Meteorologie: Wie wird der nächste Winter?
Kaum haben die ersten Herbsttiefs den langen Sommer hinweggeblasen, machen sich manche Wetterfrösche bereits Gedanken zum kommenden Winter. Ihre Prognosen: Es könnte wieder ein langer, kalter und schneereicher Winter wie letztes Jahr werden. Ein Meteorologe einer kommerziellen Wetterseite sieht sogar eine richtige "Kältepeitsche" schwingen, die Deutschland zwischen Dezember und Februar mit eisigen Kaltluftmassen aus Sibirien geißeln soll. Immerhin sprechen einige Parameter durchaus für einen frostigen Winter, wie ihn zum Beispiel der US-amerikanische Wetterblog "The Weather Center" für große Teile Nordamerikas und Europas kommen sieht. Doch wie seriös sind eigentlich derartige mittelfristige Vorhersagen, wenn die Wettervorhersage meist schon bei der wöchentlichen Vorausschau mit großen Unsicherheiten behaftet ist?
Um eine einigermaßen gesicherte Prognose für die nächsten Monate abgeben zu können, muss man vor allem mehrere großräumige Zirkulationsmuster der Atmosphäre betrachten, die typischerweise relativ träge reagieren und sich nur in einem Wochen-, Monats- oder gar Jahresturnus ändern. "Für das Winterwetter in Deutschland sind schwerpunktmäßig die Nordatlantische Oszillation (NAO) und die Arktische Oszillation (AO) interessant", sagt Lars Kirchhübel, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst (DWD). Bestimmend für unsere Breiten sind normalerweise so genannte Westwetterlagen, die sich in einem positiven NAO-Index niederschlagen. (Der Index beschreibt die Schwankung der Druckverhältnisse zwischen dem Islandtief im Norden und dem Azorenhoch im Süden über dem Nordatlantik: Sind sie beide stark ausgeprägt, ist er positiv, bleiben beide schwach, ist er negativ.) Bei einem starken Azorenhoch und einem ebenfalls starken Islandtief jagen dann ausgeprägte Westwinde ein Tief nach dem anderen Richtung Mitteleuropa, was feuchtes, aber auch gemäßigtes Wetter bringt.
Seit 2010 bildet diese Luftdruckkonstellation auf dem Atlantik aber eine Ausnahme, stattdessen herrschte oft ein negativer NAO-Index vor. "Die Druckgebiete sind nur schwach ausgeprägt, weshalb die westliche Strömung einschläft. Dadurch kann sich häufig ein blockierendes Hoch über Europa bilden, was gerade im Winter zu einer kalten und eher trockenen Witterung führt", so Kirchhübel: Hoher Luftdruck aus Sibirien dehnt sich dann bis Mitteleuropa aus und lässt frostige Luft einsickern, wie es beispielsweise im letzten März der Fall war. Momentan befinden wir uns in einer positiven Phase der NAO, die den schönen Sommer beendet hat und uns nun Tief um Tief beschert – doch das wird wohl nicht so bleiben, meint der DWD-Mitarbeiter: "Unsere aktuellen Simulationen lassen den NAO-Index zum Ende des Monats in den negativen Bereich absinken." Die atlantische Zyklonenschleuder ruht dann wieder etwas. Und setzte sich dieser Trend bis in den Winter fort – wofür manches spricht –, so geriete Mitteleuropa in den Einflussbereich kontinentaler Luftströmungen.
Die arktische Wetterküche
Die tatsächliche Vorhersagbarkeit der Nordatlantischen Oszillation schätzt der Meteorologieprofessor Felix Ament vom KlimaCampus der Universität Hamburg allerdings schwach ein: "Der NAO-Index fasst sehr gut den mittleren Zustand der Wettersysteme zusammen – so wie der DAX die aktuelle wirtschaftliche Lage zusammenfasst. Ein Vorhersagepotenzial entsteht dadurch nicht. Grob gesagt, kann man die NAO nicht besser vorhersagen als den DAX."
