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Wiedereinführung: Die Rückkehr des Fischadlers

115 Jahre nach seiner Ausrottung ist der Fischadler wieder als Brutvogel zurück in Baden-Württemberg; im Landkreis Rastatt hat ein Paar die eigens angebrachte Nisthilfe für gut befunden und zieht dort nun den Nachwuchs auf. Die Wiederansiedlung ist das Ergebnis von jahrelanger mühseliger Arbeit - und Glück.
Flugtaxi für Fische
Ein Fischadler hat einen Weißfisch erbeutet. Die Raubvögel brauchen neben fischreichen Gewässern auch hohe Brutplätze; doch passende Bäume sind selten geworden.

Irgendwo in einem Wald im Landkreis Rastatt steht der Ornithologe Dieter Peter gut versteckt mit seinem Spektiv im Wald und beobachtet aus gebührender Entfernung den Fischadlerhorst – und mindestens so aufmerksam schaut das Fischadlerweibchen zurück. »Sie hält das Spektiv für eine Art großes Auge, das sie im Blick behalten muss«, erklärt Peter. Gestört fühlt sich der Vogel aber offensichtlich nicht, ebenso wenig wie das Männchen, das kurz darauf den Horst mit einem Fisch anfliegt.

Auch Daniel Schmidt-Rothmund, der Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums in Mössingen, ist begeistert von dem, was er sieht. Der Fischadler-Spezialist ist eigens in den Rastatter Raum gekommen, um den erhofften Nachwuchs zu begutachten. Der 59-jährige Biologe beschäftigt sich seit seiner Diplomarbeit mit den Fischadlern und folgt den Spuren der Vögel in Deutschland, Polen, Frankreich und in der Schweiz.

Für den Fachmann ist es deswegen auch kein Problem, das Verhalten der Vögel zu interpretieren: »Das sieht ganz eindeutig nach einer Fütterung der Jungen aus, das Männchen hat dem Weibchen einen Fisch gebracht, den das Weibchen mit Sicherheit an den Nachwuchs verteilt hat, das erkennt man eindeutig an den charakteristischen Kopfbewegungen«, erklärt Schmidt-Rothmund. »Danach ist sie wieder nah an ihre Küken herangerückt und hat die Flügel ganz typisch etwas hängen lassen, um für Schatten zu sorgen. Es ist auf alle Fälle Nachwuchs im Horst.«

Geduldsspiel an der Nisthilfe

Die Vögel brüten im Landkreis in einer Nisthilfe inklusive Kamera, die Schmidt-Rothmund bereits im Juni 2021 in einer hohen Kiefer angebracht hatte, sozusagen als Lockangebot für die durchziehenden Fischadler. Die Kamera lieferte auch sehr schöne Bilder – von Nilgänsen, die dort saßen, oder von Möwen. Allerdings keine Fischadler – am Anfang war es ein Geduldsspiel. Jeden Morgen ein aktuelles Bild, aber überwiegend war das Nest leer. Im Juli 2021 gab es dann endlich das ersehnte erste Fischadlerfoto und Ende Juli 2021 dann das erste Bild eines Pärchens, aber beide kamen nur zum Gucken vorbei, für die Brut war es in diesem Jahr zu spät.

Adlerhorst auf einem Strommast | Fischadler nisten bevorzugt auf hohen Bäumen, die ihnen Rundumblick über die gesamte Landschaft bieten. Doch geeignete Bäume sind selten geworden. Alternativ nehmen die Vögel auch Strommasten als Nistmöglichkeiten an.

Trotzdem waren die eingeweihten Ornithologen der Region hellauf begeistert. Denn Fischadler sind standorttreu und wenn sie dieses Nest schon in ihre Auswahl gezogen hatten, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie im darauf folgenden Jahr nach der Rückkehr aus dem Überwinterungsgebiet das bekannte Nest wieder anfliegen würden. Und so war es tatsächlich; im Juni 2022 wieder ein Fischadlerfoto, dann erneut ein Pärchen, aber wieder kamen beide nur zum Gucken vorbei, für die Brut war es auch in diesem Jahr zu spät – die Ornithologen mussten sich weiterhin in Geduld üben.

