Wikinger: Im Norden mehr Hauen und Stechen
Die Nordmänner gelten als raubeiniges Volk, das seinen Lebensunterhalt gerne mit Raubzügen an fernen Küsten bestritt. Auch untereinander waren die einstigen Bewohner Skandinaviens nicht zimperlich – zumindest wenn sie auf dem Gebiet des heutigen Norwegens lebten. Ganz anders dagegen in Dänemark, wie Forscher jetzt aus dem Vergleich von Skelettresten, Waffenfunden, Bauten und Runensteinen aus beiden Ländern schließen. Demnach pflegten die »Norweger« eine ausgeprägte Haudrauf-Mentalität, während die »Dänen« eher selten aufeinander eindroschen. Bei ihnen ging die Gewalt vielmehr von einer herrschenden Elite aus.
Damit widerlegt ein Wissenschaftlerteam um den Archäologen Jan Bill vom Kulturhistorischen Museum in Oslo und den Soziologen David Jacobson von der University of South Florida die bisherige Annahme, dass die Gewaltkultur in der Wikingerzeit, die von rund 800 n. Chr. bis etwa 1050 n. Chr. dauerte, diesseits und jenseits des Skagerraks vergleichbar war.
Mit ihrer Studie, veröffentlicht in der September-Ausgabe des »Journal of Anthropological Archaeology«, betreten die Forscher methodisches Neuland. So setzen sie Hinweise auf Gewaltanwendung wie Verletzungen an Knochen mit allgemeinen gesellschaftlichen Praktiken wie Bestattungsarten, Bautätigkeit und sozialen Organisationsformen zueinander in Beziehung. »Der interdisziplinäre Ansatz dieser Studie zeigt uns, wie soziale und politische Muster aufgedeckt werden können, selbst wenn es nur wenige schriftliche Quellen gibt«, sagt David Jacobson in einer begleitenden Pressemitteilung. An der Arbeit waren auch Experten des Deutschen Verbands für Archäologie beteiligt.
18 von 30 Nordmännerskeletten, die auf dem Gebiet des heutigen Norwegens gefunden wurden, weisen Verletzungen durch Waffen auf. Das deutet nach Ansicht der Forscher darauf hin, dass Zoff, der in Gewalt ausartete, hier keine Seltenheit darstellte. Unter den 18 Skeletten mit Traumaspuren waren auch fünf von Frauen; insgesamt stammten 12 der 30 untersuchten Skelette von Frauen. Elf Skelette (37 Prozent), darunter zwei von Frauen, offenbarten gar Anzeichen für tödliche Verletzungen – und zwar allesamt durch Hieb- und Stichwaffen.
Die Skelettreste von Nordmännern und -frauen aus dem heutigen Dänemark zeugen hingegen kaum von Verletzungen durch spontanen Waffengebrauch. Hier zeigt sich ein ganz anderes Muster: nämlich von Hinrichtungen, vorzugsweise durch Enthauptung. Von den insgesamt 82 untersuchten dänischen Skeletten – darunter 41, die eindeutig Frauen zugeordnet werden konnten – weisen fünf entsprechende Verletzungen auf. Hinzu kommt noch eines mit deutlichen Hinweisen auf Erhängung. Damit starben hier nur sieben Prozent eines gewaltsamen Todes, und zwar wohl ausschließlich Männer.
Den Wikingern des Nordens lagen Waffen offensichtlich sehr am Herzen. Nicht selten legten sie diese auch ihren Toten mit ins Grab. Anhand von Museumsdatenbanken zählten die Studienautoren für Norwegen mehr als 3000 Schwerter seit der späten Eisenzeit, während sich für Dänemark nur 80 Schwerter als Grabbeigaben identifizieren ließen.
»Die Ergebnisse überraschen, da man bisher davon ausging, das soziale Gefüge im wikingerzeitlichen Skandinavien sei weitgehend einheitlich gewesen«David Jacobson, Soziologe, University of South Florida
Die Wissenschaftler erklären die abweichenden Muster im Umgang mit Waffen und Waffengewalt mit Unterschieden in den gesellschaftlichen Strukturen. Demnach war die dänische Gesellschaft der Wikingerepoche viel strenger geordnet als die norwegische, mit einer durchgreifenden Machtelite an der Spitze. Davon zeugen sowohl Hinweise auf soziale Hierarchien auf Runensteinen als auch die für Dänemark typischen linearen Verteidigungsanlagen in Form von Wällen und Mauern zum Schutz größerer Gebiete. Diese monumentalen Bauten – teils im 10. Jahrhundert unter König Harald Blauzahn entstanden – hätten nur entstehen können, weil die Menschen in der Lage und gewohnt gewesen seien, Arbeitsprozesse zentral zu organisieren.
Die Studienautoren ziehen noch weiter reichende Schlüsse. So werten sie die Ergebnisse ihrer Arbeit als Beleg dafür, dass die Gewalt in einer Gesellschaft umso mehr eingedämmt wird, je klarer diese von einer zentralen Macht ausgeübt wird: »Je steiler die Sozialpyramide, desto niedriger das Ausmaß der Gewalt.«
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