Winterkrieg von 1939/40: Der Krieg, der bekannt vorkommt
Die Geschichte wiederholt sich: Neben dem konkreten Leid, das der Krieg in der Ukraine verursacht, ist es dieser Eindruck, der viele Menschen fassungslos und besorgt macht. Denn der russische Angriff weckt im kollektiven Gedächtnis Erinnerungen an einige der verhängnisvollsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Es scheint auf den ersten Blick nahezuliegen, die aktuelle Situation mit der Spirale der Eskalation zu vergleichen, die zum Beginn des Ersten Weltkriegs führte, oder mit dem deutschen Überfall auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste.
Während sich die tatsächlichen Parallelen zwischen dem Ukraine-Krieg und den historischen Großereignissen des vergangenen Jahrhunderts jedoch recht schnell erschöpfen, wirkt ein weniger bekannter Konflikt, der sich im Fahrwasser des Zweiten Weltkriegs ereignete, geradezu wie die Vorlage für das derzeitige Geschehen. Im November 1939 überfallt die Sowjetunion das benachbarte Finnland und beginnt damit den so genannten Winterkrieg. Vordergründig geht es um russische Sicherheitsinteressen. In Wahrheit will Diktator Josef Stalin das wenige Jahrzehnte zuvor unabhängig gewordene Land zurück in die sowjetische Einflusssphäre zwingen. Doch aus dem sicher geglaubten schnellen Sieg wird nichts: Die Finnen, obwohl militärisch um ein Vielfaches unterlegen, leisten erbitterten Widerstand – und die ganze Welt feiert sie dafür.
Seit 1809 war das Land im Nordosten Europas, nachdem es jahrhundertelang zu Schweden gehört hatte, Teil des russischen Zarenreichs gewesen. Ein mit zahlreichen Autonomierechten privilegierter Teil: Das Großfürstentum Finnland verfügte über ein eigenes Parlament und verwaltete sich weitgehend selbst. Wer von der russischen Hauptstadt Sankt Petersburg 50 Kilometer nach Norden reiste, musste an der Grenze seinen Pass vorzeigen, Güter verzollen und traf auf Beamte, die des Russischen oft nicht einmal mächtig waren.
Finnlands Unabhängigkeitserklärung von 1917
In dem zunehmend von Nationalismus geprägten Klima, das sich auch in Russland am Ende des 19. Jahrhunderts breitmachte, wurde der finnische Sonderstatus allmählich als Zumutung empfunden. Der Zar reagierte, indem er die Autonomierechte einschränkte und dem Großfürstentum eine Russifizierungspolitik verordnete. Der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten und gipfelte 1904 in der Ermordung des verhassten Generalgouverneurs Nikolai Iwanowitsch Bobrikow durch den jungen finnischen Nationalisten Eugen Schauman, der sich kurz nach der Tat das Leben nahm.
So wundert es nicht, dass die Bevölkerung unter dem Eindruck zunehmender Repressalien und eines erwachenden finnischen Nationalbewusstseins die erste Gelegenheit ergriff, um sich von der Fremdherrschaft zu befreien. Mit der Oktoberrevolution und dem Sturz des Zaren im Jahr 1917 war es so weit: Finnland erklärte sich zu einem unabhängigen Staat. Die Bolschewiki, ganz mit der Festigung ihrer Macht beschäftigt, erkannten die Unabhängigkeit bald darauf an. 1920 einigte man sich schließlich auf den genauen Grenzverlauf, der weitgehend dem des ehemaligen Großfürstentums Finnland entsprach. Aus der zuvor innerrussischen Grenze, die nur existiert hatte, um den Finnen ein Gefühl der Autonomie zu geben, war nun eine tatsächliche Außengrenze geworden. Sie verlief 50 Kilometer nördlich von Sankt Petersburg, das inzwischen Petrograd und ab 1924 Leningrad hieß. Genau diese Grenze sollte Jahre später zum Auslöser des Winterkriegs werden.
Im Herbst 1939 saßen die Bolschewiki längst fest im Sattel. Diktator Josef Stalin hatte in der Sowjetunion die Macht ergriffen und durch Terror gefestigt. Auch von außen schien ihm niemand gefährlich werden zu können. Mit Deutschland, dem potenziellen Hauptfeind, hatte Russland im August einen Nichtangriffspakt geschlossen. Vor allem aber hatten beide Regierungen in einem geheimen Zusatzprotokoll ihre Interessensphären in Osteuropa aufeinander abgestimmt und nach dem koordinierten Angriff auf Polen noch einmal nachjustiert.
