Emotionen: Schleim wird unterschätzt
»Er schleimte mich voll!« In einem verlassenen Flur eines New Yorker Hotels kommt es zur Begegnung der widerlichen Art, als Peter Venkman von einem »vollbeweglichen Klasse-Fünf-Dunst« über den Haufen geflogen und mit grünlichem Glibber überzogen wird. Die Begeisterung des sonst so forschen Geisterjägers in der Gruselkomödie Ghostbusters hält sich angesichts der unfreiwilligen Schleimpackung in Grenzen. Doch die Szene vom Showdown mit Spukschleim aus dem Jahr 1984 ist bis heute cineastischer Kult. Und sie kam nicht allein: Vom sabbernden Alien zur triefend mutierenden Fliege setzten in dieser Zeit nahezu alle überirdisch angehauchten Filme auf Glibber und ließen so eine wahre Schleimwelle von der Kinoleinwand auf das sich lustvoll ekelnde Publikum schwappen.
Auch wenn diese Flut ein wenig verebbt ist, bleibt Glibber populär genug, um die ungeschriebene Grundregel des Grusel-Business zu bestätigen: Slime sells! Und so glitschen Zombies über unsere Bildschirme, während Monster und Außerirdische jeglicher Art unweigerlich aus Glibber bestehen oder wenigstens Geifer hinterlassen müssen, wenn sie uns das Würgen lehren wollen. Selbst die Literatur von trashigen Comics über Kinderbücher bis zu Gruselklassikern steht Film und Fernsehen in Sachen Ekelschleim kaum nach. Das hat Tradition: H.P. Lovecraft hat als einer der Väter der Horrorliteratur Widerwärtigkeiten wie das gallertige Überwesen Cthulhu und die dienstbaren Shoggothen geschaffen, die aus tiefschwarzem Schleim bestehen.
»Ekel ist unglaublich wirkungsvoll, basiert aber nicht nur auf Logik und Vernunft«Val Curtis
Was aber macht Schleim so abstoßend? Die Antwort auf diese Frage liegt in der Funktion von Ekel – und der Unzulänglichkeit unserer Sinne. Ekel ist eine essenzielle und doch elastische Emotion des Menschen, die auf unliebsame Substanzen wie Schleim ebenso stark reagieren kann wie etwa auf unpassendes Verhalten oder derbe Sprache, kurz: jede Art Grenzüberschreitung. Von Natur aus bringen wir nur die Fähigkeit mit, uns abgestoßen zu fühlen. Wovor wir uns dann aber ganz spezifisch und oft ein Leben lang ekeln, müssen wir in den ersten Lebensjahren von unserer Umgebung lernen. Das lässt die Auswahl der Auslöser für fremde Augen oft willkürlich scheinen und verleiht individuellen Aversionen eine Art Lokalkolorit.
»Ekel ist unglaublich wirkungsvoll, basiert aber nicht nur auf Logik und Vernunft«, sagt die Londoner Ekelforscherin Val Curtis, die eine entsprechende Befragung durchgeführt hat. So nannten ihr etwa Britinnen obszöne Sprache, Frauen aus Burkina Faso dagegen Schweine und Niederländerinnen die Hände von Fischhändlern als abstoßende Beispiele. Problematischer wird es, wenn entsprechende Abwehrreaktionen zur Verurteilung von Menschen führen. Die Ausgrenzung von Minoritäten basiere oft auf einer Rhetorik des Ekels, schreibt die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum dazu. Ein Zusammenhang, der sich auch in Curtis' Befragung niederschlug: Junge Inderinnen nannten als Ekelauslöser den Kontakt zu Menschen aus niederen Kasten.
