Direkt zum Inhalt

Neurobiologie: Wie wir lernen, unseren Weg zu finden

Damit wir den richtigen Weg durch unsere Umgebung finden, müssen wir uns wichtige Informationen über die Wegstrecke merken. Doch bisher war nicht bekannt, wie unser Gehirn das bewerkstelligt. Jetzt haben Max-Planck-Forscher den Wegmarkierungsspeicher gefunden.
Gyrus parahippocampalis
Navigation ist für uns Menschen Teil unserer Natur und wichtig für unsere Anpassung und unser Überleben: Jeden Tag neu verbringen wir beträchtliche Zeit damit, uns in unserem Umfeld zu orientieren und zu bewegen. Doch um sich in einem fremden Stadtteil nicht zu verlaufen, müssen Objekte entlang des Weges sehr schnell identifiziert und als "Landmarken" im Gedächtnis gespeichert werden. Wo sich der Weg teilt, müssen wir eine Entscheidung treffen, denn ein Fehler an dieser Stelle könnte fatale Folgen haben.

Neuropsychologische und funktionelle Magnet-Resonanz-Studien haben bisher gezeigt, dass der Hippocampus, eine Gehirnregion im Temporallappen, bei der räumlichen Navigation von vitaler Bedeutung ist, und speziell der parahippocampale Gyrus mit dem Lernen von Objekten und Objekt-Ort-Assoziationen befasst ist. Doch trotz der empirisch gezeigten Bedeutung von Landmarken an Entscheidungspunkten wissen wir nichts darüber, wie das Gehirn mit dieser wichtigen Information umgeht.

Gabriele Janzen und Miranda van Turennout vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik haben nun gezeigt, dass der parahippocampale Gyrus auf die Relevanz dieser Markierungspunkte reagiert. Dazu führten die Wissenschaftlerinnen verschiedene Versuchspersonen per Film durch ein virtuelles Museum und stellten ihnen dabei die Aufgabe, sich die Objekte entlang ihrer Route zu merken. Die Objekte befanden sich auf Tischen an der Wand und waren zu gleichen Teilen an Kreuzungen, den Entscheidungspunkten, sowie an simplen Abbiegungen aufgestellt, an denen keine Möglichkeit bestand, einen falschen Weg zu wählen.

Bei einer anschließenden Wiedererkennungsaufgabe sahen die Testpersonen die Gegenstände einzeln vor einem weißen Hintergrund, ohne Informationen über die Route. Die Personen lagen bei diesem Test im Kernspintomographen und sollten bei jeder Abbildung per Tastendruck entscheiden, ob sie den betreffenden Gegenstand zuvor bereits entlang ihrer Route gesehen hatten oder nicht. Dabei beobachteten die Wissenschaftlerinnen bei Gegenständen, die sie zuvor an relevante Orten, den Entscheidungspunkten, platziert hatten, eine stärkere Aktivität im parahippocampalen Gyrus als bei Objekten, die sich "nur" an einfachen Abbiegungen befunden hatten, bei denen eben keine Möglichkeit bestand, einen neuen Weg zu wählen.

Virtuelles Museum | Szenen aus einem virtuellen Museum: Versuchpersonen sollen sich die Gegenstände entlang ihrer Route durch das Museum einprägen und dabei allen Spielzeugen besondere Aufmerksamkeit schenken.
Um ausschließen zu können, dass die Testpersonen den Entscheidungspunkten besondere Aufmerksamkeit widmen und damit die Testergebnisse beeinflussen, mussten sie sich alle im Museum verteilten Spielzeuge gut merken. Sie sollten später in der Lage sein, eine Museumstour für Kinder durchzuführen. Die Spielzeuge waren je zur Hälfte an Entscheidungs- beziehungsweise Nicht-Entscheidungspunkten verteilt. Diese Aufmerksamkeitsaufgabe führte dazu, dass die Spielzeuge insgesamt schneller wiedererkannt wurden als andere Gegenstände. Entscheidend ist aber, dass das neuronale Aktivierungsmuster im parahippocampalen Gyrus durch diese selektive Aufmerksamkeit unbeeinflusst bleibt. Die Speicherung navigationsrelevanter Information erfolgt demnach unabhängig von Aufmerksamkeitsprozessen.

Ist es aber für die entsprechende Hirnaktivität notwendig, dass man sich erfolgreich erinnern kann? Um diese Frage zu beantworten, haben Janzen und van Turennout die wiedererkannten Objekte und die vergessenen Objekte getrennt voneinander analysiert. Das Ergebnis: Der parahippocampale Gyrus zeigte dieselbe verstärkte Aktivität für erinnerte wie für vergessene Objekte. Die Assoziation zwischen wegfindungsrelevantem Ort und Objekt erfolgt demnach unabhängig von bewussten Erinnerungsprozessen.

Relevante räumliche Information wird also automatisch in unserem Gedächtnis gespeichert und kann auch ohne bewusste Wiedererkennung aktiviert werden. Dieser neuronalen Mechanismus ist somit die Basis, damit wir erfolgreich durch unsere räumliche Umgebung navigieren können. Diese Studie "liefert wichtige Einblicke in die Dynamik unseres Navigationssystems", meinen Hugo Spiers und Eleanore Maguire vom University College London. "Das Gehirn identifiziert automatisch die Landmarken an den entscheidenden Punkten, braucht dafür nur eine Begegnung, und der Ort für die abgestimmte Verarbeitung dieser Informationen scheint tatsächlich der parahippocampale Gyrus zu sein."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.