Demnach sollte Deutschland das bereits annektierte Westpolen erhalten, während Ostpolen sowie das Baltikum und Finnland dem sowjetischen Einflussbereich zugesprochen wurden. Stalin hatte es eilig mit der Umsetzung: Kurz nachdem die Rote Armee Mitte September das östliche Polen besetzt hatte, wurden die baltischen Länder gezwungen, Beistandsverträge mit der UdSSR abzuschließen und Militärstützpunkte auf ihrem Gebiet zu dulden, wodurch sie de facto zu Vasallenstaaten wurden. Am 5. Oktober erreichte die finnische Regierung schließlich eine Einladung, Gesandte nach Moskau zu schicken, da es »konkrete politische Fragen« zu besprechen gelte.
Stalins Forderungen
Nach den Ereignissen der letzten Wochen konnte das nichts Gutes bedeuten. Die Regierung des jungen finnischen Staates, noch unerfahren auf dem Parkett der Weltpolitik, hatte die Hoffnung, sich aus den Konflikten der Großmächte heraushalten zu können. Gleichzeitig saß das Misstrauen gegenüber der alten Besatzungsmacht so tief, dass die nach Moskau entsandten Diplomaten kaum mit Handlungsspielraum ausgestattet waren, um etwaigen Forderungen entgegenzukommen. Eine Ahnung, worin diese bestehen könnten, dürfte man in Helsinki bereits gehabt haben.
Schon im Sommer 1938 hatte die sowjetische Seite ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, dass Finnland zu einem Aufmarschgebiet für Feinde der UdSSR werden könnte – und in diesem Zuge Sicherheitsgarantien gefordert. Solche Garantien hatte die finnische Regierung bereits mehrfach gegeben. Die Gegenseite ließ jedoch durchblicken, dass man sich vor allem mit sowjetischen Soldaten auf finnischem Boden sicher fühlen würde.
Nun, im Oktober 1939, wurden die Forderungen konkreter. Stalin verlangte, wie schon bei den baltischen Staaten, einen Beistandspakt und vor allem eine Revision der Grenze, auf die man sich 1920 geeinigt hatte. Finnland sollte einen beträchtlichen Teil der Karelischen Landenge, jenes breiten Streifens zwischen dem Finnischen Meerbusen im Westen und dem Ladogasee im Osten, an die UdSSR abtreten. Als Ausgleich wurde ein etwa doppelt so großes Stück Land in Ostkarelien angeboten, das allerdings kaum bewohnt war.
Darüber hinaus sollte Finnland unter anderem mehrere Inseln im Finnischen Meerbusen verlieren sowie die strategisch besonders wichtige Halbinsel Hanko an der südlichsten Spitze des Landes zur Errichtung eines Militärstützpunkts an die Sowjetunion verpachten. Stalin begründete seine Forderungen erneut mit den sowjetischen Sicherheitsinteressen, die er auf Grund der Nähe Leningrads zur finnischen Grenze bedroht sah. Zwar hatte die Stadt offiziell ihren Rang als Kapitale verloren, galt aber immer noch als »zweite Hauptstadt« und damit, so die Befürchtung des Diktators, als potenzieller Sitz einer weißgardistischen Gegenregierung. Auch ein großer Teil der sowjetischen Rüstungsbetriebe befand sich in Leningrad.
Die finnische Regierung verkalkuliert sich
Ob die Sicherheitsbedenken, die Stalin vorbrachte, berechtigt oder vorgeschoben waren, wird noch heute teils kontrovers diskutiert. Spätestens durch die an der baltischen Küste errichteten Militärstützpunkte hatte sich jedoch das Risiko einer Bedrohung Leningrads über die Ostsee stark minimiert. Auch die Gefahr einer auf dem Landweg aus Finnland erfolgenden Invasion war gering und hätte wohl durch die geforderte Neuziehung der Grenze kaum gemindert werden können. Der Diktator gab den finnischen Gesandten zu verstehen, dass es sich um Minimalforderungen handle, über die nicht gefeilscht werden könne.
Sowohl der finnische Verhandlungsführer Juho Kusti Paasikivi als auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte Carl Gustaf Emil Mannerheim rieten der Regierung zu Zugeständnissen, da man einen Krieg mit der Sowjetunion für unmöglich zu gewinnen hielt und bei einer Niederlage das Ende der finnischen Souveränität befürchtete. Die Regierung schlug jedoch sämtliche Bedenken in den Wind und vertraute einerseits darauf, dass Stalin nur bluffte, und andererseits, dass, falls es doch zum Krieg käme, die skandinavischen Nachbarn Finnland beistehen würden. Zusagen dieser Art hatte es allerdings niemals gegeben.