Erst im Frühjahr 2023 lieferte die Kamera endlich die ersehnten Bilder: Anfang April das Foto eines Vogels, sieben Tage später dann das erste Ei und ein paar Tage später ein Gelege mit drei Eiern – und damit die erste nachweisliche Brut in Baden-Württemberg seit mehr als 115 Jahren. »Das sind dann die Momente, an denen man merkt, dass sich der jahrelange Einsatz für die Fischadler gelohnt hat«, sagt Schmidt-Rothmund.

Der Brutnachweis im Landkreis wird aktuell ganz klassisch durch Beobachtungen mit dem Spektiv begleitet, was im digitalen Zeitalter natürlich nicht so geplant war. Die Kamera sendete anfangs zwar zuverlässig die erhofften Bilder; Vögel im Nest, Vögel mit Eiern im Nest, Vögel brütenderweise – aber dann kam ein heftiger Hagelsturm und die Kamera »verstummte«. Seitdem beobachtet ein »Fischadler-Netzwerk« aus mehreren Ornithologen das Nest aus rund 300 Meter Entfernung vom Boden aus durch das Spektiv, mindestens einmal am Tag ist jemand zur Kontrolle vor Ort.

Der heutige Erfolg hat eine lange Vorgeschichte. Noch im 19. Jahrhundert war der Fischadler im deutschen Südwesten entlang von Donau, Rhein, Neckar und an Kocher und Jagst beheimatet. »Fischadler sind reine Fischfresser und sie erbeuten oberflächennah lebende Fische, wie beispielsweise Brachsen. Obwohl diese Fische für die Fischer eher uninteressant sind, ging es den Fischadlern wie vielen anderen Tieren auch, die in Nahrungskonkurrenz zu den Menschen getreten sind. Sie wurden erbarmungslos gejagt, aus den Nestern geschossen, die Gelege geplündert und Horstbäume gefällt, bis sie im Jahr 1907 im Südwesten ausgerottet waren.

Fischadler-Webcams

Wer gern einen brütenden Fischadler live beobachten möchte, dem sei entweder die Webcam der Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer empfohlen, in der zwei kleine Fischadler im Nest zu sehen sind, aber auch die Webcam in Eschenbach in der Oberpfalz, die ebenfalls eine erfolgreiche Brut zeigt.

»Bekannt ist das vor allem, weil aus dem 19. Jahrhundert Jagdstatistiken mit langen Abschusslisten vorliegen und Museen im Land auch Eier als Nachweis besitzen«, erzählt Schmidt-Rothmund. Wie brutal es damals zuging, sei in einem Bericht beschrieben, in dem erzählt werde, der Jäger habe das Weibchen erst aus dem Nest geschossen und dann eigenhändig erwürgt, weil der Vogel noch nicht tot gewesen sei.

Früher bekämpft, heute willkommen

Die Zeiten haben sich für die Fischadler geändert; von ausgesprochen unerwünscht im 19. Jahrhundert hin zu ausdrücklich willkommen in der Gegenwart. Leider ist das nicht so einfach mit einer Wiederansiedlung des Fischadlers, denn neben den fischreichen Gewässern brauchen sie die entsprechenden Baumriesen für ihre Nester wie beispielsweise große Kiefern, die die Bäume der Umgebung überragen. Fischadler lieben diese exponierte Position, weil sie dort wie ein König im Nest sitzen und den gesamten Wald überblicken können. »In den heutigen Wäldern sind solche Bäume quasi ebenso selten wie die Fischadler«, sagt Schmidt-Rothmund.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Vögel für den Nestbau normalerweise gern in der Nähe ihres Geburtsorts bleiben, was heißt, ohne alte Nester keine neuen Nester. In Baden-Württemberg kam den Ornithologen die Nähe zum Elsass zu Hilfe, das vom Badischen nur durch den Rhein getrennt ist – für Fischadler keine Entfernung. Damit waren das Elsass und Baden insgesamt ein potenzielles Brutgebiet.

