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Wirbeltierevolution: Uraltes Schuppenkleid

Bereits die Haut der frühen Reptilien setzte sich aus einem komplizierten Muster von Schuppen zusammen. Demnach entstand die schützende Körperbedeckung, kurz nachdem die Wirbeltiere das Festland eroberten.
Bartagame
Die Vorfahren der Reptilien (hier eine Bartagame) trugen schon ein Schuppenkleid.

Was wir über ausgestorbene Tiere wissen (Wie groß waren sie? Schwammen, liefen oder flogen sie? Agierten sie als Räuber oder Beute?), haben wir vor allem von deren versteinerten Überresten gelernt. Bei wirbellosen Tieren wie den einst im Meer weit verbreiteten Trilobiten geben uns die hervorragend erhaltenen Exoskelette, die ihre Körperhülle bildeten, ein detailliertes Bild ihrer asselförmigen Gestalt. Bei Wirbeltieren wie den Dinosauriern, die vor allem versteinerte Knochen hinterließen, braucht man dagegen schon mehr Fantasie, um sich vorzustellen, wie sie zu Lebzeiten ausgesehen haben könnten.

Solche Interpretationen von Fossilien liegen allerdings oft daneben. So stellte der Blockbuster »Jurassic Park« aus dem Jahr 1993 Velociraptoren als ebenso intelligente wie erbarmungslose Raubtiere dar, die ein ziemlich abschreckend wirkendes Schuppenkleid trugen. Dank später entdeckter versteinerter Hautabdrücke hat sich jedoch herausgestellt, dass diese Saurier Federn besaßen und damit ein deutlich flauschigeres und weniger Furcht erregendes Äußeres aufwiesen, als sich die Filmemacher vorstellten.

Fossile Hautüberreste können uns also eine grundlegende Vorstellung darüber geben, wie ausgestorbene Tiere wirklich aussahen und wie sie sich an ihre Umwelt anpassten. Es gibt aber nur wenige solche Funde aus einer der folgenreichsten Evolutionsperioden in der Geschichte der Wirbeltiere: zwischen vor 350 Millionen Jahren, als Nachkommen der Amphibien ihre Wasserwelt verließen und an Land gingen, und der Perm-Trias-Grenze 100 Millionen Jahre später, als ein rascher Anstieg der globalen Temperatur das Leben auf eine harte Probe stellte und zu einem massenhaften Aussterben führte.

Die Eroberung des Festlands beruhte auf zwei Innovationen: wasserdichte Eier, in denen sich die Embryonen in einer mit Flüssigkeit gefüllten Fruchtblase entwickeln (nach dem griechischen Wort »amnion« für Embryonalhülle wird diese Tiergruppe »Amniota« genannt), sowie eine wasserdichte Haut, welche die geschlüpften Tiere vor dem Austrocknen schützt (siehe »Anpassung an das Landleben«). Bestand eine solche trockenheitsresistente Körperhülle vielleicht schon damals wie bei heutigen Schlangen und Eidechsen aus Schuppen?

Anpassung an das Landleben | Vor etwa 350 Millionen Jahren wagten einige im Wasser lebende Tiere den Sprung an Land (a). Voraussetzung hierfür waren einerseits Eier mit harter Schale, in denen sich die Embryonen trotz einer trockenen Umgebung entwickeln konnten, sowie andererseits ein schützendes Schuppenkleid. Vermutlich durchlief die Haut der frühen Amnioten (Landwirbeltiere) während der Embryonalentwicklung eine rasche Musterbildung. Es entstanden punktförmige Areale, wo sich später Schuppen formieren sollten. Nach dem Schlüpfen härteten sich wahrscheinlich diese Bereiche schnell durch Zelldifferenzierung aus und unterschieden sich so vom umgebenden Gewebe. Demnach könnte aus der Kombination von embryonaler Musterbildung und postembryonaler Reifung eine mechanisch widerstandsfähige, aber flexible und wasserdichte Haut mit Schuppen entstanden sein, die vor ultraviolettem Licht schützt (b). Funde von 285 Millionen Jahre alten, gemusterten Miniaturschuppen von frühen Amnioten sowie von ähnlich alten Reptilien aus der Familie der Varanopiden unterstützen ein solches hypothetisches Szenario (c).

