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Astromykologie: »Wir werden Pilze auf anderen Planeten finden«

Welchen Pilz würden Sie mit ins All nehmen? Der Pilzexperte Paul Stamets fände halluzinogene Pilze sinnvoll und erklärt, was es mit der Astromykologie auf sich hat.
Pilzgeflecht

In einer Welt, in der Pilze als das dritte große eukaryotische Reich neben Pflanzen und Tieren im öffentlichen Bewusstsein eher unterrepräsentiert sind, hat der Mykologe Paul Stamets eine Art Kultstatus erlangt, der weit über seinen Fachbereich hinausreicht. Der popkulturelle Ritterschlag erfolgte vor einigen Jahren: In der Serie »Star Trek: Discovery« wurde eine Figur nach ihm benannt. Im fiktionalen Star-Trek-Universum des 23. Jahrhunderts reist die Crew des Raumschiffs Discovery mit Hilfe eines Myzelnetzwerks durch den Weltraum. Im realen Universum des 21. Jahrhunderts lotet Stamets das Potenzial von Pilzen im All derzeit im Rahmen eines NASA-Projekts aus. Im Interview erklärt er, warum er gerne Astromykologe wäre und welche Pilze für eine Reise in den Weltraum besonders geeignet sind.

Herr Stamets, die Henne-Ei-Frage zuerst: Wurde bei »Star Trek: Discovery« eine Figur nach Ihnen benannt, weil Sie sich mit Astromykologie beschäftigen, oder kamen Sie erst durch »Star Trek« auf die Idee mit der extraterrestrischen Pilzkunde?

Das Produktionsunternehmen CBS hat mich kontaktiert und mir mitgeteilt, dass das Autorenteam von »Star Trek« gerne mit mir sprechen würde: »Wir sitzen hier gerade zusammen, sind rund ein Dutzend Leute und kümmern uns um ›Star Trek: Discovery‹. Wir wissen gerade nicht weiter, und wir haben Ihren TED-Talk gesehen.« Darin hatte ich erwähnt, dass wir auf anderen Planeten Terraforming mit Pilzen betreiben könnten.

Im Vergleich zu anderen Sciencefiction-Serien ist »Star Trek« bahnbrechend, was Inklusion angeht. »Star Trek« erkennt, dass die Diversität ihrer Mitglieder die Gesellschaft als Ganzes stärker macht. Und tatsächlich habe ich genau das auch als Mykologe gelernt: Die Biodiversität unseres Ökosystems macht es widerstandsfähig. Unterm Strich gewinnt die Diversität.

Paul Stamets | Der wohl berühmteste Pilzexperte der Welt heißt Paul Stamets (Jahrgang 1955) und ist im Nordwesten der USA ansässig. Eigentlich hat er seine berufliche Karriere zunächst als Holzfäller begonnen, doch der Blick nach unten veränderte sein Leben. Ob es um Hüte aus Pilzen, Öl essende Austernpilze, Pilzmedikamente, Pilze als Baumaterial oder psychedelische Pilze und ihre Anwendungen geht: Paul Stamets schöpft das Potenzial der Pilze aller Welt aus und liefert die Beweise dazu. Fungi? Funktioniert. Auf Deutsch ist zuletzt sein Buch »Fantastische Pilze: Wie Pilze heilen, unser Bewusstsein erweitern und den Planeten retten können« erschienen.

Deshalb finde ich, dass Terraforming mit Pilzen auf anderen Planeten so plausibel ist. Schließlich waren Gestein mampfende Fungi die ersten Organismen, die sich auf unserer Erde an Land etabliert haben. Und es waren Fungi, aus denen sich vor 650 Millionen Jahren Tiere entwickelt haben. Wir sind die Nachfahren der Nachfahren dieser Pilznetzwerke.

Ich habe dem »Star Trek«-Autorenteam also gesagt: »Ihr könnt all diese Konzepte kostenlos verwenden. Ich bin ein ›Star Trek‹-Fan, ich will dafür keine Gegenleistung. Aber wo wir gerade dabei sind: Ich wollte schon immer der erste Astromykologe sein.« Und ganz am Schluss haben sie dann gesagt: »Astromykologe, das ist toll! Was für ein großartiger Begriff. Den können wir verwenden.«

Wie definieren Sie den Begriff Astromykologie hier in unserem nicht fiktionalen Universum?