Nach acht ergebnislosen Konferenzen brach die sowjetische Regierung die Verhandlungen Mitte November ab. In Helsinki glaubte man erleichtert, die Gefahr überwunden und mit Unnachgiebigkeit genau die richtige Strategie gewählt zu haben. Nach angespannten Wochen würde sich nun alles wieder normalisieren, zeigte sich Ministerpräsident Aimo Kaarlo Cajander noch am 23. November in einer Rede zuversichtlich. Doch schon drei Tage später begannen sich die Ereignisse zu überschlagen. Am 26. November meldeten die Sowjets, dass Finnland den kleinen auf russischer Seite befindlichen Grenzort Mainila beschossen habe, wodurch vier Soldaten der Roten Armee zu Tode gekommen seien.
Die finnische Regierung, überrumpelt von den Anschuldigungen, erklärte, dass überhaupt keine Artillerie in der Nähe des Dorfes stationiert sei, und versuchte zu schlichten. Doch es war zu spät: Zwei Tage danach kündigte die Sowjetunion den 1932 geschlossenen Nichtangriffspakt auf, kurz darauf wurden die diplomatischen Beziehungen zu Finnland abgebrochen und am 30. November gegen 8 Uhr 30 überschritten die Truppen der Roten Armee die Grenze zum Nachbarstaat. Der Winterkrieg hatte begonnen.
Die Erfindung des Molotow-Cocktails
Noch am selben Tag begann die Bombardierung Helsinkis und ostfinnischer Städte. Die Sowjetunion griff auf dem Land, zu Wasser und aus der Luft an. Es wäre stark untertrieben, von einem Kampf zwischen David und Goliath zu sprechen. 3,7 Millionen Finnen mussten sich nun gegen das größte Reich der Erde mit 194 Millionen Einwohnern zur Wehr setzen. Auf sowjetischer Seite kämpften um die 450 000 Soldaten, hinzu kamen etwa 2000 Panzerwagen, 2000 Geschütze und 1000 Flugzeuge.
Finnland konnte mit Mühe 300 000 Kämpfer aufbringen, von denen nicht einmal alle über Waffen verfügten. So behalf man sich mit selbst gebauten Brandsätzen und nannte diese »Molotovin koktaili« – in Anspielung auf Stalins Außenminister Molotow, der behauptet hatte, dass die sowjetischen Bomber Brot brächten. Das Land besaß darüber hinaus höchstens 100 kampffähige Flugzeuge und keine Panzer.
Angesichts dieser überwältigenden militärischen Übermacht gingen ausländische Beobachter von einem raschen Sieg der Sowjets aus. Und auch im Kreml war man mehr als zuversichtlich, dass der Winterkrieg innerhalb kürzester Zeit gewonnen sein würde. Molotow zeigte sich überzeugt, dass die Truppen der Roten Armee in drei Tagen in Helsinki stehen würden. Doch es kam anders als erwartet.
Das lag zum einen am finnischen Militär und seinem charismatischen Oberbefehlshaber Mannerheim. Die Truppen hatten sich auf ihrer Hauptverteidigungslinie, der so genannten Mannerheim-Linie, positioniert. Auf diesem etwa 130 Kilometer langen Streifen, der durch unwegsames Gelände die Karelische Landenge durchzog und mit Befestigungen, Unterständen und Panzersperren gesichert war, konnten die Sowjets ihre Übermacht nicht ausspielen. So entwickelte sich der Konflikt dort schnell zu einem Stellungskrieg.
Finnland kämpft um seine Unabhängigkeit
Da die Finnen wussten, dass sie in offener Feldschlacht unterlegen waren, nutzten sie Guerillamethoden und fügten dem Feind aus dem Hinterhalt – getarnt in weißen Schneeanzügen – empfindliche Verluste zu. Auch an der langen Ostgrenze konnte die finnische Armee Erfolge verzeichnen und schaffte es immer wieder, Angriffe abzuwehren. Dabei gelang es sogar, zwei komplette Divisionen der Sowjets einzukreisen und völlig aufzureiben. »Überall konnte die Rote Armee zum Stehen gebracht, ihre zahlenmäßig weit überlegenen Kräfte in regelrechten Kesselschlachten zersplittert und so die Front bis zum Februar 1940 stabilisiert werden«, schreibt der finnische Historiker Kalervo Hovi.
