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Wetter: Wird so warm der Winter?

Folgt auf den Jahrhundertsommer nun auch ein zu warmer Winter? Wie das Wetter exakt wird, lässt sich nicht über Monate voraussagen. Aber ein eindeutiger Trend ist erkennbar.
Frankfurt im Regen

Folgt auf den Jahrhundertsommer 2018 nun ein Jahrhundertwinter? Bislang hätte es auf diese Frage nur eine ehrliche Antwort geben dürfen: Das weiß Mitte Dezember noch niemand. Das Wetter ist im physikalischen Sinn zu chaotisch, um es über mehrere Wochen und Monate gesichert vorherzusagen. Seine Launen lassen sich daher maximal zehn Tage einigermaßen treffsicher prognostizieren. Und so winkten seriöse Meteorologen bei Nachfragen zu Jahreszeitenprognosen lange ab: In unseren Breiten gehe das nicht. Zu unsicher. Warten Sie es einfach ab.

Im Frühjahr ,2018 nun ist eine Studie veröffentlicht worden, die mit dieser Gewissheit bricht und die das Zeug zu einer kleinen Sensation hat. »Erstmals verlässliche Drei-Monats-Prognose für Winter in Europa möglich«, lautete der Titel einer Pressemitteilung vom April. Sie stammte nicht etwa von einer ominösen Forschergruppe aus Irkutsk, sondern von der durchaus als seriös bekannten Universität Hamburg. Zudem erschien sie im seriösen Fachmagazin der »Geophysical Research Letters« und nicht etwa in einem dubiosen Raubtierverlag. Dass die Studie dennoch nicht die angemessene mediale Aufmerksamkeit erhielt, hatte einen ganz trivialen Grund: Sie erschien zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt während des ersten Frühlingsausbruchs Mitte April. Da hatten die meisten Redaktionen den Winter einfach satt.

Doch nach dem Dürresommer stellt sich die Frage nach dem Winter nun drängender denn je. Bringen die kommenden Monate endlich Regen oder setzt sich die Trockenheit weiter fort? Anruf bei dem Mann, der anscheinend weiß, wie der Winter wird, dem Ozeanografen Mikhail Dobrynin vom Hamburger Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit. Es ist Anfang November, draußen ist gerade der so genannte Martinssommer ausgebrochen, das Thermometer zeigt fast 20 Grad Celsius. Schnee und Kälte scheinen noch fern. Trotzdem die Frage: Wie wird der Winter denn nun?

Dobrynin ist ein Zahlenmensch, kein Mann der großen Worte. Die Sache mit der Wintervorhersage ist ihm etwas unangenehm. Also spricht er zunächst über Druckverteilungen, über die Nordatlantische Oszillation, über Telekonnektionen, Globalmodelle und Ensemblemethoden, nur nicht darüber, wie der Winter denn nun wird. Er müsse sich erst mit seinen Kollegen beraten, die saisonale Vorhersagen beim Wetterdienst modellieren, sagt er. »Rufen Sie Ende November noch einmal an.«

Vorsicht ist angeraten

Seine Vorsicht ist verständlich: An Langfristprognosen sind schon einige Experten gescheitert – selbst ernannte wie renommierte. Vor allem Winterprognosen können gefährlich aufs Glatteis führen, das hat die Vergangenheit mehrfach gezeigt. Als berühmteste Fehlprognose aller Zeiten ging die vom Kriegswinter 1941/42 in die Geschichte ein. Sie stammt vom deutschen Meteorologen Franz Baur, der beim Reichswetterdienst arbeitete. Baur war sich seiner Sache absolut sicher, deshalb telegrafierte er schon im Oktober 1941 folgende folgenschwere Winterprognose an die Wehrmachtsstellen: »Da in der Witterungsgeschichte noch nie mehr als zwei strenge Winter hintereinander aufgetreten sind, wird der kommende Winter normal oder mild sein.« Was folgte, war einer der strengsten Winter des 20. Jahrhunderts. Die erste Kältewelle mit Frost unter minus 20 Grad Celsius erfasste Osteuropa schon im selben Monat. Erst fielen die Temperaturen, dann die Soldaten. Nichts ging mehr. Und der Winter biss sich fest.

Der Rest ist bekannt. Der strenge Winter war ein Faktor in der Niederlage der Deutschen beim Überfall auf die Sowjetunion, wenn auch nicht der entscheidende. Baur stellte die Fehlprognose, weil er vernarrt war in seine Methodik: Er ging davon aus, dass man nur genügend Abläufe studieren müsste, um die Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, denen das Wetter folgt. Er wälzte Statistiken über vergangene Abläufe der Jahreszeiten, suchte nach Abweichungen, Zusammenhängen, Mustern. Daraus leitete er dann seine Regeln ab.

Baurs Vorgehen mag heute seltsam erscheinen, aber im Vergleich zu manchen Scharlatanen unter den Wetterwebsites heute und Laienpropheten, die etwa an dem Blütenstand der Königskerze ablesen zu können glauben, wie kalt es in ein paar Monaten werden wird, verfolgte der Reichsmeteorologe immerhin so etwas wie einen wissenschaftlichen Ansatz.

