Zulassungsverfahren: Wie Europa Impfstoffe prüft
Am 21. Dezember bereits werde sie über die Zulassung des ersten Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 entscheiden, kündigte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) an. Die Behörde prüft derzeit die Zulassung dreier potenzieller Corona-Impfstoffe: den Wirkstoff BNT162b2 von Biontech und Pfizer, den Wirkstoff mRNA-1273 von Moderna und den Impfstoff von AstraZeneca und der University of Oxford. Wie läuft ein solches Zulassungsverfahren im Normalfall ab? Und wieso kann es im Fall der Corona-Impfstoffe plötzlich so viel schneller gehen? Wir haben die wichtigsten Informationen zusammengestellt.
Wer ist für die Zulassung zuständig?
Damit Arzneimittel wie die neuen mRNA-Impfstoffe in Europa eingesetzt werden dürfen, müssen die Präparate den gesetzlichen Anforderungen genügen. Im zentralisierten Zulassungsverfahren legt der Hersteller Daten und Unterlagen vor, die zeigen sollen, dass das Mittel nicht nur wirksam und sicher, sondern auch qualitativ hochwertig ist. Zudem muss sein Nutzen die Risiken deutlich überwiegen.
Die EMA koordiniert das Verfahren, die Europäische Kommission spricht die Zulassung aus. Sie gilt nicht nur für die Europäische Union, sondern auch für den Europäischen Wirtschaftsraum, der neben den EU-Staaten auch Norwegen, Island und Liechtenstein umfasst.
Auch Covid-19-Impfstoffe werden nach diesem Prinzip geprüft und zugelassen. Allerdings muss es in diesem Fall etwas schneller gehen – doch nicht jeder Schritt der Zulassung lässt sich beschleunigen. Insbesondere die klinischen Prüfungen erfordern Zeit, um die Sicherheit, also die Verträglichkeit, und die Wirksamkeit jedes Impfstoffprodukts gründlich zu analysieren.
Wie funktioniert eine Zulassung?
Einen Zulassungsantrag für ein neues Arzneimittel zu bewerten, dauert im Zulassungsverfahren bis zu 210 Werktage. Dieses zentralisierte Verfahren, koordiniert von der EMA, ist das Regelverfahren für die europäische Zulassung eines Arzneimittels. In dieser Zeit beurteilen die Arzneimittelexpertinnen und -experten der nationalen Arzneimittelbehörden der EU-Mitgliedsstaaten die vom Antragsteller bei der EMA vorgelegten Unterlagen.
Diese enthalten einerseits Daten aus den klinischen Studien, aus denen sich ablesen lässt, ob der Impfstoff unbedenklich ist, die erhoffte Wirkung bringt und ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis hat. Andererseits muss der Hersteller auch darlegen, dass der Herstellungsprozess den Vorschriften entspricht und das Endprodukt die vom Gesetzgeber geforderte Qualität hat. Zu diesen Daten können die Fachleute während des Bewertungsprozesses Rückfragen stellen, die die Hersteller während eines oder zwei so genannter Clockstops beantworten.
Was ist ein Clockstop?
Während eines Clockstops bereitet der Antragsteller seine Antworten auf die Fragen vor, die ihm vom Ausschuss für Human-Arzneimittel, Committee for Medicinal Products for Human Use, kurz CHMP, gestellt worden sind. Wie lange das Unternehmen dafür Zeit hat, bestimmt das CHMP; der Zeitraum hängt davon ab, wie lange der Antragsteller nach eigener Einschätzung für die Beantwortung der Fragen brauchen wird. In der Regel dauert der erste Clockstop drei bis sechs Monate, der zweite Clockstop ein bis drei Monate. Daraus ergibt sich, dass es in der Regel etwa ein Jahr dauert, den Zulassungsantrag eines neuen Arzneimittels zu bewerten.
Wie kann das Zulassungsverfahren beschleunigt werden?
Bei den Impfstoffen gegen Covid-19 allerdings haben alle Beteiligten das Verfahren beschleunigt: Die Pandemie wartet nicht auf bürokratische Prozesse. Die dafür eingesetzten Abkürzungen sollen Zeit sparen, ohne Kompromisse bei der Qualität der eingereichten Daten für eine Nutzen-Risiko-Bewertung zu machen. Ein Beispiel dafür ist das Rolling-Review-Verfahren. Dabei reicht der Hersteller Teile des späteren Zulassungsdossiers bereits vor der Antragstellung ein, so dass Fachleute diese Daten bereits vorab bewerten können.
Darüber hinaus profitieren die Impfstoffentwickler von kontinuierlichen wissenschaftlich-regulatorischen Beratungen durch die Arzneimittelbehörden, dem so genannten Scientific Advice. Dieses Verfahren bereitet die pharmazeutischen Unternehmer auf regulatorische Vorgaben und inhaltliche Anforderungen für den Zulassungsantrag vor. Der eigentliche Antrag zur Zulassung entspricht dann bereits weitgehend den Vorgaben, so dass keine Verzögerung durch beispielsweise formale Fehler entsteht.