Die Sowjets hatten den finnischen Widerstand also ganz offensichtlich unterschätzt – möglicherweise auch, weil sie der eigenen Propaganda aufgesessen waren. So lautete der erste Tagesbefehl, den die Soldaten beim Überschreiten der Grenze erhielten, das finnische Volk vom Joch der Grundbesitzer und Kapitalisten zu befreien. Viele glaubten wohl tatsächlich, dass man sie mit Blumen, Brot und Salz begrüßen würde.
Selbst die Führung scheint davon ausgegangen zu sein, dass die finnische Arbeiterschaft nicht gegen die Sowjettruppen kämpfen und das Volk sich mit den Invasoren solidarisieren werde. Das Gegenteil war der Fall: Der feindliche Angriff sowie die unverhofften Siege des eigenen Militärs wirkten sich stärkend auf die Moral der Bevölkerung aus und ließen den Zusammenhalt und Widerstandsgeist wachsen.
Das galt umso mehr, als seit dem Einmarsch klar war, wie Stalin sich die Zukunft Finnlands vorstellte. Am zweiten Kriegstag war im sowjetisch besetzten Gebiet die Finnische Demokratische Republik gegründet worden, deren offizielle Hauptstadt Helsinki war. Ministerpräsident und zugleich Außenminister in dieser »Volksregierung« war Otto Wilhelm Kuusinen, Mitbegründer der Kommunistischen Partei Finnlands, der seit Jahren im Exil in Moskau lebte. Finnland sollte nach dem Willen Stalins also offensichtlich der erste in jener langen Reihe sozialistischer Satellitenstaaten werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg hinter dem Eisernen Vorhang emporsprossen.
Aus dem Ausland viel Solidarität – und wenig Hilfe
Dass der Kreml ausschließlich die »Volksregierung« als legitim betrachtete und schon einen Tag nach ihrer Gründung einen Freundschafts- und Beistandsvertrag mit ihr schloss, der alle territorialen Fragen klären sollte, änderte natürlich nichts daran, dass der Krieg unvermindert weiterging. Doch die Finnen waren nun gewarnt, was ihnen im Falle einer schnellen Niederlage drohte.
Umso mehr hoffte man auf Unterstützung aus dem Ausland. Denn wenn die eigenen Truppen auch immer wieder beachtliche Erfolge erzielten, war doch absehbar, dass sie der sowjetischen Übermacht nicht ewig standhalten konnten. In einem ersten Schritt wandte sich die Regierung an den Völkerbund, den Vorgänger der UN, und erwirkte, dass dieser in seiner Generalversammlung die Sowjetunion als Aggressor verurteilte. Am 14. Dezember wurde die UdSSR schließlich aus der Organisation ausgeschlossen.
»Die Welt hatte einen Zuschauerplatz in der Arena eingenommen, zuerst um über das tragische Geschick der Finnen zu weinen, dann um ihrem Kampfgeist Beifall zu spenden«Eino Jutikkala, Historiker an der Universität Helsinki
Als der erwartete Blitzsieg der Sowjets ausblieb, begann sich die Weltpresse immer mehr für die Sache der Finnen zu begeistern. Man verherrlichte ihren Freiheitskampf, indem man ihn etwa mit der berühmten Schlacht an den Thermopylen zwischen Griechen und Persern verglich. In zahlreichen Ländern solidarisierten sich Menschen mit Finnland. »Die Welt hatte einen Zuschauerplatz in der Arena eingenommen, zuerst um über das tragische Geschick der Finnen zu weinen, dann um ihrem Kampfgeist Beifall zu spenden«, so der Historiker Eino Jutikkala.
Nur die erhoffte militärische Hilfe blieb trotz aller Appelle an die Weltöffentlichkeit aus. In England und Frankreich wurde zwar mehrfach ein militärisches Eingreifen in den Winterkrieg gefordert und erwogen. Dabei hatte man jedoch eher die skandinavischen Eisenerzvorkommen im Sinn, die vor einem möglichen deutschen Zugriff geschützt werden sollten.
Schon Anfang Dezember hatte sich die finnische Regierung verzweifelt in einem Radioaufruf an die Völker des Baltikums gewandt: »Esten, Letten, Litauer. Der finnische Widerstand gegen den tückischen Feind, der Finnland angegriffen hat, ist auch für euch ein Zeichen, für Freiheit, Unabhängigkeit und nationale Zukunft aufzustehen. Auch ihr müsst den Freiheitskrieg eurer Länder zu Ende kämpfen, um in Zukunft als selbstständige Völker leben zu können.«
Russlands Überlegenheit erweist sich als zu groß
Die Angst vor der Sowjetmacht ließ die baltischen Staaten, die vergeblich darauf hofften, zumindest ihre restliche Souveränität bewahren zu können, neutral bleiben. Auch die norwegische und schwedische Regierung waren strikt darauf bedacht, nicht in den Konflikt einzugreifen. Vor allem Schweden, wo es in der Bevölkerung eine große Sympathiebewegung für den finnischen Kampf gab, versuchte jedoch, das Nachbarland mit humanitären Gütern und auch mit Waffen zu unterstützen. Gleichzeitig wurde den Briten und Franzosen eine Absage für einen möglichen Truppentransit erteilt. Letztendlich beschränkte sich der konkrete militärische Beitrag, den die Welt zu leisten bereit war, auf etwa 12 000 ausländische Freiwillige, die sich auf den Weg begaben, um an der Seite der Finnen gegen die Sowjets zu kämpfen.