Offensichtlich ist die Astromykologie eine Unterkategorie der Astrobiologie. Astrobiologie ist die Wissenschaft von außerirdischen biologischen Organismen. Da geht’s um die Biologie des Universums – und innerhalb der Biologie des Universums gibt es Fungi. Also wäre Astromykologie die Wissenschaft der Biologie von Pilzen im Universum. Ich glaube, dass es unausweichlich ist, dass wir eines Tages Pilze auf anderen Planeten finden werden.

Wie können die Pilze der Erde dabei helfen, menschliche Lebensräume oder sogar ganze Ökosysteme auf anderen Planeten zu entstehen zu lassen?

Pflanzen, die nützlich für Terraforming sind, brauchen Mineralien. Diese Pflanzen, kombiniert mit Fungi und menschlichen Abfällen, zersetzen sich – so entstehen nährstoffreiche Böden. Damit kann Nahrung für Astronautinnen und Astronauten erzeugt werden. Ist es nicht viel einfacher, vor Ort aus Samen Nahrung zu erzeugen, als eine Tonne Essen mit ins All zu nehmen?

Ihr Forschungsvorhaben bei der NASA ist in zwei Teile aufgegliedert. Im ersten Teil geht es darum, diejenigen Pilzsorten zu finden, die dazu am besten geeignet sind, um Regolith von Asteroiden zu zersetzen. Haben Sie derzeit schon geeignete Kandidaten?

Im Grunde ist Regolith Asteroidenstaub, also eine Decke aus lockerem Material an der Oberfläche eines Himmelskörpers. Wir arbeiten mit künstlichem Regolith, so wie es ihn auf der Oberfläche von Asteroiden oder auf der Marsoberfläche geben könnte. Ich selbst habe etwa 700 Pilzstämme in meiner Bibliothek an Pilzkulturen. Davon habe ich einige empfohlen, die geeignet sein könnten. Der Austernpilz hat sich als eine der besten Pilzsorten erwiesen, mit denen wir auf Regolith experimentieren konnten.

Und erst kürzlich haben wir etwas Unerwartetes herausgefunden. Wir versorgten mehrere Pilzsorten mit Nahrung, um herauszufinden, wie weit sie mit ihren Myzelien in den Regolith hineinwachsen würden. Keine von diesen Arten hatte für sich allein eine besonders große Reichweite. Aber als wir mehrere Pilzarten zusammenbrachten, war ihre Reichweite weitaus größer als erwartet. In gewisser Weise untermauert dieser Fund das ganze Konzept der Biodiversität.

Sobald Sie den am besten geeigneten Pilz gefunden haben, sieht der zweite Teil des Antrags vor, die effektivste Methode zu finden, ihn zu verwenden. Wie könnte das aussehen?

Das Universum ist reich an Kohlenwasserstoffen. Was Austernpilze wirklich gut können, ist, Kohlenwasserstoffe abbauen, sie zerlegen und in Zucker umwandeln. Und Zucker sind natürlich ein absolut essenzieller Nährstoff für praktisch alle Lebensformen, die ich auf diesem Planeten kenne. Die Idee, Kohlenwasserstoffe als Nährstoff für Austernpilze zu verwenden, ist also sehr sinnvoll.

Allerdings funktioniert das nur bis zu einem gewissen Punkt. Es braucht auch noch andere wichtige Nährstoffe. Diese Pilze können nicht ausschließlich Kohlenwasserstoffe verwenden – sie brauchen einen Schub, da müssen wir ihnen helfen. Aber sobald diese Reaktion erst einmal läuft, ist sie katalytisch. Das heißt, sie erhält sich selbst. Und je stärker diese katalytische Reaktion gefördert wird, desto mehr Biodiversität erhält man. Daraufhin werden andere Organismen wachsen und sterben. Somit werden sie zu einer Ressource, die Vitamine, weitere Mineralien und vielleicht andere abbaubare organische Verbindungen wie Zellulose oder Lignin liefern. Das kann die Pilze dazu bringen, noch größer zu werden. Sie können so noch mehr Pflanzen unterstützen, die noch mehr Zellulose produzieren.

So geht es weiter. Die Pflanzen sterben, zersetzen sich. Flache, normalerweise kreisförmige Myzelkolonien werden dann immer größer. So schafft man eine Art Mikrooase, die am Anfang vielleicht nicht größer als ein kleiner Fleck ist. Aber da hört es nicht auf. Die Gemeinschaft wird vielfältiger und komplexer. Die Myzelkolonien werden zu größeren Oasen.

»Wenn so eine Oasenumgebung erst einmal groß genug ist, kann sie Menschen ernähren«

Neben der Erzeugung gesunder Böden untersuchen Teams, wie Pilze verwendet werden könnten, um Strukturen auf anderen Welten zu züchten. Können Sie mehr darüber erzählen, wie diese »Mykotektur« funktionieren könnte?

