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Kohlenstoffkreislauf: Wolf, Elch und Gnu als Klimaretter

Wildtiere können helfen, große Mengen Kohlenstoff im Boden einzulagern. Ihre Wiederansiedlung ist eine unterschätzte Chance für den Klimaschutz, sind sich Fachleute sicher.
Eine Gnu-Herde im Serengeti, Tansania
Eine Herde Gnus weidet im Serengeti-Nationalpark in Tansania. Vor allem in offenen Lebensräumen wie Savannen verhindern Hunderttausende von Gnus, Zebras und anderen großen Pflanzenfressern, dass das Gras dort übermäßig wächst, und tragen so zum Brandschutz bei.

Bis zur Jahrhundertmitte sollen alle Staaten dieser Erde klimaneutral wirtschaften. Darauf haben sich die Regierungsvertreter im Jahr 2015 in Paris geeinigt. Wie sich die Treibhausgasemissionen schnell und drastisch reduzieren lassen, darum wird derzeit bei der 28. Weltklimakonferenz in Dubai gerungen. Doch so viel steht fest: Um die globale Erwärmung zu begrenzen, muss nach Berechnungen des Weltklimarats ein großer Teil der bereits ausgestoßenen Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre entfernt und möglichst dauerhaft fixiert werden.

Technologien, die dabei helfen sollen, diese »Negativemissionen« zu erreichen, werden allerdings sehr kontrovers diskutiert. Die technische Abscheidung und anschließende Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund (carbon dioxide capture and storage, kurz: CCS) sei teuer, verbrauche selbst riesige Mengen an Energie und stecke voller Risiken für die Umwelt, wenden Kritiker immer wieder ein. Ein internationales Forschungsteam schlägt nun einen anderen Weg vor, die Lücke zu schließen: Einstmals ausgerottete Tierarten sollen regional wiederangesiedelt und ihre Populationen besser geschützt werden. Und dort, wo sich Arten wie Wolf, Wisent oder Elch von allein wieder ausbreiten, gelte es, sie zu erhalten statt zu bekämpfen.

»Vor allem große, Pflanzen fressende Wildtiere können helfen, den Kohlenstoffkreislauf zu beleben und große Mengen Kohlenstoff im Boden einzulagern«, sagt Jens-Christian Svenning vom Danish National Research Foundation Center for Ecological Dynamics in a Novel Biosphere (ECONOVO) an der Universität Aarhus in Dänemark. Der Ökologe hat sich zusammen mit 14 anderen Kolleginnen und Kollegen aus acht verschiedenen Ländern angeschaut, wie große Land- und Meeresbewohner zum Klimaschutz beitragen können, und die Ergebnisse im Fachmagazin »Nature Climate Change« publiziert. »Tiere reißen den Boden auf der Suche nach Nahrung auf, sie scharren, graben und wühlen, während sie an anderen Stellen den Boden verdichten, indem sie in großen Gruppen darübertrampeln«, erklärt der Forscher. »Außerdem fressen sie die Vegetation an der einen Stelle weg und scheiden die darin enthaltenen Nährstoffe an einer anderen wieder aus. Nicht zuletzt fördern sie die Fortpflanzung von Bäumen, indem sie die Samen transportieren.«

Natürliche Lösungen für den Klimaschutz

Zwar sei es mittlerweile Konsens, dass natürliche Ökosysteme wie Wälder, Ozeane und Moore eine herausragende Rollen für den Klimaschutz spielen, sagt Svenning. »Der Beitrag von Wildtieren innerhalb dieser Ökosysteme wird aber immer noch deutlich unterschätzt.« Tatsächlich gelten die Klimaleistungen natürlicher Ökosysteme als unentbehrlich, um die Klimaziele der Weltgemeinschaft zu erreichen. Seit Beginn der Industrialisierung haben sie der Menschheit eine Erwärmung um mehrere Grad erspart. Allein im letzten Jahrzehnt haben die Wälder, Moore, Ozeane und Savannen des Planeten nach Berechnungen des Weltklimarats mehr als die Hälfte der vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen absorbiert. In Europa etwa neutralisieren die Wälder rund zehn Prozent aller Treibhausgasemissionen. Die EU plant im Zuge ihres Klimaschutzprogramms Green Deal, bis 2030 drei Milliarden Bäume neu anzupflanzen.

Solche als »naturbasierte Lösungen« bezeichneten ökologischen Ansätze seien unverzichtbar, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist sich auch Svenning sicher. Dabei aber nur die direkten Beiträge der Vegetation zum Kohlenstoffhaushalt zu betrachten, greife zu kurz, kritisiert der Forscher. Weil auch die in ihnen lebenden Tiere einen großen Anteil am Kohlenstoffhaushalt von Ökosystemen hätten, biete die Stärkung von deren Populationen die Chance, die Klimaschutzleistungen noch einmal deutlich zu verbessern. Denn wie Kohlenstoff von Ökosystemen aufgenommen und gespeichert werde, ändere sich grundlegend, sobald dort Tiere leben, erläutert Svenning. Experimentelle Untersuchungen hätten belegt, dass dort, wo wilde Tiere anwesend sind, bis zu 250 Prozent mehr Kohlenstoff in Pflanzen, Böden und Sedimenten gespeichert wird als bei ihrer Abwesenheit.

Auf Basis früherer Untersuchungen haben die Wissenschaftler in ihrer Arbeit die konkreten Klimaschutzbeiträge von neun Wildtierfamilien zusammengestellt. Diese reichen von Ozeanbewohnern wie bestimmten Fischen, Walen und Haien über Landraubtiere wie Wölfe und Otter bis hin zu großen Pflanzenfressern wie Gnus, Waldelefanten, Moschusochsen und Bisons. Würden die oft stark dezimierten Populationen wieder auf ein stabiles Ausmaß gebracht und besser geschützt, könnten der Analyse zufolge jedes Jahr 6,41 Milliarden Tonnen Kohlendioxid zusätzlich in den Ökosystemen gebunden werden. Das entspräche 95 Prozent der Menge, die jedes Jahr aus der Atmosphäre geholt werden muss, um die globale Erwärmung tatsächlich unter der vereinbarten Schwelle von 1,5 Grad zu halten.