Allerdings beeinflussen uns in Europa nicht nur die Bedingungen auf dem Atlantik, sondern in großem Umfang auch die arktische Wetterküche, die sich in der so genannten arktischen Oszillation (AO) zusammenfassen lässt. Bei ihr unterscheidet man ebenfalls zwischen einer positiven und einer negativen Phase. Erstere zeichnet sich durch relativ niedrigen Luftdruck über dem Nordpol und höheren Luftdruck in den mittleren Breiten aus, bei Letzterer stellen sich umgekehrte Bedingungen ein. "Bei negativen Vorzeichen kann sich die kalte Polarluft weiter nach Süden ausbreiten", erklärt Kirchhübel. Und das scheint sich nach den Berechnungen der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zurzeit anzubahnen. "Eine Trendumkehr zu negativen Werten auch beim AO-Index würde zu einem normalen bis kalten Winter führen." Ein klassisches Beispiel ereignete sich im Winter 2011/2012, als ein schwacher Polarwirbel rund um den Nordpol den Ausbruch arktischer Luft bis in den Mittelmeerraum erlaubte und dort den strengsten Winter seit Jahrzehnten verursachte.
"In 20 Jahren liegen etwa elf Prognosen richtig und neun daneben"
Felix Ament
Dazu kommt ein weiterer arktischer Einflussfaktor, der erst seit kurzer Zeit verstärkt in den Fokus der Wetterkundler gerückt ist: die Ausdehnung des arktischen Meereises. Dessen durchschnittlicher Bedeckungsgrad ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, und statt weißer Eisflächen dominiert am Ende des Sommers nun großflächig dunkles Wasser das Nordpolarmeer – mit Folgen für die Wetterdynamik. Das Sonnenlicht wird nicht mehr reflektiert, sondern vom Wasser aufgenommen und in Wärme umgewandelt. Das wiederum heizt auch die Luftschichten darüber relativ auf, was letztlich die atmosphärischen Strömungen vor Ort stören kann. "Diese Störungen könnten die Wahrscheinlichkeit verdreifachen, dass extrem kalte Winter in Europa und Nordasien auftreten", schließt Vladimir Petoukhov vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der sich in seinen Arbeiten den klimatischen Konsequenzen des polaren Tauwetters widmet. Die Folgen der sommerlichen Eisfreiheit sind demnach bis weit in den Winter hinein zu spüren und sorgen dabei für eine sehr stabile Hochdruckanomalie über der Barentssee zwischen Norwegen, Spitzbergen und Russland. Flankiert wird dieses Hoch von zwei Tiefdrucktrögen, die westlich und östlich davon liegen – und kalte Luft von Nord nach Süd abströmen lassen.
Welche Rolle spielt das Eiswachstum 2013?
Während aber 2012 das arktische Meereis die geringste Ausdehnung seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen vor mehr als 30 Jahren erreicht hatte, blieb die Eisschmelze dieses Jahr deutlich hinter den Erwartungen zurück: Mit rund 6,1 Millionen Quadratkilometern nahm das Meereis letzte Woche fast 80 Prozent mehr Fläche ein als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres, und die Schmelzsaison endet normalerweise Mitte September. Allerdings liegt dieser Wert immer noch deutlich unter den Mittelwerten früherer Jahrzehnte; zudem konzentriert sich das Eis auf die westliche Arktis zwischen Grönland und Kanada, während der östliche Sektor von offenem Wasser dominiert wird. Dort begünstigt ein bis in die Barentssee reichender Ast des Golfstromsystems die Eisfreiheit, weil das zugeführte warme Wasser das normalerweise im Herbst einsetzende Zufrieren der Region verzögert.
