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Ehrungen der besonderen Art: Wissenschafts-Karaoke

Kurz bevor die Wissenschaftswelt ernst und gespannt nach Stockholm blickt, gönnt sie sich alljährlich ein kleines, entspanntes Augenzwinkern. Denn auch besonders skurrile Ideen werden honoriert - mit einem "Nobelpreis" der besonderen Art.
Ig-Nobelpreise
Forschung hat viele Facetten – und manche davon lösen auf den ersten Blick Unverständnis aus, ratloses oder gar unwilliges Kopfschütteln, warum überhaupt Zeit und Geld in solche Projekte investiert wird. Allerdings: Das gilt schließlich nicht nur für Forschung, sondern für gar vieles um uns herum. Und vielleicht ist es in den momentanen Zeiten, in denen an so vielen Ecken dieses Planeten Menschen nur noch lächeln, um dem anderen die Zähne zu zeigen, gerade besonders angesagt, auf solche Kuriositäten hinzuweisen. Denn sie bringen uns nicht nur zum Lachen, sie regen auch an zum Denken: die Ig-Nobelpreise der Annals of Improbable Research.

Völkerverständigung war dieses Jahr daher auch Thema für den Ig-Nobelpreis für Frieden: Er geht an den Japaner Daisuke Inoue aus Hyogo für eine Erfindung, die Menschen einen ganz neuen Weg eröffnet, sich gegenseitig zu tolerieren: die Karaoke. Auf solchen Partys, die jeden einmal für kurze Zeit das Rampenlicht der Stars genießen lassen, kann man durch Zuhören und Zusehen viel voneinander lernen – und sei es nur, höflich trotzdem zu klatschen.

Für den großen Auftritt muss Frau und Mann sich natürlich fein machen. Doch oh je: Der kahle Fleck am Hinterkopf hat schon lange die Maße eines Ein-Cent-Stücks überrundet – was tun? Womöglich plagten Vater und Sohn Smith aus Orlando in Florida dieselben Gedanken, als sie 1975 eine Lösung für das Problem fanden, die sogar patentwürdig war – eine Anleitung, wie sich restliche Haarsträhnen besonders effektiv über kahle Stellen frisieren lassen [1]. Der Clou des Ganzen: Man(n) teile die mindestens sieben Zentimeter langen Strähnen in mehrere Abschnitte und kämme dann – stapelartig – jene Büschel über die nackte Fläche. Eine gute Portion Haarspray sorgt für besseren Sitz und sollte das Gebilde auch den Karaoke-Auftritt überleben lassen. Der Jury war diese Eingebung des Ig-Nobelpreis für Ingenieurswissenschaften wert.

Wer der Stimme gesangsmäßig eher weniger mächtig ist, mag seine Zuschauer vielleicht mit einer akrobatischen Einlage überzeugen, die nun nach einem Viertel Jahrhundert Pause wieder in Mode kommt: Hula-Hoop-Reifen. Für Physiker birgt das lockere Kreisen in den Hüften eine ganz besondere Herausforderung, allerdings weniger sportlicher, als vielmehr rechnerischer Art: Inwiefern wirken die unzähligen Freiheitsgrade unserer unteren Gließmaßen sich aus auf das Schwingungsverhalten? Oder lassen sie sich gar auf einige wenige, dafür voneinander abhängige reduzieren? Fragen, denen Ramesh Balasubramaniam von der Universität Ottawa und Michael Turvey von der Yale-Universität nachgingen. Ihre theoretische Abhandlung [2] brachte ihnen den Ig-Nobelpreis für Physik – aber ob das die praktische Übung erleichtert?

Erschöpft von der ganzen Aufregung und Anstrengung, ist es irgendwann an der Zeit, auf den knurrenden Magen zu hören. Doch hoppla, sind Knie und Arme schon zu schwach, fällt das leckere Häppchen womöglich zu Boden. Was nun? 70 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer müssten nun sagen: "Schnell! Heb's auf! Solange es weniger als 5 Sekunden auf dem Boden liegt, kann man es noch essen." Soll man diese, angeblich auf Dschingis Khan zurückgehende Regel wirklich glauben? Jillian Clarke, damals Praktikantin in einem Labor der Universität von Illinois, machte die Probe aufs Exempel. Verblüfft über die selbst in stark frequentierten Fluren beobachtete Sauberkeit der Böden, warf sie Kekse und Gummibärchen auf die Erde, um sie anschließend genauestens zu beleuchten, sogar im Elektronenmikroskop. Von ihren Proben blieb dadurch nicht allzuviel übrig, doch Versuche in der Petrischale zeigten überzeugend: Es reichen auch weniger als fünf Sekunden, um einen Gummibären mit Escherichia coli zu infizieren. Bei den begleitenden Verhaltensstudien stellte die Jungwissenschaftlerin übrigens fest, dass Leute eher dazu neigen, Süßigkeiten aufzuheben als Blumenkohl oder Brokkoli. In Anerkennung dieser sauberen Arbeit bekommt sie den Ig-Nobelpreis für öffentliche Gesundheit.