Die von der Arbeitsgruppe um den Wirbeltierpaläontologen Robert Reisz von der kanadischen University of Toronto Mississauga präsentierten Belege helfen beim Beantworten dieser Frage. Die Fachleute berichten über hervorragend erhaltene versteinerte Hautstücke unbekannter Amnioten, von denen es allerdings keine Knochenreste gibt. Mit schätzungsweise 285 Millionen Jahren gelten die Fossilien als die ältesten ihrer Art. Alle neun Fundstücke weisen kompliziert gemusterte Schuppen auf, die denen eines Krokodils, abgesehen von der Größe, verblüffend ähneln. Jede dieser Strukturen misst weniger als 0,1 Millimeter und ist damit nicht breiter als ein menschliches Haar. Solche Kleinheit ist zwar ungewöhnlich, aber nicht ohne Beispiel: Die Haut des nur daumengroßen Chamäleons Brookesia nana aus Nordmadagaskar wird ebenfalls von mikroskopisch kleinen, weniger als 0,1 Millimeter breiten Schuppen bedeckt.

Anders als die in der Regel vieleckigen Schuppen heutiger Reptilien, die sich mosaikartig aneinanderreihen, haben die von Reisz und seinen Kollegen beschriebenen Überreste abgerundete Ränder und berühren sich nicht, so dass sie an Regentropfen auf einem Fenster erinnern. In mindestens zwei Fällen erscheinen die Schuppen länglich und in eine Richtung polarisiert – ähnlich wie Regenschlieren auf einer Windschutzscheibe.

Entwicklungsbiologen wird die verblüffende Parallele zu embryonalen Körperoberflächen von Wirbeltieren auffallen, auf denen sich Haare, Federn oder Schuppen bilden. Solche periodischen Muster lassen sich durch molekular gesteuerte, räumliche Selbstorganisation von ursprünglich identischen Hautzellen erklären (siehe »Spektrum« September 2022, S. 44). Tatsächlich sprechen Molekularanalysen für eine periodische Verteilung von Signalmolekülen als treibende Kraft bei der Schuppenbildung von Krokodilen, Eidechsen oder Schlangen. Daher liegt es nahe, dass ein Muster bildender molekularer Mechanismus in der sich entwickelnden Haut früher Amnioten zahlreiche sich wiederholende Schuppen erzeugte – so wie es bei ihren heutigen Verwandten geschieht.

Worin könnten die Vorteile des Schuppenkleids liegen? Aufschlussreiche Hinweise liefern Individuen der Farbbartagame (Pogona vitticeps), denen auf Grund einer Mutation im Ectodysplasin-A-Gen Schuppen fehlen. Im Gegensatz zu ihren schuppigen Vettern benötigen diese Tiere Lebensräume mit hoher Luftfeuchtigkeit und geringer Ultraviolettstrahlung. Die Schuppen schützen demnach die Reptilien vor Sonnenbrand, Austrocknung und mechanischen Verletzungen.

Die Körperoberfläche von Landtieren wird durch die so genannte epidermale Verhornung wasserdicht und mechanisch gehärtet. Dabei durchlaufen nach oben gerichtete Zellstapel in der Epidermis, der äußersten Hautschicht, einen ausgeklügelten Prozess, bei dem sie ihren Zellkern abstoßen und sich in abgestorbene, gehärtete »Geisterzellen« verwandeln, die mit vernetzten Keratinfasern und zementähnlichen Proteinen gefüllt sind. Diese Korneozyten dienen als schützende Barriere der Körperoberfläche. Die epidermale Verhornung beruht zum Teil auf unterschiedlichen Proteinen, die von einer genetischen Region namens epidermaler Differenzierungskomplex (epidermal differentiation complex, EDC) codiert werden.

Bei heutigen Säugetieren erzeugen zwei wichtige zementartige EDC-Proteine, Loricrin und Involucrin, flexible Korneozyten, die sich einzeln von der Hautoberfläche ablösen können. Reptilien verwenden dagegen β-Keratinproteine, welche die Zellen fest verbinden und eine harte Epidermis erzeugen. Wahrscheinlich sorgte schon bei deren frühen Vorfahren eine periodische räumliche Musterbildung während der Embryonalentwicklung dafür, dass sich die eigentlich harte Epidermis in ein biegsames Gitter aus miteinander verbundenen Schuppen unterteilte.

Dieser mathematisch präzise ablaufende Prozess hat sich bis heute bewährt, und die Natur optimierte die Musterbildung immer weiter. Ein Fossil eines auf Bäume kletternden Reptils aus der ausgestorbenen Familie der Varanopiden, das in einem ähnlich alten Gestein auftauchte wie die von Reisz und seinen Kollegen untersuchten Exemplare, wies bereits große, einheitliche Schuppen auf, die an übereinandergestapelte Terrakottafliesen erinnern. Offensichtlich diversifizierten die frühen Amnioten den entstandenen allgemeinen Mechanismus zur Schuppenbildung sehr rasch, so dass sich eine Vielzahl von an Trockenheit angepassten Körpern entwickelte, die neue Lebensräume auf dem Festland eroberten.

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  • Quellen

Mooney, E. D. et al.:Paleozoic cave system preserves oldest-known evidence of amniote skin. Current Biology 34, 2024

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