Fischadlerpaar mit drei Eiern

»Nachdem es auf französischer Seite die ersten Brutnachweise gab, war das der Anlass für uns, den Vögeln auf der deutschen Seite Kunstnester als Lockangebot zu präsentieren«, erklärt Schmidt-Rothmund, der diese Methode schon erfolgreich in anderen Bundesländern praktiziert hat. Nisthilfen haben sich im Fall der Fischadler bewährt, um die Vögel zu unterstützen, sei es nun auf den Bäumen oder auf Strommasten, die mangels geeigneter Bäume gern als alternative Brutplätze angenommen werden. Es gibt dafür bundesweit sogar Kooperationen der Naturschützer mit verschiedenen Stromversorgungsunternehmen.

Im Südwesten hat Schmidt-Rothmund mehr als 30 Plattformen auf hohen Bäumen installiert, Nistmaterial hochgeschafft und die Standorte regelmäßig besucht. Unterstützt wurde er dabei durch ein Netzwerk aus Ehrenamtlichen, vogelbegeisterten Spenderinnen und Spendern sowie durch die Bereitschaft von Forst Baden-Württemberg, Gemeinden und Privatwaldbesitzenden, ihre Flächen zur Verfügung zu stellen. Im Zuge eines Interreg-Projekts gemeinsam mit der französischen Partnerorganisation Liga für Vogelschutz (LPO) am Oberrhein kamen zehn Nisthilfen beidseits des Rheins zwischen Basel und Karlsruhe hinzu; drei davon im Landkreis Rastatt, eine davon wurde von der Artenschutzstiftung des Karlsruher Zoos gestiftet. Die schweizerische Stiftung Pro Pandion hatte den größten finanziellen Anteil getragen.

Das wagenradgroße Kunstnest wird am Boden vorbereitet und dann von Schmidt-Rothmund und den Helfern »portionsweise« in die Spitze geeigneter Brutbäume geschafft und dort montiert und ausgepolstert. Man muss schwindelfrei sein und kräftige Arme zum Hochziehen des Nests haben, das im Durchmesser rund 1,2 Meter misst. Und natürlich braucht man das nötige Quäntchen Glück, damit beim Befestigen des Kunstnests und der benachbarten Webcam alles klappt und im Anschluss die Fischadler die Nester auch als geeignet einstufen.

Die ersten Fischadler aus Baden-Württemberg

Der Aufwand hat sich nun gelohnt. »Also das ist wirklich eine wahnsinnig schöne Situation, geradezu erhebend, die kleinen Adler in der Hand zu haben, Auge in Auge mit dem Nachwuchs und der Perspektive für die Zukunft«, freut sich Daniel Schmidt-Rothmund. Es war ein großer Aufwand für zwei kleine Vögel, aber auch ein großer Moment für das Fischadler-Programm: Baumkletterer Georg Bürk begab sich am 23. Juni 2023 in die schwindelnde Höhe, um die Jungvögel kurzfristig für die Beringung auf den Boden zu holen. Dabei fallen die knapp fünf Wochen alten Adler in eine natürliche Schreckstarre, während die Elterntiere über dem Horstbaum kreisen, das Prozedere sehr aufmerksam beobachten und dabei aufgeregte Warnrufe ausstoßen. »Diese charakteristischen Rufe haben eine beruhigende Wirkung auf den Nachwuchs«, erklärt Schmidt-Rothmund.

Daniel Schmidt-Rothmund mit Jungadler Balbü

Beide Vögel erfreuen sich bester Gesundheit, sie wurden gemessen, gewogen und anschließend beringt: Balbü, ein Weibchen mit 1458 Gramm, und Kju, ein Männchen, das 1178 Gramm wiegt. »Balbü haben wir in Anlehnung an das Französische gewählt, dort heißt der Fischadler Balbuzard pêcheur, und Kju ist lautmalerisch in Anlehnung an die Rufe der jungen Fischadler«, so Schmidt-Rothmund. Beide Vögel tragen nun an jedem Lauf einen Ring.

Anhand der Ringe können Fachleute die Vögel zuordnen. Einer der Altvögel wurde als neunjähriger Vogel aus Sachsen-Anhalt identifiziert. Die Fachleute konnten nachverfolgen, dass diese beiden Altvögel bereits zweimal im benachbarten Elsass gebrütet haben. Leider erfolglos: Beide Bruten wurden komplett von einem Habicht oder Uhu ausgeräubert. Weitere Feinde sind Beutegreifer wie Waschbären oder Marder, die Eier und Jungvögel stehlen können.