Universale Aversion
Dalit heißen diese für höherstehende Inder im Wortsinne Unberührbaren. Eine unsichtbare Grenze trennt sie vom Rest der Gesellschaft und zwingt sie oft in gefährliche Tätigkeiten wie die Reinigung von Latrinen oder die Arbeit in der Kanalisation. Und hier schließt sich der Teufelskreis: Das soziale Stigma führt zum Kontakt mit dem Ekelerreger Exkrement, was wiederum neue Ablehnung in der Gesellschaft nach sich zieht. Dabei ist diese Aversion nicht nur lokal, sondern universell gültig: Jenseits aller Eigenheiten werden die Listen der Ekelauslöser weltweit von Körperabsonderungen wie Speichel, Schweiß und Fäkalien dominiert. Dazu kommen Kadaver und verdorbene Nahrung.
Kürzlich kategorisierte Curtis verschiedene Ekel-Favoriten und kam auf sechs Sparten: Mangelhafte Hygiene gehört dazu, aber auch promiskuitiver Sex sowie sichtbare Infektionen. Atypische Erscheinungsbilder, darunter Husten und Deformationen, sowie Abweichungen von der Norm wie Obdachlosigkeit bilden die eher diffuse vierte Kategorie, die dennoch auf eine lange Tradition zurückblickt: So heißt es schon bei Robert Louis Stevenson in seiner 1886 erschienenen Novelle vom guten Doktor Jekyll und dem aus ihm geborenen mörderischen Mister Hyde über das Monster: »An seiner äußeren Erscheinung stimmt was nicht … etwas Unangenehmes, etwas regelrecht Widerwärtiges hat er an sich. Noch nie ist mir jemand begegnet, der mir so zuwider war, und doch weiß ich kaum, warum. Irgendwo muss er missgebildet sein.«
Und die letzten beiden Ekelkategorien? In einer wimmelt es von Moskitos, Mäusen und anderer Fauna, die Krankheiten überträgt und deshalb vielfach mit verdorbener Nahrung verbunden ist – der sechsten und damit letzten Sparte. Fliegen beispielsweise wurden bei Curtis' Befragung in Großbritannien, in Indien, in Burkina Faso und in den Niederlanden als widerlich bezeichnet. Weit verbreitetet sind die hier versammelten Ekelerreger also, wenn sie zunächst auch willkürlich ausgewählt scheinen mögen. Doch ein roter Faden verbindet sie alle: die potenzielle Kontamination mit Krankheitserregern. Sex mit wechselnden Partnern erhöht hier das Risiko ebenso wie der Kontakt mit Kranken oder eine faulige Mahlzeit.
Ekel bewahrt vor Parasiten
Ekel kommt hier ins Spiel, weil er uns vor Mikroben und anderen Parasiten bewahrt. Wie wichtig das ist, unterstreicht die enge Kopplung der Emotion mit der Körperabwehr, die bei akutem Ekel kurzfristig hochgefahren wird. Andere Phänomene sind weniger leicht zu erklären: Warum ekeln sich Frauen meist mehr und schneller als Männer? Einer Hypothese zufolge könnte ihre besonders wachsame Abwehr Immunschwächen kompensieren – und nicht nur ihre eigenen. Während einer Schwangerschaft ist die Körperabwehr der Frauen gedämpft, um den Nachwuchs als biologischen Fremdkörper aus dem immunologischen Fadenkreuz des mütterlichen Organismus zu halten. Gleichzeitig wäre jetzt aber eine besonders bissige Abwehr zum Schutz des Embryos gefragt, was dann vielleicht der mütterliche Ekel gewährleistet.
Entsprechend tief reichen die biologischen Wurzeln dieser menschlichen Emotion. Selbst Ameisen und andere Arten machen einen großen Bogen um kranke Artgenossen. Primaten meiden sogar unbekanntes Material, wenn es sich organisch weich, warm und feucht anfühlt – also in etwa so wie biologischer Schleim. Die Vorsicht lohnt, weil in allen Körpersekreten Killer lauern können, beim Menschen etwa die Mykobakterien der Tuberkulose in Nasenschleim, die Spirochäten der Syphilis im Sperma und die Cholera-Vibrionen in Fäkalien. Das Bakterium Clostridium botulinum wiederum produziert sein Nervengift bevorzugt in mangelhaft konservierten Lebensmitteln. Wie potent dieses Toxin ist, zeigt sich beispielhaft in Hollywood: Unter die Haut gespritzt, kann eine niedrige Dosis Botox tiefe Falten per Muskellähmung ausbügeln. Bei einer Vergiftung durch verdorbene Nahrungsmittel droht dagegen ein tödlicher Atemstillstand.