Global betrachtet bringt der Analyse zufolge der Schutz der Fischbestände in den Meeren am meisten für den Klimaschutz. Auf dem europäischen Festland könnten je nach Lebensraum mit der Ansiedlung oder dem Schutz der Restpopulationen großer Pflanzenfresser wie Wisenten, Wildrindern, Wildpferden und Wasserbüffeln die besten Effekte erzielt werden. Ebenso können große Fleischfresser wie Wolf und Luchs mit stabilen Beständen eine positive Rolle spielen – nicht zuletzt, weil sie mittelgroße, Pflanzen fressende Tiere wie Rehe in Bewegung halten und so beispielsweise den Verbiss von jungen Bäumen reduzieren.

»Wenn sich wilde Ökosysteme mit den darin lebenden Tieren auf großer Fläche erholen können, wäre das enorm hilfreich für die Speicherung großer Mengen an Kohlenstoff«Jens-Christian Svenning, Ökologe

Auch kleinere Tiere wie Vögel, Otter und Biber erbringen wichtige Klimaschutzleistungen, die keinesfalls ignoriert werden sollten. Zwar führe kein Weg daran vorbei, die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren, wenn ein katastrophales Ausmaß des Klimawandels verhindert werden solle, unterstreicht auch Svenning. »Wenn sich aber wilde Ökosysteme mit den darin lebenden Tieren auf großer Fläche erholen können, wäre das enorm hilfreich für die Speicherung großer Mengen an Kohlenstoff.«

In ihrer Analyse verweisen die Forschenden beispielhaft auf die Rolle großer Tierherden in der vom Klimawandel besonders stark betroffenen Arktis. Moschusochsen verdichten dort den Schnee, wodurch der Boden gefroren bleibt. So leisten die Tiere einen Beitrag dazu, dass das im Permafrost gespeicherte Treibhausgas Methan auch bei steigenden Temperaturen nicht freigesetzt wird.

Tierschwund machte aus der Serengeti eine Kohlenstoffquelle

Ein weiterer wichtiger Beitrag von Wildtieren zum Klimaschutz ist den Autoren zufolge, dass sie Flächenbrände unterbinden. Vor allem in offenen Lebensräumen wie Savannen verhindern Hunderttausende von Gnus, Zebras und anderen großen Pflanzenfressern, dass das Gras dort übermäßig wächst, und beugen so dem Risiko vor, dass Feuer ausbrechen. Ein Blick in die Serengeti zeigt, dass dies keine theoretischen Überlegungen sind. Dort hatten Hausrinder in den 1920er Jahren die inzwischen ausgerottete Rinderpest auf Wildtiere übertragen. Die riesige Gnu-Population brach von mehr als einer Million Tiere auf weniger als 300 000 zusammen. Die verbliebenen Tiere schafften es nicht, die großräumige Landschaft vollständig zu beweiden. Die Folge: häufigere und stärkere Buschbrände, die so viel Kohlenstoff freisetzten, dass die Serengeti, die zuvor eine wichtige Kohlenstoffsenke war, zu einer Nettoquelle für CO2 wurde. Nachdem das Virus ausgerottet worden war und sich die Gnus erholt hatten, verwandelte sich die Savanne wieder in einen wichtigen Kohlenstoffspeicher.

»Es wird Zeit, die Klimakrise in Partnerschaft mit Wildtieren anzugehen. Sie sind die unbesungenen Helden des Klimaschutzes«International Fund for Animal Welfare

Wie in Afrika könne der Rückgang oder gar das Aussterben von Tierpopulationen die von ihnen bewohnten Ökosysteme auch andernorts von Kohlenstoffsenken zu Treibhausgasquellen machen, warnen die Forscher in ihrer Studie. Diese Erkenntnis ist in Zeiten des anhaltenden Artenschwunds besonders relevant: Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Bedeutung für den Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel immer wichtiger wird, ringen mehr und mehr Arten und Restpopulationen um ihr Überleben. Dem jährlich vom Umweltverband WWF vorgelegten Living Planet Index zufolge gingen die weltweiten Wildtierpopulationen in den vergangenen 50 Jahren um fast 70 Prozent zurück.

Vor diesem Hintergrund gelte es das natürliche Comeback großer Tiere zu unterstützen, statt ihre Wiederansiedlung zu bekämpfen, sagt Svenning. Die Debatte darüber, die Bestände von Wölfen, Ottern oder Bibern einzudämmen, gehe auch deshalb in eine falsche Richtung. Raubtiere an der Spitze der Nahrungskette spielten eine gewichtige Rolle innerhalb eines Lebensraums. Sie durch Bejagung weiter zu schwächen, schwäche das Ökosystem insgesamt – und damit seinen Beitrag zum Klimaschutz.

Die Rolle von Wildtieren in der Klimakrise wird dieser Tage erstmals auch auf der Weltklimakonferenz Thema sein. Naturschützer wollen dort eine Studie zum Potenzial des Wildtierschutzes im Kampf gegen den Klimawandel in den am wenigsten entwickelten Ländern vorlegen. »Es wird Zeit, die Klimakrise in Partnerschaft mit Wildtieren anzugehen«, erklärte die internationale Tierschutzorganisation International Fund for Animal Welfare vorab. »Sie sind die unbesungenen Helden des Klimaschutzes.«

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