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Tauchphysiologie: Wie Wanzen auftreiben

Die prominentesten aller teichbewohnenden Wanzen verdanken ihren Ruhm der Wehrhaftigkeit und ihrem einzigartigen Schwimmstil - sie stechen schmerzhaft und paddeln bauchoben durchs Wasser. Aber auch in puncto Physik haben sie einiges auf dem Kasten.
Der Rückenschwimmer <i>Anisops deanei</i>
"Auf Tiefe gehen, Eins-WO, schnell auf Tiefe geh'n!" "Vorne unten 20, hinten oben 5 – los doch!!" Was dekorativ bärtige Unterseebärengesichter in Hollywoodstreifen auf U-Boot-Kommandobrücken bellen – meist angesichts eines im Seerohr rasch näher kommenden feindlichen Zerstörers – wird der Filmlogik entsprechend eigentlich immer gefolgt von Wasserbomben. Dann sind alle ganz still und kucken im Rotlicht blicklos nach schräg oben. Und dann sonart es in die Stille hinein dramatisch "Ping!".

Die Helden von Phillip Matthews und Roger Seymore würden das Prinzip hinter dem kryptischen "obenuntenhintenvorne"-Abtauchbefehl ganz sicher nicht so ganz verstehen, was sie ja mit vielen Filmzuschauern gemeinsam hätten. Matthews und Seymore sind Entomologen, nicht Cineasten, ihre Hauptdarsteller heißen nicht Jürgen Prochnow als kommandierender Kaleun, sondern Anisops deanei oder Anisops assimilis – und deren nähere Verwandtschaft besteht sämtlich aus Wasserwanzen und gehört zur Familie der Notonectidae. Diese "Rückenschwimmer" sind die U-Boote unter den wasserlebenden Insekten, berichten die Forscher. Die Notonectidae kennen das Abtauchprinzip schon ein paar Milliönchen Jahre und wenden es einfach an.

U-Boot wie Rückenschwimmer brauchen unter Wasser vor allem eins: Luft. Zum einen ermöglicht sie der Besatzung – beziehungsweise den Zellen ihres Körpers – natürlich das Atmen und damit das Leben. Dabei haben erwachsene Wanzen aber zunächst einmal alles andere als eine perfekte Ausstattung zum Atmen unter Wasser – Wanzen versorgen sich im Grundbauplan schließlich über Tracheen, in deren schlauchförmigem Inneren ein Luftstrom ventiliert und alle Organe mit O2 beliefert. Kiemen, wie sie viele Jungtier-Larven besitzen, fehlen einer ausgereiften Wasserwanze im nassen Element.

Anisops deanei trägt ihre Atemluft mit sich | Die Wasserwanze Anisops deanei trägt ihre Atemluft in einer Gasblase mit sich, die durch Adhäsion an Oberflächenrillen und Härchen auch unter Wasser an Ort und Stelle am Körper fixiert bleibt. Veratmeter Sauerstoff muss in ihr aber stets ersetzt werden, damit der Auftrieb immer gleich und die Wanze daher stets unauffällig im Wasser ausgependelt bleibt.
Also schleppen schwimmende Insekten mit dem Problem der Wasserwanze oft ausreichende Mengen des trockenen Elements kurzerhand mit sich – als Luftblase, die per Adhäsionskraft zwischen Härchen am Insektenkörpers festgehalten wird. Aus dem Lufttank bedient sich das Tier bei Atemnot, und nur gelegentlich ist ein Auftauchen zum Luftauffrischen nötig, weil das Volumen der Gasblase immer kleiner wird: Sauerstoff wird veratmet, das entstehende Gas Kohlendioxid und Stickstoff verflüchtigt sich allzu schnell ins umgebende Wasser.

Damit zum zweiten Grund, aus dem U-Boote und Rückenschwimmer Luft brauchen: für den Auftrieb. Das hinten-oben- oder vorne-unten-zehn aus Film und U-Boot-Realität bezeichnet den anzustrebenden Füllzustand von Tanks, in die ein Tauchboot-Lenker Wasser oder Luft leiten kann. Bläst Luft in beide, dann steigt das Schiff unter Wasser – vereinfacht gesagt, wird bei gleich bleibendem Volumen seine Dichte gegenüber dem Umgebungswasser geringer. Ein ganz ähnliches Prinzip machen sich auch die Wasserwanzen zu Nutze, berichten nun die Wanzenforscher der Universität Adelaide.

Um ihre Wassertiefe stets auspendeln und halten zu können, müssen die stechenden Wanzen auffällige Schwimmbewegungen machen – oder wie U-Boote auch ständig ihren mitgeführten Lufttank auffrischen. Ein Unterseeboot nutzt dazu Pressluft – die Pressluftflaschen der Wanzen, meinen nun Matthews und Seymore, sind aus Hämoglobin. Mit dem Blutfarbstoff, den neben Wirbeltieren eigentlich meist nur Larven von Insekten in ihrer Körperflüssigkeit besitzen, wird Sauerstoff chemisch gebunden und transportiert. Ein überflüssiger Luxus für die allermeisten Tracheenatmer – sie transprtieren das Atemgas ja per ventiliertem Luftrohrpostsystem ohne Schwierigkeiten stets bis zu jeder einzelnen Zelle.

Bei akutem Sauerstoffmangel aber kann Hämoglobin auch schon einmal zum lebensnotwendigen Sauerstoff-Speicher in der Hämolymphe von Sechsbeinern werden. Und Wasserwanzen, belegten die Wissenschaftler nun schon lang Vermutetes mit sensitiven elektronischen Fühlern und Glasfaser-Sauerstoffsensoren, binden mit Hämoglobin Sauerstoff in ihrem Körper nur so lange, bis das Gas in ihrer unter Wasser mitgeführten Gasblase verschwindet. Dann aber lüften sie mit freigesetztem Sauerstoff nach und nach ihren auftriebliefernden Luftballon. Erst nach rund acht Minuten Tauchen wird es dann auch für die Wanzen Zeit, sich wieder einmal über der Oberfläche etwas Luft zu schnappen.

Wie ein U-Boot-Lenker muss die Wanze bei Auspendeln unter Wasser aber noch einiges anderes im Auge behalten. Zum Beispiel stellten Matthews und Seymour überrascht fest, dass die Luftblase der Tiere zu anfangs etwa 17 Prozent größer war, als sie eigentlich sein sollte um einen geordneten Schwebezustand zu erzielen. Das wird aber wohl schnell durch die hohe Sauerstoffaffinität des Hämoglobins von A. deanei ausgeglichen: Beim Abtauchen schnappt es sich wiederum rund 16 Prozent des Blaseninhalts zur eigenen O2-Auffrischung. Ein kurzfristiges Alarmtauchen der Wanze mit der zu auftriebsstarken Blase wäre für die Wanzen ja auch ein anstrengendes Anschwimmen gegen den eigenen Auftrieb. Wenigstens rücken dabei keine Zerstörer näher.

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