Kurz gesagt: Ekel ist essenziell und gilt manchen Forschern sogar als zentral für das Immunsystem des Verhaltens. Das ist die erste Verteidigungslinie gegenüber Erregern und umfasst alle psychologischen Mechanismen, die Kontakten mit Kontaminationen entgegenwirken und so im günstigsten Fall verhindern, dass die Körperabwehr überhaupt aktiv werden muss. Doch ein Problem bleibt: Wie soll Ekel vor Infektionsrisiken warnen, wenn die winzig kleinen Mikroben den menschlichen Sinnen verborgen bleiben? Unser Abscheu-Frühwarnsystem muss also auf häufige Begleiterscheinungen von Infektionsquellen ausweichen und gewissermaßen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner anspringen. Und was teilen die breit gestreuten Gefährdungen rund um Krankheit, Sex, Tod und Fäulnis? Natürlich: Schleim.
Schleim ist wertvoll!
Er ist der ideale Ekelauslöser, weil er mehrere Sinne gleichzeitig und unverkennbar anspricht. Mit seiner Hilfe lassen sich viele Infektionsquellen auf einen Blick erkennen und mit einer Berührung ertasten. Schleim erlaubt eine blitzschnelle Ekelreaktion, der es allerdings an Tiefenschärfe fehlt. Meist macht sich Glibber jeder Art nur auf Grund seiner Textur und unabhängig vom tatsächlichen Risiko verdächtig. Das aber wird Schleim nicht gerecht, einem extrem komplexen und für uns lebenswichtigen Material, einer Art biologischem Bodyguard. So kleidet er die inneren Grenzflächen des Menschen und fast aller anderen Organismen als raffinierte Barriere aus, die flexibel und an den jeweiligen Bedarf angepasst etwa Atemgase und Nährstoffe passieren lässt, Schadstoffe aber blockiert – und Erreger abfängt.
Andere Schleimsysteme im Körper werden mit Volksleiden wie Krebs, Bluthochdruck und Schlaganfall in Verbindung gebracht, während Glibber in der Natur unter anderem als biologischer Klebstoff ganzen Habitaten an Land und im Meer seinen Stempel aufdrückt, wenn ihm jetzt nicht Klimawandel und Umweltzerstörung einen Strich durch die Rechnung machen. Ein nuancierter Umgang mit dem unverdienten Unsympathen Schleim wäre also angebracht. Und die gute Nachricht ist, dass der Ekel vor Schleim kein ehernes Gesetz ist, auch nicht sein darf. Absolute Aversionen lähmen und lassen unser Verhalten erstarren. Das weiß die Natur zu verhindern, indem sie die Ekelschwelle kurzerhand justiert.
Dann verlieren sogar bewährte Widerlichkeiten an Schrecken. Verdächtige Nahrung beispielsweise wird immer appetitlicher, je verzweifelter der Hunger nagt. Und wie wird verhindert, dass die Menschheit ausstirbt, weil wir alle beim Sex einem unüberwindlichen Widerwillen gegenüber schleimigen Körpersekreten anheimfallen? Die Ekelschwelle steigt nicht nur bei leerem Magen, sondern auch mit der sexuellen Erregung an, so dass Speichel, Sperma und andere Fluide fremder Körper dann gar nicht mehr so abstoßend scheinen. Postkoital kann sich das schnell ändern und Abstand zu fremden Sekretionen plötzlich wieder angeraten scheinen. So wichtig und stark Ekel auch ist, hat er also eine Stellschraube, über die sich die Emotion an den aktuellen Bedarf anpassen kann. Und was tut jetzt not? Ein genauer und weniger distanzierter Blick auf die essenzielle und doch weitgehend ignorierte Ressource Schleim.
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