Es bleibt daher abzuwarten, wie das arktische Eis diesen Winter beeinflussen kann. "Ob die geringe Zunahme an Eis in der Arktis schon einen größeren Einfluss auf die Zirkulationsmuster hat, kann und muss bezweifelt werden", meint beispielsweise Lars Kirchhübel. Die unterdurchschnittliche Eisbedeckung in der Barentssee könnte also auch dieses Jahr so genannte meridionale Luftströmungen und damit die Kaltluftzufuhr aus dem Norden fördern: "Im Winter führt dies verhältnismäßig oft zu einer kühlen bis kalten Witterung in Mitteleuropa." Momentan gleichen die Bedingungen jedenfalls denjenigen des letzten Winters.
Und noch ein letzter Faktor spielt wohl eine Rolle: die Sonnenaktivität, auch wenn sich die Klimatologen noch nicht ganz sicher sind, wie die Sonnenflecken unser Wetter mitbestimmen. Schuld daran ist womöglich eine Blockade der Westwindströmungen, die ihren Ausgang über Nordamerika nimmt. Dort ragen die Rocky Mountains bis in die Jetströme des westöstlichen Höhenwinds und sorgen dafür, dass diese wie Flüsse zu mäandrieren beginnen. Schaukeln sie sich anschließend immer weiter auf, kann es passieren, dass sich einzelne stabile Luftmassenpakete abschnüren und damit die Luftbewegung teilweise für Wochen zum Erliegen bringen. Vorläufige Daten deuten an, dass mangelnde Sonnenaktivität diese Sperren häufiger auslöst und sie länger andauern lässt. Entsprechend der langjährigen Zyklen sollte 2013 ein Maximum der Sonnenaktivität erreicht werden, doch fand dies auf einem sehr bescheidenen Niveau statt. "Grundsätzlich lässt sich die Sonnenaktivität im nun folgenden Winter in etwa mit derjenigen des letzten Winters vergleichen – und würde daher ebenfalls für normale bis kalte Bedingungen sprechen", fasst Kirchhübel zusammen.
Die Wettermodelle
Die "Kältepeitsche" scheint also schon auszuholen, doch gewiss ist sie dennoch nicht. "Das Wetter bei uns in den mittleren Breiten wird dominiert durch die chaotische Dynamik von Hoch- und Tiefdrucksystemen. Damit ist eine Saisonvorhersage hier viel unsicherer als in anderen Regionen der Erde wie etwa den Tropen", gibt Ament zu bedenken. Dem stimmt auch Lars Kirchhübel zu; dennoch berechnet der DWD saisonale Vorhersagen, die der Wetterdienst jedoch nur vorsichtig interpretiert, so der Meteorologe: "Wegen sehr hoher Unsicherheiten setzen wir die Prognosen in Bezug zu Vergleichsperioden. Zudem unterscheidet sich die Güte auch zwischen den berechneten Parametern teils deutlich. Die Temperatur können wir wesentlich besser wiedergeben als den Niederschlag, die Windrichtung und -geschwindigkeit oder die Luftfeuchte. Wegen der geringen Vorhersagegüte sollte eine saisonale Vorhersage daher nur als erste Ein- beziehungsweise Abschätzung der Signalrichtung verstanden werden."
Entsprechend vorsichtig formuliert er auch die Aussichten für den nächsten Winter: "Bei Betrachtung der aktuellen Wetterlage und der mittelfristigen Prognose scheint sich wieder ein Wechsel von einer leicht zonalen in eine meridionale Strömung anzudeuten. Dies würde bedeuten, dass der September vorerst nicht mit neuen Wärmerekorden auftrumpft, vielmehr würde erst einmal weiterhin kühles, wechselhaftes Wetter dominieren. Von dieser Mittelfrist auf die nächsten Monate zu schließen, ist nicht möglich, aber einige Parameter deuten an, dass der nächste Winter ähnlich wie der letzte ausfallen sollte." Wer deswegen jetzt schon zu zittern beginnt, für den hat womöglich noch Felix Ament einen letzten Hoffnungsschimmer: "In 20 Jahren liegen etwa elf Prognosen richtig und neun daneben. Das ist besser als nichts, aber der normale Nutzer von Vorhersagen wird diese Genauigkeit als unzureichend betrachten. Damit kann man keine Ferienplanung machen!"
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