Wen nun dürstet – nicht nach weiteren Erkenntnissen, sondern nach schlichtem Wasser –, der sollte besser nicht zu Dasani greifen, zumindest wenn es aus Großbritannien stammt. Was das ist? Tolles, mit neuester Technologie hergestelltes und Mineralien angereichertes Flaschen-Tafelwasser aus dem Hause Coca Cola. Mit britischen Augen genauer betrachtet allerdings nur aus dem Wasserhahn fließendes aufbereitetes Uferfiltrat der Themse, das nach Umkehrosmose – in Kläranlagen sehr geläufig – und Ozonbehandlung dummerweise auch noch Krebs erregende Bromverbindungen enthält. Das Risiko, im Wasserglas darauf zu stoßen, ist glücklicherweise inzwischen gering, musste das Unternehmen ihr Produkt doch schnell vom Markt nehmen. Kurz und schmerzlos gebührt ihnen für diesen Erfolg der Ig-Nobelpreis für Chemie.

Aber es gibt ja auch nicht gesundheitsgefährende Nahrungsmittel. Mit diesen versorgt, lassen sich im Sessel versunken die Darbietungen wieder besser genießen, und fasziniert folgen Augen und Ohren nur noch dem Geschehen auf der Bühne. Wie meinen? Vor der eigenen Nase sei eine Frau mit Regenschirm vorbeimarschiert? Aber nicht doch! Allerdings: So sicher sollte man sich da nicht sein – ist die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Prozedere konzentriert, kümmert sich unser Gehirn nicht um andere Dinge, und seien sie noch so abstrus. Daniel Simons von der Universität von Illinois in Urbana-Champaign und Christopher Chabris von der Harvard-Universität wiesen dies mit Videos nach, in denen ein Mann im Gorillakostüm mitten durch eine Basketballgruppe marschierte. Nur die Hälfte der freiwilligen Testgucker bemerkten den ungewöhnlichen Gast, die anderen waren zu sehr von der Aufgabe gefangen genommen, die Pässe zwischen den Spielern zu zählen [3]. Klare Sache: Dieser tiefe Einblick in die menschliche Wahrnehmung ist den Ig-Nobelpreis für Psychologie wert.

Womöglich fallen einem bei angestrengter Konzentration dann nicht einmal mehr Nackedeis ins Auge, pardon: Anhänger der Freikörperkultur. Damit ihre Geschichte und sozialen Beiträge nicht in Vergessenheit geraten, hat die amerikanische Nudistenvereinigung eine Forschungsbibliothek gegründet. Hier darf Mann und Frau im Adams- und Evakostüm in alten Büchern und Zeitschriften blättern, Filme schauen und sich austauschen. Damit es nicht zu frisch ist, liegt die Einrichtung im mollig-warmen Florida. Dieses einzigartige Bildungswerk wird gewürdigt mit dem Ig-Nobelpreis für Literatur.

Von der tiefschürfenden Literatur zurück zum meist eher oberflächlichen Gelaber von Veranstaltungen à la Karaoke – schließlich ist ein großer Teil des Gesprächs kaum mehr als hohle Seifenblasen. Ob dementsprechend Heringe sich über nichts Inhaltsschweres unterhalten? Geben sie doch, vor allem nachts und in größeren Gruppen, gern kleine Bläschen ab – sinnigerweise aber nicht am Mund, sondern am Hintern. Sie dienen der Kommunikation, sind sich Ben Wilson von der Universität von British Columbia, Lawrence Dill von der Simon-Fraser-Universität und Robert Batty von der Schottischen Vereinigung für Meereswissenschaften [4] sowie Magnus Whalberg von der Universität Aarhus und Hakan Westerberg von der schwedischen Fischereibehörde [5] sicher – und bekommen für diese Überzeugung den Ig-Nobelpreis für Biologie. Nein, liebe Zweifler, es handelt sich offenbar nicht um Blähungen.

Nun, mag das Heringsblubbern für unsere Ohren unverständlich sein, das menschliche ist es nicht immer, und wenn es gar in Form von Country-Musik auf uns eindröhnt, wird es sogar gefährlich. Berichten zumindest Steven Stack von der Wayne-State-Universität in Detroit und James Gundlach von der Auburn University [6]: Sie untersuchten den Einfluss jener beliebten Geräuschkulisse auf den psychischen Zustand der Zuhörer. Und siehe da, es offenbarte sich Erschreckendes: Die Selbstmordrate der Betroffenen kletterte deutlich. Und zwar nicht, weil sie die Klänge nicht ertrugen, sondern weil die Texte in einfachen Worten so viel Elend rund um Alkoholismus, Beziehungsprobleme und Entfremdung von der Arbeit schildern, dass bei bereits selbstmordgefährdeten Menschen oftmals die letzte Hemmung verspielt wird. Vielleicht weniger zum Lachen, dafür mehr zum Denken dürfte hier der Ig-Nobelpreis für Medizin gemeint sein.

Und wohl eher Stirnrunzeln könnte der diesjährige Ig-Nobelpreis für Wirtschaft hervorrufen. Der Empfänger? Der Heilige Stuhl oder Vatikan – für seine hervorragende und dabei doch gar nicht mehr so hippe Methode des Outsourcens. Denn die Glaubensbrüder kommen offenbar den Anfragen nach zu lesenden Messen für Verstorbene et al. mit dem landeseigenen Personal nicht mehr hinterher – ein Problem, das sie mit vielen europäischen und nordamerikanischen Staaten teilen. Abhilfe schaffen katholische Priester in Indien, insbesondere in der Provinz Kerala: Für fünf Dollar erfüllen die Geistlichen hier in ihren Gottesdiensten die Anfragen aus Übersee. Nun, man mag davon halten, was man will – letztendlich könnte man auch das als Beitrag zur Völkerverständigung sehen.

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