Ernährung: Warum Mahlzeiten im Flugzeug häufig ungenießbar sind
Eine Flugreise mag man angenehm finden oder auch nicht, aber in einem sind sich praktisch alle einig: Das Essen an Bord ist oft ungenießbar. Natürlich lässt sich das teils durch den langen Weg erklären, den die Mahlzeit zwischen Küche und Ausklapptischchen zurücklegen muss. Sie kühlt erst ab, dann wird sie im Flugzeug wieder aufgewärmt; allein das genügt, um als schlaffes Gemüse und verkochte Kartoffeln zu enden. Aber es steckt mehr dahinter: Über den Wolken schmeckt das Essen anders. Es scheint, als wäre der Geschmackssinn verkümmert, was man am deutlichsten daran sieht, dass viele Menschen in der Luft plötzlich Lust auf Tomatensaft bekommen.
Mit den faden Speisen soll endlich Schluss sein, fanden die Fluggesellschaften Lufthansa und Singapore Airlines sowie der Nahrungsproduzent Unilever. Unabhängig voneinander setzten sie Wissenschaftler darauf an, das Bordproblem zu lösen, warben Freiwillige für ausgiebige Geschmackstests an – und identifizierten gleich mehrere Ursachen des Phänomens.
Was passiert mit unseren Sinnen, wenn wir im Flieger sitzen? Um das zu beantworten, müssen wir uns zuerst den Bedingungen in der Atmosphäre in 10 000 Meter Höhe widmen, denn dort bewegt sich ein Flugzeug meist auf längeren Strecken. Etwa einen Kilometer über dem Gipfel des Mount Everest ist die Luft nicht zu vergleichen mit dem, was wir hier zu Lande gewohnt sind. Es ist eiskalt, und der Luftdruck ist sehr niedrig, weshalb wir nicht genug Sauerstoff zum Atmen haben. Darum wird der Druck in der Kabine künstlich hochgehalten und sinkt nicht unter jene Druckverhältnisse, die auf einer Skipiste in 2450 Meter Höhe in den Alpen herrschen.
Überirdische Umstände
Die Temperatur wird auf behagliche Zimmertemperatur gebracht, aber das bringt einen Nachteil mit sich: Wenn nämlich frische, eiskalte Luft von außen eingeführt wird, sinkt die Luftfeuchtigkeit beim Aufwärmen enorm, oft bis auf maximal zehn Prozent. Wegen der niedrigen Luftfeuchtigkeit ist es wichtig, viel zu trinken. Kohlensäurehaltige oder alkoholische Getränke sind dafür nicht geeignet. Aber selbst wenn man genug trinkt, kann die Trockenheit noch unangenehm sein. Haut und Nasenschleimhaut trocknen aus, mit Folgen: Wenn man nun etwas isst oder trinkt, dauert es länger, bis die Geruchs- und Geschmacksrezeptoren darauf ansprechen. Wie bei einer starken Erkältung kommen Gerüche und Geschmäcker also schwächer an. Deshalb schmeckt das Essen so fad.
Die erschwerenden Umstände wollte die Deutsche Lufthansa nicht als Grund für schlechtes Essen gelten lassen. In einem Labor des Fraunhofer Instituts für Bauphysik lud die Fluggesellschaft darum ein kleines Heer an Freiwilligen zu Kostproben in ein nachgebautes Flugzeug ein. Die Versuchspersonen bekamen die ganze Bandbreite von Speis und Trank aufgetafelt.
Das Ergebnis: Süßes und Salziges schmeckte um 30 Prozent weniger intensiv als unter normalen Bedingungen. Saure, würzige und bittere Geschmacksstoffe hingegen hinterließen einen unveränderten Eindruck. Und ein eigentlich schwerer Wein wiederum erschien plötzlich frisch und spritzig. Die deutsche Fluggesellschaft beschloss, den Testergebnissen gemäß ein paar Veränderungen an der Bordverpflegung vorzunehmen. Brote enthalten deshalb heute mehr Salz, weiße Saucen mehr Kräuter.
