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Primatologie: Wilde Gestikulierer

Der Instinkt regiert im Tierreich – auch in Sachen Kommunikation. Doch jetzt trauen Forscher nicht nur dem Menschen, sondern auch Schimpansen und Bonobos zu, bewusst Gesten einzusetzen. Liegt im Gedankenaustausch per Hand sogar der Ursprung menschlicher Sprache begründet?
Schimpanse beim Gestikulieren
Wenig Glück hat, wer einen Affen zum Reden bringen will. Denn allein schon die Anatomie seines Kehlkopfes wird diesem einen Strich durch Rechnung machen – zu differenzierter Lautbildung und Artikulation sind weder Schimpansen noch Gorillas fähig. Vielversprechender ist da schon der Einsatz der Gebärdensprache, wie das prominente Beispiel des Schimpansenweibchens Washoe beweist: Seit 1967 erlernte sie rund 200 Gebärden der Gehörlosen.

Geht es nach ihrem Betreuer Roger Fouts und seinen Kollegen, konnte sie damit recht gut über ihre Ansichten, Wünsche und Gefühle Auskunft geben. Doch ob Washoe und die Affen aus ähnlichen Experimenten nun tatsächlich sprachlich kommunizieren können oder nur geschickt konditioniert wurden, ist immer noch Gegenstand heftiger Debatte.

Junger Bonobo | Ein junger Bonobo unterstützt seine sexuellen Avancen einem Weibchen gegenüber mit der typischen "Arm-Hebe-Geste".
Dass Affen auch in freier Wildbahn nicht nur über ein gewisses Repertoire an Lauten und Gesichtsausdrücken verfügen, sondern auch Gesten zur Kommunikation mit ihren Artgenossen einsetzen, ist schon länger bekannt. Fraglich ist indes, wie viel diese Handzeichen mit Sprache zu tun haben. Sind die Gesten untrennbare Begleiterscheinungen bestimmter Zustände wie Angst, Wut oder Freude, die im Wesentlichen vom Instinkt kontrolliert werden oder kann die Verknüpfung von Zeichen und Bedeutung variieren und so Raum für ein Eingreifen des Großhirns lassen? Erst in letzterem Fall könnten die Gesten in die Nähe einer Sprache gerückt werden.

Helfen und Futtern

Amy Pollick und Frans de Waal vom Primatenforschungszentrum der Emory-Universität in Atlanta wollten nun genau dies zeigen, indem sie das natürliche Gestikulieren der uns am nächsten verwandten Menschenaffen, den Schimpansen (Pan troglodytes) und den Bonobos (Pan paniscus), auf zwei zentrale Eigenschaften hin untersuchten.

Zum einen ermittelten die Forscher, ob bei den Schimpansen in der Studie ein und dasselbe Handzeichen etwas anderes bedeutete als bei den Bonobos. Tatsächlich zeigte sich, dass einige Gesten vollständig unterschiedliche Funktionen zu haben scheinen, während Gesichtsausdrücke und Rufe bei beiden immer mehr oder weniger das gleiche bedeuten. Ein Schrei etwa zeigte an, dass sich ein Pan angegriffen fühlte – sei es nun ein troglodytes oder ein paniscus.

Zum anderen stellten sie fest, dass die Affen eine bestimmte Geste in ganz unterschiedlichen Situationen gebrauchten: Eine offene Hand am ausgestreckten Arm etwa konnte einerseits „gib mir Futter ab!“ bedeuten, wenn der Angesprochene mit Fressen beschäftigt war. Bei einer Auseinandersetzung konnte dieselbe Geste aber auch eine Bitte um Hilfe ausdrücken.

Gestikulieren lernen

Nun könnte man zwar vermuten, dass in beiden Fällen der eine Affe den anderen im ganz allgemeinen Sinne um Unterstützung bittet. Für de Waal und Kollegin war jedoch nicht entscheidend, ob sich ein abstrakter Sinn einer Geste konstruieren ließe, sondern ob ein Handzeichen ausschließlich auf einen einzelnen Ausschnitt im Verhaltensrepertoire eines Affen (wie der Konfliktbewältigung, Nahrungsaufnahme oder Aggression) beschränkt war. Dies sei für die Mimik und vor allem Lautäußerungen typischerweise der Fall, so ihr Ergebnis. Signale mit der Hand und bisweilen auch den unteren Extremitäten müssen hingegen stets im aktuellen Zusammenhang von den Affen interpretiert werden.

Beide Eigenschatten sprächen deutlich für eine große Flexibilität im Zeichengebrauch, schlussfolgern die Forscher, was sowohl bedeutet, dass eine kognitive Kontrolle der Kommunikation gefordert ist, als auch dass Gesten und ihre Funktionen im Laufe des Lebens erlernt werden müssen. So wird mehr Raum für Veränderung und Anpassung geschaffen, als wenn die Signale starr an den Instinkt gebunden wären. Auch können einzelne Gruppen sich in ihren Traditionen unterscheiden und verschiedene Verwendungsweisen – mit anderen Worten: unterschiedliche Kulturen – etablieren.

Zur Geste "ausgestreckte Hand" kommt ein spezieller Gesichtsausdruck | Der junge Schimpanse fordert ein dominantes Tier auf, ihm das gestohlene Futter zurückzugeben. Dabei kombiniert er die "aufwärts ausgestreckte Hand" mit dem Gesichtsaudruck "stummes Zähneblecken".
Die Forscher gehen sogar noch einen Schritt weiter: In der Gestenkommunikation und nicht in den Tierlauten könnte der Ursprung der menschlichen Sprache liegen. Damit schließen sie sich einer in den letzten Jahren immer populärer werdenden Hypothese an, die diesen Zusammenhang beispielsweise auch in der Gehirnevolution bestätigt sieht. Das Areal in der Großhirnrinde, das bei Affen dafür zuständig ist, Bewegungen des Gegenübers als sinnvoll zu deuten, entwickelte sich aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem der beiden Sprachzentren des modernen Menschen.

Bonobos, deren Gesten oft zielgerichtet von bestimmten Gesichtsausdrücken begleitet zu werden scheinen, hält de Waal für die kommunikativ am weitesten entwickelte Affenart. Als Modell für die sich anbahnende Sprachfähigkeit früher Menschen seien sie daher am besten geeignet.

Ob deshalb Washoe, dem jedes Kleinkind mit Blick auf die Kommunikation den Rang abläuft, in den erlauchten Kreis sprachbegabter Tiere aufgenommen werden muss, ist freilich nach wie vor fraglich. Die neuen Erkenntnisse deuten jedenfalls daraufhin, dass wenigstens der absichtliche Gebrauch von Zeichen im Rahmen der Fähigkeiten eines Affen liegen – auch wenn ihnen das kommunizieren nicht so leicht von der Hand gehen dürfte wie uns Menschen.

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