Auch Störungen durch Menschen spielen eine große Rolle, die Vögel akzeptieren Menschen in Nestnähe kaum und es besteht die Gefahr, dass die Brut aufgegeben wird. Um zumindest dieses Risiko zu minimieren, ist das »Fischadler-Netzwerk« gegenüber Fragen nach dem Nistplatz ausgesprochen wortkarg und es kennen tatsächlich nur wenige Eingeweihte den genauen Platz des Baums. Und so sind alle glücklich, dass bei der dritten Brut dieses Paars nun alles gut gegangen ist und man die frisch beringten Fischadler als »die ersten in Baden-Württemberg Geschlüpften« identifizieren kann.

»Und mit ein bisschen Glück gibt es in den kommenden Jahren weitere Bruten«, so Schmidt-Rothmund. Auch bei den beiden anderen Nisthilfen im Landkreis Rastatt haben die Wildkameras bereits Bilder von Fischadler-Junggesellen aufgenommen, die das Nest begutachteten oder sich dort zum Fischverzehr niedergelassen haben.

Fischadlerbestände erholen sich langsam

Der Fischadler ist heute in ganz Deutschland durch das Bundesnaturschutzgesetz geschützt und die Art steht auf der Roten Liste gefährdeter Arten, trotz langsamer Erholung in einigen Bundesländern. »Die Vögel sind heimattreu und nisten gern in der Nähe anderer Paare ihrer Art. Weil wir Menschen die Fischjäger als unerwünschte Konkurrenten weitflächig ausgerottet haben, ist es entsprechend schwer, sie ins Fischadler-Niemandsland zurückzulocken«, erklärt Schmidt-Rothmund. Neben den Brutnachweisen in allen ostdeutschen Bundesländern ist Baden-Württemberg eines der wenigen westlichen Bundesländer, in denen die Fischadler brüten.

»Vielleicht werden wir hier tatsächlich Zeuge einer neuen Ära der Fischadlerausbreitung«Daniel Schmidt-Rothmund, NABU-Vogelschutzzentrum

Weitere Nachweise gibt es aus Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Letzteren haben den Badenern rund 30 Jahre Wiederbesiedlungserfahrung voraus: Im Jahr 1991 gab es wieder eine erfolgreiche Brut auf dem Truppenübungsplatz Bergen in der Lüneburger Heide, nachdem 1963 in der Nähe von Lüneburg der letzte Baum mit einem Fischadlernest gefällt worden war und die Art aus der Bundesrepublik verschwand.

In der DDR gab es ein Fischadler-Netzwerk und dem Horstschutz wurde dort eine große Bedeutung beigemessen, so dass die Fischadler überleben konnten. Es hat ehrenamtliche Horstbetreuer gegeben und ab 1965 regelte eine Horstschutzverordnung den Umgang mit den Fischadlern, die von den Forstwirtschaftsbetrieben verpflichtend umgesetzt werden musste (Horstschutz in Brandenburg). »Die Schutzmaßnahmen sind über die Wende gerettet worden. Man hat 1995 in Ostdeutschland ein Beringungsprogramm für Fischadler gestartet und bis heute rund 14 000 Vögel beringt«, erklärt Schmidt-Rothmund.

Dieses Netzwerk aus Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in Ostdeutschland sei vorbildlich für die anderen Bundesländer und anders als in manch anderem Verein funktioniere dort sogar der Generationenwechsel, der jüngste ehrenamtliche Beringer sei gerade 18 Jahre alt. »Ohne die unendliche Leidenschaft der ostdeutschen Fischadlerschützer wären wir auch gar nicht so weit gekommen«, betont Daniel Schmidt-Rothmund.

Manchmal kann der Biologe sogar schon Pionierbruten in vormals fischadlerfreiem Gebiet beobachten wie beispielsweise in der mittelfränkischen Seenlandschaft in Bayern. Womöglich brüteten manche der Vögel nicht mehr ausschließlich in der Nähe ihrer Ursprungsnester, sondern nutzen Nisthilfen, die sie auf ihrem Zug sehen. »Das ist ein für Fischadler völlig untypisches Verhalten«, erklärt Schmidt-Rothmund. »Vielleicht werden wir hier tatsächlich Zeuge einer neuen Ära der Fischadlerausbreitung.«

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