Person mit Mundbedeckung begegnen. Auch in unseren Studien schätzten die Probanden Personen mit Maske als »kälter« ein, trugen sie einen Schal, empfanden sie das Gegenüber als vergleichsweise »wärmer«. Das liegt vermutlich daran, dass viele Menschen sich Ärzte nach wie vor als distanziert und tendenziell weniger emotional vorstellen – allen voran Chirurgen. Die selbst genähten Masken, die mittlerweile viele tragen, dürften eher wie Schals wahrgenommen werden.
Welche Wirkung hat das Tragen von Masken auf Kinder? Sie erfassen Emotionen schließlich noch nicht so gut wie Erwachsene.
Kinder im Grundschulalter stehen uns Erwachsenen im Erkennen von Gefühlen tatsächlich kaum nach. Für Kleinkinder ist der Anblick von Körpern und Gesichtern, die irgendwie anders aussehen, ungewohnt und dadurch stressig. Viele Babys weinen deshalb, wenn sie das erste Mal einen Menschen mit Bart sehen. Sind Nase, Mund und Kinn plötzlich weg, wird sie das irritieren.
»Kleinkinder lernen schnell und werden sich an die neue Situation gewöhnen«
Was können Eltern tun?
Sie können ihren Nachwuchs spielerisch mit der Maske vertraut machen. Etwa indem sie sich die Maske erstmal nur kurz vors Gesicht halten und dann wieder wegnehmen. Kleinkinder lernen schnell und werden sich an die neue Situation gewöhnen. Anders ist es bei Menschen, die nur sehr wenig oder nicht hören können. Sie sind oft auf das Lesen von Lippen angewiesen. Entsprechend ist die aktuelle Situation eine Herausforderung. Einzelne Initiativen stellen mittlerweile zwar Masken her, die um den Mund herum transparent sind. Ob diese sich in der breiten Bevölkerung durchsetzen, bleibt jedoch abzuwarten.
Können Masken unser soziales Miteinander verbessern?
Ja, indem wir sie als Zeichen der Solidarität werten. Wenn wir im Mundschutz einen Ausdruck gegenseitiger Fürsorge sehen, rücken wir emotional näher zusammen. Das schafft ein Gefühl von Gemeinschaft und gibt uns vielleicht ein Stück Sicherheit zurück, die manche durch die außergewöhnliche Lage womöglich ein wenig verloren haben.
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