Zweiter Anruf in Hamburg, wenige Wochen später. Der Martinssommer ist definitiv vorbei, der meteorologische Winter hat begonnen. Mikhail Dobrynin sagt, er verfolge ebenfalls einen statistischen Ansatz. Er versucht das Geheimnis der Winters nicht allein mit den üblichen Computermodellen zu lösen, sondern bezieht in seine Simulationen auch Fernwirkungen ein, die Telekonnektionen. Anders formuliert: Er sucht nach »Spuren im Chaos«, Verhältnisse in fernen Regionen, die sich auf das Wetter in Europa auswirken. Für den Winter hat er vier Faktoren identifiziert: die Schneehöhe in Sibirien, den arktischen Polarwirbel, die Ausdehnung des arktischen Meereises sowie die Ozeantemperatur im Atlantik.

Sibiriens Einfluss

Denn offenbar ist absehbar, wann sich gewisse Luftmassen ihren Weg nach Europa bahnen. Liegt im Herbst zum Beispiel bereits überdurchschnittlich viel Schnee in Russland, bildet sich ein Kältereservoir, das eine eisige Ostströmung entfachen kann. Tatsächlich fand Dobrynin heraus, dass die herbstliche Schneehöhe in seiner Heimat Russland der genaueste Prediktor für den Winter in Mitteleuropa war. »Damit funktioniert es am besten«, sagt er.

Auch andere Gebiete sind in der Lage, eine Art Schalter zu aktivieren, der das Winterwetter in Europa steuert. So bezeichnen Meteorologen das Zusammenspiel von Islandtief und Azorenhoch als Nordatlantische Oszillation und berechnen daraus einen Index. Sie unterscheiden eine positive und eine negative Phase. Eine positive zeigt an, dass sich über dem Atlantik was tut, während einer negativen Phase hingegen wirken Hochdruckgebiete wie Bollwerke gegen warme Westwinde. In der Folge strömt entweder milde Atlantikluft auf den Kontinent oder eben eisige Kälte aus Norden und Osten. Ein solches Gerangel zwischen warm und kalt ist symptomatisch für den Winter in Europa.

Ohne die Berücksichtigung dieser Telekonnektionen war der Winter in Europa bisher kaum vorhersagbar. Zwar gibt es Jahreszeitenprognosen, etwa die der amerikanischen Atmosphären- und Ozeanbehörde NOAA. Die Methode dahinter entspricht allerdings die der herkömmlichen Wettervorhersagen: In Großrechnern werden Modelle für einen bestimmten Zeitraum mit leicht unterschiedlichen Anfangsbedingungen durchgerechnet. Für jedes spuckt der Computer ein mehr oder weniger anderes Ergebnis aus. Zusammen bilden sie ein so genanntes Ensemble. Meist plädierte die eine Hälfte der Läufe für einen milden Winter, die andere Hälfte für einen kalten. »Damit waren die Ergebnisse kaum besser, als wenn wir geraten hätten«, sagt Mikhail Dobrynin.

Seine Ergebnisse hingegen lassen nun erstmals Trefferquoten von mehr als 80 Prozent zu. In einem komplizierten Verfahren fahndete Dobrynin nach Zusammenhängen, wählte daraus die besten Läufe aus – und beseitigte die schlechten. Anschließend simulierte er nachträglich die Winter der vergangenen Jahre und verglich sie mit den tatsächlichen Beobachtungen in den einzelnen Wintern. Am Ende staunte er nicht schlecht: Die Nachhersagen zeichneten den tatsächlichen Winterverlauf sehr gut nach. Fragen an den Propheten: Und was bedeutet das jetzt für den anstehenden Winter? Er werde wohl sehr warm, sagt er. Genaueres könne man beim Deutschen Wetterdienst erfahren, der seine Methodik derzeit testet.

Dort, im hessischen Offenbach, baut die Meteorologin Kristina Fröhlich seit zwei Jahren ein eigenes Jahreszeitenmodell auf: das German Climate Forecast System. Bislang waren die Resultate nicht viel besser als die aus Amerika, Dobrynins neue Herangehensweise könnte das aber ändern. »Wir sind begeistert von dem Ansatz«, sagt sie, die auch Mitautorin der Studie ist. Die Ergebnisse aus Hamburg seien so überraschend gut gewesen, dass es mehrere Anläufe brauchte, um sie in einem Fachjournal zu veröffentlichen: »Viele sagten uns, das kann doch gar nicht sein.« Deswegen wird die Idee nun in Offenbach gründlich getestet.

Überträgt man den neuen Ansatz in das Jahreszeitenmodell, dann zeichne sich ein überaus milder Winter ab, sagt Fröhlich. Die über Dezember, Januar und Februar gemittelte Temperatur soll sogar noch höher ausfallen als der Schnitt der vergangenen 27 Jahre, und zwar um ein halbes bis ganzes Grad. Zudem könnte es in milder Luft endlich auch richtig regnen – vorausgesetzt das Modell behält Recht. Hier schränkt Fröhlich aber ein: Denn Niederschläge lassen sich noch schlechter vorhersagen als Temperaturen.

Der exakte Winterverlauf wird ohnehin nicht zu prognostizieren sein, heute nicht und wohl auch nicht in näherer Zukunft. Jahreszeitenprognosen geben nur einen Trend an. Da sie eine ganze Jahreszeit in einem einzigen Mittelwert zusammenfassen, werden Ausreißer wie kurze Kälteperioden geglättet. Und natürlich sind auch Jahreszeitenprognosen statistische Aussagen: Dass uns nun ein sehr milder Winter bevorsteht, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber eben nicht 100-prozentig sicher. Und doch stoßen die saisonalen Prognosen für Europa ein neues Tor auf, von dem bis vor ein paar Jahren Meteorologen noch geträumt haben.

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