Weitgehend auf sich allein gestellt, ließen die Kräfte der finnischen Verteidiger nach über zwei Monaten des Krieges allmählich nach. Anfang Februar 1940 startete die Rote Armee eine Großoffensive auf der Karelischen Landenge und schaffte es, die Mannerheim-Linie zu durchbrechen. Die Finnen zogen sich auf eine hintere Verteidigungsstellung zurück, die bald darauf ebenfalls aufgegeben werden musste. Damit war eindeutig die Wende zu Gunsten der UdSSR eingeleitet.
Doch anstatt den Marsch auf die Hauptstadt antreten und die bedingungslose Kapitulation erzwingen zu wollen, zeigte sich Stalin, der die Regierung in Helsinki zuvor nicht einmal anerkannt hatte, plötzlich gesprächsbereit. Der Winterkrieg war jetzt schon deutlich teurer und verlustreicher als geplant, und eine Fortsetzung hätte noch weitere Wochen dauern können. Am 23. Februar erhielt die finnische Regierung die sowjetischen Friedensbedingungen. Diese waren um einiges härter als die Forderungen, die vor dem Krieg gestellt wurden.
Finnland verliert den Winterkrieg – doch bewahrt seine Unabhängigkeit
Das Land sollte nun die gesamte Karelische Landenge einschließlich der Stadt Wyborg, der zweitgrößten Stadt Finnlands, sowie die West- und Nordseite des Ladogasees abtreten. Nachdem sich die Regierung mit Mannerheim beraten hatte, stimmte sie am 29. Februar der Aufnahme von Verhandlungen zu. Unterdessen gingen die Kämpfe weiter. In der Nacht zum 13. März wurde der Friedensvertrag in Moskau unterschrieben, damit war der Winterkrieg vorbei. In ganz Finnland wehten an diesem Tag die Fahnen auf Halbmast.
Offiziell verloren rund 24 000 Soldaten und etwa 1000 Zivilisten auf finnischer Seite ihr Leben, 44 000 Menschen wurden in Kämpfen verwundet. Daneben verließen mehr als 400 000 Finnen nach den im Friedensvertrag vereinbarten Annexionen ihre Heimat und gingen nach Westen über die Grenze. Die Sowjets bezifferten ihre eigenen Verluste auf 49 000. Möglicherweise waren es deutlich mehr.
Ob Stalin ganz Finnland besetzen und einen Vasallenstaat errichten wollte, wird bis heute ebenso kontrovers diskutiert wie die Frage, ob es für die Finnen besser gewesen wäre, auf die im Oktober 1939 gestellten Forderungen einzugehen. Angesichts der Vereinbarungen des Hitler-Stalin-Pakts und des Schicksals der anderen Länder, die darin der sowjetischen Einflusssphäre zugeschrieben wurden, erscheint es jedoch durchaus plausibel, dass für Finnland von Anfang an ein ähnlicher Weg vorgesehen war.
Das Land verlor durch den Winterkrieg etwa zehn Prozent seines Territoriums, doch es konnte sich – obwohl es im so genannten Fortsetzungskrieg ab 1941 an der Seite Deutschlands gegen die Sowjetunion kämpfte – dauerhaft seine Freiheit bewahren. Durch den »Geist des Winterkriegs« gewann Finnland an internationalem Ansehen und innerer Stärke. Bis heute lebt der Konflikt, wie der Historiker Edgar Hoesch schreibt, als »identitätsstiftende, nationale Bewährungszeit« im kollektiven Gedächtnis fort.
Die permanent wahrgenommene latente Bedrohung aus dem Osten hat Finnland in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem oft kritisierten Balanceakt in seiner Außenpolitik genötigt, der darauf abzielte, die Sowjetunion und später Russland nicht zu provozieren. Bewusst hat das Land darum bisher auch auf einen Beitritt zur NATO verzichtet. Doch das könnte sich nun, unter neuen politischen Bedingungen, ändern.
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