Was wir beispielsweise sehr viel züchten, sind Reishi-Pilze. Wir bekommen damit Blöcke aus deren Pilzgeflecht, dem Myzel. Diese Blöcke wollten wir trocken zerkleinern, um sie in Erde oder in andere Produkte zu verwandeln. Aber das gelang uns nicht. Durchsägen kann man sie schon, aber so ein Reishi-Block hält jedem Hammer stand. Er bricht einfach nicht.

Paul Stamets mit riesigem Reishi-Pilz (Ganoderma lucidum) | Essen kann man ihn nicht, diesen Reishi-Pilz – aber laut dem Mykologen Paul Stamets eignen sich Blöcke aus Reishi-Myzel als Zerstörer von hydraulischen Pressen, Baumaterial für eine »Mykotektur«, Isolationsmaterial und vielleicht sogar als eine Art Batterie.

Also hat uns ein Ingenieur eine hydraulische Presse aus Edelstahl gebaut. Diese Presse schaffte ungefähr 2000 psi [Pfund pro Quadratzoll, entspricht rund 138 bar; Anm. der Redaktion]. Wir haben die Presse auf die Reishi-Blöcke losgelassen, mit dem Ergebnis, dass der Pilz den Edelstahl verbogen hat. Und beim Versuch, die Reishi-Blöcke zu zerquetschen, ist die Maschine kaputtgegangen. Dieses Ding kann Gestein zerkleinern – aber nicht dieses Myzel.

Außerdem können Reishi-Blöcke gut Wärme speichern, daher sind ihre Eigenschaften als isolierendes Material phänomenal. Und man könnte sie als Batterien verwenden. Man könnte auf dem Mars Sonnenkollektoren auf so einer Struktur aus Myzelium installieren. Das gesamte Myzel besteht zu etwa 85 Prozent aus Kohlenstoff, und Studien haben gezeigt, dass poröser Kohlenstoff ein hervorragender Kondensator sein kann. Mit der richtigen Anordnung werden die Blöcke zu Nanobatterien.

»Reishi-Blöcke können gut Wärme speichern, daher sind ihre Eigenschaften als isolierendes Material phänomenal«

Und wann könnten wir mit alldem rechnen? Könnte es derartige Anwendungen in einem Jahrzehnt oder eher in einem Jahrhundert geben?

Morgen. Das passiert jetzt. Ich vermute, dass es im Weltraum in 10 bis 20 Jahren zur Anwendung kommen wird.

Zum Schluss noch ein wenig Spekulation: Was sind einige der unwahrscheinlicheren Möglichkeiten, wie Pilze im Weltraum eingesetzt werden könnten?

Hm, was könnte ich Ihnen da erzählen … Ich denke, dass die Verwendung von psychoaktiven Pilzen in der Raumfahrt sehr sinnvoll ist. Es gibt mehrere Dutzend Fachartikel, die besagen, dass psilocybinhaltige Pilze Menschen helfen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Einsamkeit und Depressionen zu überwinden. Glauben Sie nicht, dass Astronauten an Einsamkeit, Depression und PTSD leiden werden? Ich denke schon. Wie wollen Sie ihnen helfen?

Wenn unsere Astronautinnen und Astronauten unter sorgfältig kontrollierten Bedingungen im All psilocybinhaltige Pilze nehmen könnten, würden sie sich nicht distanziert und einsam fühlen. Stattdessen können sie sich als Teil eines riesigen Bewusstseins empfinden. Sie werden sich psychologisch wie auch emotional in einem besseren Gemütszustand befinden, um mit anderen Astronauten zusammenzuarbeiten und die Mission durchzuführen.

»Ich glaube, dass Isolation, Einsamkeit und Depression die Hauptprobleme von Astronauten sein werden«

Ich meine das wirklich ernst: Die NASA und alle anderen, die sich mit der Besiedelung des Weltraums beschäftigen, sollten psychoaktive Pilze in Erwägung ziehen. Als wesentlicher Bestandteil des psychologischen Werkzeugkastens könnten sie Astronautinnen und Astronauten in die Lage versetzen, die Einsamkeit und die Herausforderungen des Alls zu meistern.

Psilocybinhaltige Pilze fördern Kreativität. Kreativere Menschen haben mehr Lösungen für Probleme parat. Daraus ergibt sich ein fruchtbares Ökosystem, das die langfristige Präsenz von Menschen im All nur fördern kann.

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