Lärm dämpft den Geschmack
Das niederländisch-britische Unternehmen Unilever verfolgte einen anderen Ansatz: Gemeinsam mit der University of Manchester untersuchte der Nahrungsmittelhersteller, wie Hintergrundgeräusche das Geschmacksempfinden beeinflussen. Tatsächlich entdeckten sie einen Zusammenhang: Je mehr sich jemand während des Essens von Geräuschen belästigt fühlte, desto schlechter urteilte er über den Geschmack. Erneut waren davon lediglich süße und salzige Speisen betroffen – jene Geschmackseindrücke also, die auch unter der Höhe gelitten hatten.
Manche Fluggesellschaften versorgen ihre Passagiere in der ersten Klasse deshalb schon seit einiger Zeit mit Kopfhörern, die Umgebungsgeräusche filtern. Das scheint einfacher zu sein, als für Ruhe zu sorgen. Geräusche beeinträchtigen den Geschmack übrigens nur dann, wenn sich jemand davon gestört fühlt. Handelt es sich um laute Musik, die aber den eigenen Vorlieben entspricht, stört sie den kulinarischen Genuss nicht. Auch das Stimmengewirr in einem belebten Restaurant empfinden die Gäste meist nicht als unangenehm.
Eine Mahlzeit zuzubereiten, die im Flugzeug schmeckt, stellt Köche also gleich vor mehrere Probleme. Auch die Singapore Airlines gehen deshalb neue Wege. In ihrem Hauptquartier haben sie eine Kammer eingerichtet, in der sie Druck und Feuchtigkeit der Luft im Flugzeug simulieren können. Küchenpersonal und Weinkenner verkosten dort neue Rezepte und Weine, bevor diese an Bord serviert werden. Unter der Leitung des deutschen Chefkochs Hermann Freidanck entwirft die Airline alle vier Monate ein neues Menü. Eine Gruppe von neun Chefköchen, darunter der britische Küchenvirtuose Gordon Ramsay, überlegt sich, was die oberen Klassen aufgetischt bekommen. Vorab werden die Mahlzeiten in der speziellen Druckkabine getestet.
Die größte Herausforderung steht dann noch bevor: das Aufwärmen an Bord. Denn die Sternegerichte kommen nicht einfach in die Mikrowelle. Jeder Gang wird gesondert behandelt, um dabei die nötige Wassermenge überwachen zu können. Das ist wichtig für den Geschmack, denn beim Erhitzen werden manche Teile des Mahls pappig, während andere austrocknen. Für die Passagiere in der Economy Class wird weniger Aufwand betrieben: Zwischen die feuchteren und die trockeneren Bestandteile platzieren die Köche zum Beispiel eine Lage Gemüse.
Die Sache mit dem Tomatensaft
Fades Flugzeugfutter muss demnach nicht sein. Mit etwas mehr Salz und Zucker sowie einem Hightech-Kopfhörer schmeckt es in der Luft ebenso gut wie am Boden. Eine zunehmende Zahl von Fluggesellschaften bietet inzwischen gutes Essen an, wenn auch nur den Passagieren der ersten Klasse. Bleibt noch eine Frage offen: Warum bestellen Menschen im Flieger auffällig oft Tomatensaft? Die naturwissenschaftliche Antwort lautet: Das liegt daran, dass dessen herzhaftes Aroma besser erhalten bleibt als süßes, und noch dazu kann man kein anderes Getränk so einfach mit Salz und Pfeffer aufpeppen. Aber eine mindestens ebenso gute Erklärung ist rein psychologischer Natur: Zu Hause trinkt man meist keinen Tomatensaft, und im Übrigen bestellen die anderen Passagiere auch welchen! Geschmack ist eben vor allem Kopfsache.
(Der Text erschien im Original unter dem Titel »De wetenschap van de vliegtuighap« beim niederländischen Onlinemagazin »Nemo Kennislink«.)
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