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Biochemie: Winterfest

Der Lebensraum der Schneespringschwänze wirkt eher ungemütlich: Schnee und Eis. Doch die Urinsekten scheinen sich hier pudelwohl zu fühlen. Zwei jetzt neu entdeckte Proteine helfen ihnen dabei.
Schneespringschwanz
H2O lautet die schlichte Formel des Lebenselixiers. Im Wasser wagte das Leben seine ersten Schritte, hauptsächlich aus Wasser besteht jedes Lebewesen, Wasser ist Reaktionspartner und Lösungsmittel des Stoffwechsels.

Zu den ungewöhnlichen Eigenschaften der lebenswichtigen Substanz gehört das merkwürdige Verhalten beim Erstarren: Sie dehnt sich aus. Damit erlaubt Wasser einerseits ein Überleben unter einer geschlossenen Eisdecke, da das leichtere Eis oben schwimmt und ein Durchfrieren eines Sees verhindert oder zumindest verzögert. Andererseits bekommen Lebewesen erhebliche Schwierigkeiten, wenn es in ihrem Innern frostig wird. Denn das ausdehnende Eis braucht mehr Platz als eine Zelle bieten kann. Selbst wenn die Zelle den erhöhten Platzbedarf beim Einfrieren noch irgendwie ausgleichen könnte, zerschneiden die entstehenden Eiskristalle jede Zellmembran. Spätestens das Wiederauftauen endet tödlich.

Wer also hofft, sich einfrieren und in einer besseren Zukunft wieder aufwachen zu können, wird enttäuscht werden. Mediziner wären allerdings froh, wenn sie über Mittel und Wege verfügen könnten, möglichst tief in der Temperaturskala hinabzugleiten, ohne sich von Eiskristallen das Leben schwer zu machen. Denn je kälter beispielsweise Organe für Transplantationen gelagert und transportiert werden, desto länger halten sie sich. Der Gefrierpunkt des Wassers setzt hier jedoch eine natürliche Grenze.

Aber dennoch existieren etliche Organismen, denen frostige Temperaturen nur wenig zusetzen. So leben in der Antarktis Fische bei Temperaturen, bei denen ihnen eigentlich das Blut in den Adern gefrieren müsste. Sie schützen sich mit bestimmten Frostschutzproteinen, die den Gefrierpunkt ihrer Körperflüssigkeiten herabsetzen.

Frostschutzproteine | Frostschutzproteine lagern sich an der Grenzschicht zwischen unterkühltem Wasser und gefrorenem Eis an. Dadurch vergrößert sich die Oberfläche der Grenzschicht, wodurch wiederum das weitere Anwachsen der Eiskristalle energetisch ungünstiger wird.
Auch Insekten wenden ähnliche Tricks an, um in eisiger Umgebung zu überleben. Derartige Wesen fielen der Biochemikerin Laurie Graham von der kanadischen Universität in Kingston zufällig beim Skifahren auf. "Es war einfach Glück", erzählt sie. "Sie sahen aus wie Pfefferkörnchen im Schnee."

Im Labor entpuppten sich die "Pfefferkörner" als Exemplare von Hypogastrura harveyi, die wiederum zu den Schneespringschwänzen gehören. Dabei handelt es sich um flügellose Urinsekten, die sich – wie der Name schon verrät – bei Eis und Schnee erst so richtig wohl fühlen.

"Sie sahen aus wie Pfefferkörnchen im Schnee"
(Laurie Graham)
Und die Tierchen hatten es in sich: Homogenisierter Schneespringschwanzsaft gefror erst bei minus 5,8 Grad Celsius. Zusammen mit ihrem Kollegen, dem Proteinchemiker Peter Davies, gelang es der Forscherin schließlich, das frostige Geheimnis der Springschwänze zu lüften.

Die Wissenschaftler konnten zwei Proteine isolieren, die zu mehr als 45 Prozent aus der Aminosäure Glycin bestehen. Als sie das entsprechende Gen in Escherichia coli einbauten, produzierten die Bakterien tatsächlich fleißig ein wirksames Frostschutzmittel.

Vermutlich lagern sich die Gefrierschutzproteine an der Übergangszone zwischen Wasser und Eis an, vergrößern damit die Oberfläche der Grenzschicht und verzögern so die Eiskristallbildung. Damit wirkt das Springschwanz-Frostschutzmittel wie die auch bei anderen Tieren gefundenen Substanzen. Dennoch unterscheiden sie sich im molekularen Aufbau sowie im Verhalten, wie Davies zu berichten weiß: "Im Gegensatz zu Käfern und Schmetterlingen zerfallen die Frostschutzproteine der Schneespringschwänze bei höheren Temperaturen und verlieren ihre Struktur." Diese Unterschiede deuten darauf hin, dass der Frostschutz bei Insekten mehrfach unabhängig von der Evolution erfunden worden sein muss.

Die Selbstauflösungseigenschaften der Urinsektenproteine werden jedoch nicht nur Evolutionsbiologen, sondern auch Transplantationsmediziner interessieren, meint Davies: "Eingesetzt zur Haltbarmachung von Transplantaten könnten sie aus dem Patienten sehr leicht wieder entfernt werden, bevor gefährliche Antikörper entstehen."

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