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Zukunftsträume: Wissenschaftlers Weihnachtswunsch

Auch Wissenschaftler hegen Wünsche: kleine und große, lustige und nachdenklich stimmende, erfüllbare wie utopische. Manche könnten sich das erhoffte Präsent vielleicht selbst auf den Gabenteller legen, andere müssen auf höhere Mächte bauen. Und einige dürften bis Ende 2005 leider mächtig leer ausgehen.
Kerzenflamme
Gustav Nossal ist mit seinen Träumen nicht allein. Mit dem Immunologen von der Universität Melbourne hofft die ganze Welt auf eine billige und effektive Malaria-Impfung. Und auch den ersten Platz auf Anthony Faucis Wunschzettel – die Entwicklung eines Moleküls, das Antikörper gegen alle Aids-Varianten aktiviert – dürfte breite Unterstützung finden. Fauci, der Direktor des amerikanischen National-Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, wird aber wahrscheinlich leider enttäuscht werden. Nossal dagegen dürfte sich bereits über einen ersten kleinen Erfolg freuen: Der dieses Jahr getestete neue Impfstoff mit dem etwas sperrigen Namen RTS,S/AS02A schützte in Versuchen bereits ein paar der Probanden vor dem Wechselfieber. Ob die Menschheit aber insgesamt das Wettrennen gegen den Parasiten gewinnen kann, bleibt weiter fraglich.

Die wohl teuersten Ansprüche meldet Gerald Navratil an. Der Plasmaphysiker von der Columbia-Universität in New York möchte nicht nur einen experimentellen Reaktor im Rahmen des ITER-Programms zur Erforschung der Wasserstoffkernfusion. Nein, ihm wären gleich zwei am liebsten. Die teilnehmenden Nationen Russland, China, Südkorea, Japan, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union sind sich ja einig, dass sie überhaupt einen Reaktor bauen wollen – nur leider nicht, wo. Am Ende könnte so auch erst einmal gar keiner entstehen – und die Wissenschaftler sähen in die Röhre.

Undurchführbar bleibt die Erfüllung von George Daleys Wunsch aus Harvard: eine kataklystische Neuordnung der tektonischen Platten – oder zumindest eine gesetzliche Neuregelung der Bundesstaatengrenze der USA –, sodass der San-Andreas-Graben knapp westlich von Boston verliefe und die Stadt damit in Kalifornien läge – in Reichweite entsprechender Forschungsfinanzierung. Nichts weniger als eine seismische Erschütterung brächte nämlich auch die Ostküsten-Unis der Vereinigten Staaten in den Genuss staatlicher Gelder für die Stammzellenforschung, die ihnen vom amerikanischen Kongress verweigert werden. Anders dagegen die Situation in Kalifornien: Dort bejahten die Wähler ein Referendum, das diesem Forschungszweig in den nächsten Jahren drei Milliarden bundesstaatlicher Dollar zukommen lässt.

Natürlich haben auch deutsche Wissenschaftler Sehnsüchte: Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung sähe gerne ein amerikanisches Nachfolgeprogramm des Manhattan- und des Apolloprojekts, dessen Zielvorgabe eine vollständige "Entkohlenstoffizierung" der Energieversorgung wäre. Nun, träumen wird man wohl noch dürfen.

Realistischer erscheint da schon das Begehr von Craig Venter: Anhand der Methodik, mit der er auch das menschliche Genom mit entschlüsselte, möchte er in den Weiten der Ozeane einen Organismus finden, der die Abhängigkeit der Welt von Öl und Kohle auflösen würde.

Einen vielleicht letzten Sex wünscht Hunt Willard von der Duke University – nein, nicht sich – Lonesome George, dem wahrscheinlich letzten seiner Art auf Galapagos. Die alte Schildkröte findet keinen Partner mehr. Mittels einer DNA-Analyse fahnden die Forscher nun nach einem Weibchen einer genetisch möglichst nahe verwandten weiteren Unterart. Um derartige Gen- und Evolutionsstudien besser und schneller durchzuführen, besäßen die Wissenschaftler der Charles-Darwin-Forschungsstation auf der Galapagos-Insel Santa Cruz gerne ein moderneres Labor auf der Höhe der Zeit. Sollte dies auch nicht möglich sein, so erbittet Willard wenigstens ein fünfminütiges Gespräch mit Charles Darwin.

Einen auf den ersten Blick ebenfalls etwas skurrilen Wunsch äußert Louis Friedman von der Planetarischen Gesellschaft der USA: Er harrt auf einen Anruf von ET. Kein Wunder: Seine Gesellschaft unterstützt SETI – jenes Forschungsprogramm, das nach Zeichen extraterrestrischen Lebens sucht. Über den möglichen Inhalt dieses Gesprächs schwieg sich Friedman allerdings aus.

Auf einen weniger utopischen Hinweis außerirdischen Lebens im Jahr 2005 baut der Geologe Roger Buick von der Universität von Washington in Seattle: Er setzt auf Organismen auf dem Mars. Erkannt werden könnten sie seiner Meinung nach möglicherweise durch einen Hauch ihrer Flatulenzen. Darüber sollte man nun aber nicht pikiert die Nase rümpfen, denn die ESA-Sonde Mars-Express wies dieses Jahr Methan in der Atmosphäre des Roten Planeten nach. Da dieses Gas kurzlebig ist, soll es nicht älter als 300 Jahre sein. Aktuelle vulkanische Aktivität entdeckte man bislang nicht, warum also nicht bakterielle Blähungen als Ursache? Näheren Aufschluss über die Existenzfrage kleiner grüner Mars-Mikroben soll nun die Suche nach Schwefelwasserstoffspuren – als anrüchiger Komponente der Verdauungsemissionen – in der Gashülle des Mars ergeben.

Steven Rose, ein Neurologe der Open University in Keynes, würde gerne ein Freudenfeuer schüren, in dem sich all jene – seiner Meinung nach unsinnigen – neuen Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen der britischen Bürokratie in Rauch auflösen. Die Instruktionen behindern ihn in seiner Forschungsarbeit. Obwohl Brite, fühlt er sich anscheinend nicht exzentrisch genug, um mit einem Raumanzug vorschriftsmäßig bekleidet seinen wissenschaftlich orientierten Hühnerstall zu betreten.

Der palästinensische Pflanzenforscher Radwan Barakat von der Universität in Hebron hat noch eine sehr nachdenklich stimmende Hoffnung: Er wünscht sich Ruhe, Sicherheit und Meinungsfreiheit für alle drangsalierten Wissenschaftler in den von Krieg und Unruhen geplagten Regionen der Erde.

Und was wünschen Sie sich, liebe Leser, als dringlichste Aufgabe der Wissenschaft im nächsten Jahr? Welchen Erfolg sähen Sie am liebsten? In welchem Forschungszweig sollte es Ihrer Meinung nach zu den bedeutendsten Durchbrüchen kommen?

In der Hoffnung auf zahlreiche Zuschriften unter www.spektrum.de/2005 wünschen wir Ihnen: Frohe Weihnachten!

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