Biofilme: Wirkstoff gegen Schläfer-Bakterien
Eine neue Klasse von Molekülen, die Bakterien in einem speziellen Scheintodzustand bekämpft, stellt eine Arbeitsgruppe um Wooseong Kim von der Brown University in Rhode Island in der neuen Ausgabe von »Nature« vor. Wie das Team berichtet, handelt es sich bei den Stoffen um Retinoide, chemische Verwandte von Vitamin A, die an einem Ende an das Diamantoid Adamantan gekoppelt sind. Die Moleküle lagern sich in Bakterienmembranen ein und machen sie dadurch unbrauchbar. Diese Besonderheit macht sie effektiv gegen Persister – eine kleine Unterpopulation von Bakterien, die praktisch keinen Stoffwechsel betreiben und deswegen gegen klassische Antibiotika immun sind.
Basis des bakteriellen Scheintodes sind Toxin-Antitoxin-Systeme im Erbgut der Bakterien, die durch zufällige Schwankungen die Zelle komplett stilllegen und wieder aufwecken. Durch diesen Zufallsmechanismus sind immer einige Bakterien im Schlafzustand – und wenn sie wieder aufwachen, besiedeln sie einen durch Antibiotika dezimierten Biofilm neu. Wie das Team um Kim berichtet, wirken die von der Gruppe als CD437 und CD1530 bezeichneten Stoffe im Experiment bereits gegen die Persister des multiresistenten Erregers MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus). Ihre Aktivität zeigte sich in Versuchen an Fadenwürmern und später an Mäusen mit chronischer MRSA-Infektion, die einer gleichartigen Erkrankung bei Menschen entspricht. Dabei wirkten sie besonders gut in Kombination mit einem klassischen Antibiotikum.
Allerdings ist noch unklar, ob derartige Substanzen als Medikamente geeignet sind – Moleküle, die bakterielle Membranen angreifen, haben auch das Potenzial, menschliche Zellen zu schädigen. Nach Angaben der Arbeitsgruppe erwiesen sich die neu entwickelten Stoffe allerdings als ungiftiger als andere membranaktive Wirkstoffe. Zusätzlich deuten die Experimente darauf hin, dass man durch geeignete chemische Veränderungen solche Moleküle innerhalb gewisser Grenzen gezielter auf bakterielle Zellen ausrichten kann. Allerdings werden synthetische Retinale selbst im besten Fall erhebliche Nebenwirkungen haben – in einer Zeit, in der multiresistente Erreger und hartnäckige Biofilme ein immer größeres Problem werden, könnten diese Moleküle dennoch eine Zukunft als Reservewirkstoff haben.
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