Man gewinnt auch Zeit, indem man klinische Prüfungen, die nacheinander stattfinden, miteinander kombiniert. So koppelt man in manchen Coronastudien beispielsweise Phase 1 mit Phase 2 oder Phase 2 mit Phase 3. Dadurch bündelt man etwa die Rekrutierung der Probandinnen und Probanden für zwei Phasen oder auch notwendige klinische Untersuchungen. Hilfreich ist natürlich auch, dass es bereits Forschungswissen zu anderen Coronaviren und entsprechenden Impfstoffentwicklungen gibt. Darauf konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun aufbauen.
Beschleunigte Zulassungsverfahren
In Europa gibt es drei standardisierte Verfahren, die jeweils unter bestimmten Voraussetzungen eine frühzeitige Zulassung ermöglichen:
- die Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen
- das beschleunigte Bewertungsverfahren
- die bedingte Zulassung
Die Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen ist dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zufolge, das in Deutschland unter anderem für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist, für die Covid-19-Impfstoffe nicht relevant. Sie wird erteilt, wenn es unwahrscheinlich ist, dass die üblicherweise erforderlichen umfassenden Daten erhoben werden können. Das gilt zum Beispiel für sehr seltene Erkrankungen oder wenn ethische Bedenken gegen bestimmte Studien in der Therapiesituation bestehen. Ein Medikament, das auf diesem Wege genehmigt wird, hat normalerweise wenig Aussichten, später regulär zugelassen zu werden.
Das beschleunigte Bewertungsverfahren verkürzt die Bewertungszeit von 210 Tagen auf 150 Tage. Voraussetzung dafür ist, dass die EMA dem Arzneimittelentwickler eine beschleunigte Beurteilung gewährt. Dieses Verfahren ist bei Arzneimitteln möglich, die von großem Interesse für die Allgemeinheit sind. Das ist der Fall, wenn sie zum Beispiel auf eine Erkrankung abzielen, für die es bisher noch keine Behandlungsmöglichkeit gibt, und wenn ein besonderer medizinischer Bedarf besteht, der nicht gedeckt ist. Beides gilt zwar bei Covid-19, aber es würde bedeuten, dass der Impfstoff nicht vor Mai zur Verfügung stünde.
Schneller geht es bei der bedingten Zulassung. Die kann sofort erteilt werden, ist allerdings an Auflagen geknüpft und zeitlich begrenzt. Ein Arzneimittel kann im Interesse der Allgemeinheit sofort zugelassen werden, wenn zum Beispiel der Vorteil der schnellen Verfügbarkeit des Arzneimittels die entstehenden Risiken überwiegt. Bedingte Zulassungen sind ein Jahr lang gültig und können jährlich erneuert werden.
Nach derzeitiger Einschätzung des PEI ist in Europa eine solche bedingte Zulassung mit Auflagen bei Covid-19-Impfstoffen möglich. Vom Zulassungsinhaber wird verlangt, dass er bestimmte Verpflichtungen erfüllt – zum Beispiel laufende Studien abschließt oder bestimmte Fragestellungen neu erforscht. Denn der Hersteller muss auch nach der Zulassung umfassende Daten vorlegen, die bestätigen, dass die Nutzen-Risiko-Bilanz weiterhin positiv ist.
Im günstigsten Fall liegen dadurch schließlich genug Daten über das Arzneimittelprodukt vor, um es regulär zuzulassen. Damit bekäme der Impfstoff trotz des zuerst verkürzten Verfahrens eine Standardzulassung, die keinen spezifischen Verpflichtungen unterliegt. Diese wäre zunächst für fünf Jahre gültig, kann aber für eine unbegrenzte Gültigkeit verlängert werden.
Gibt es eine Notfallzulassung?
In den USA, Kanada und Großbritannien wurden Covid-19-Impfstoffe per Notfallzulassung, der so genannten Emergency Use Authorization (EUA), freigegeben. Dadurch kann ein nicht zugelassenes Arzneimittel in Verkehr gebracht werden; die befristete Anwendung im Notfall ist erlaubt, so lange die Notsituation anhält. Die EUA ist mit der Zulassung in der EU nicht vergleichbar, weil bei der EU-Zulassung der Nutzen im Sinn einer Wirksamkeit nachgewiesen werden muss. Ein solcher Nachweis ist bei der EUA nicht nötig, dort muss lediglich der vermutete Nutzen den bekannten Risiken gegenübergestellt werden. Dafür haben die Mitgliedsstaaten der EU unabhängig vom Zulassungsverfahren die Möglichkeit, nicht zugelassene Arzneimittel national in Verkehr zu bringen.
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