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Cancel-Culture: Fühlen sich Forschende in Deutschland eingeschränkt?

Die meisten Wissenschaftler fühlen sich in ihrer Forschung und Lehre frei, doch rund jeder Fünfte tut das nicht – und einige davon aus Erfahrung.
Professorin doziert im Hörsaal vor Studierenden
Frauen sehen die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland ein bisschen kritischer als Männer.

Einschränkungen in der akademischen Redefreiheit sind »kein flächendeckendes Phänomen an deutschen Hochschulen« – aber auch keine Einzelfälle. Zu diesem ambivalenten Fazit kommt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in einem ersten Kurzbericht über eine große Umfrage zur akademischen Redefreiheit. Das DZHW wollte darin wissen, wie es aus Sicht von Forschenden und Lehrenden um die Wissenschaftsfreiheit an deutschen Hochschulen steht. Fürchten sie, für umstrittene Äußerungen persönlich angegriffen zu werden, oder haben sie das sogar schon erlebt?

Mehr als 9000 der knapp 55 000 eingeladenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gaben anonym Auskunft, berichtet die Zeit-Stiftung Bucerius, die die Studie in Auftrag gegeben hat. Vier von fünf Befragten stellen der Wissenschaftsfreiheit in Deutschland ein eher gutes oder sehr gutes Zeugnis aus. Allerdings: Knapp jeder Fünfte hält sie jedoch für eher schlecht oder sehr schlecht. Im Mittel über alle Fachgruppen sind 14 Prozent nach eigenen Angaben schon einmal einem Forschungsthema nicht nachgegangen, weil sie negative Konsequenzen fürchteten; zwölf Prozent, weil Druck auf sie ausgeübt wurde; und neun Prozent verzichteten deshalb darauf, ein Forschungsergebnis zu veröffentlichen. Sechs Prozent geben an, wegen ihrer Forschung moralische Abwertungen oder berufliche Probleme erlebt zu haben.

Die Zahlen schwanken je nach Forschungsfeld, Geschlecht und beruflicher Position. Am häufigsten berichteten Befragte aus den Geistes- und Sozialwissenschaften über berufliche Probleme oder moralische Abwertungen. Außerdem hatten Frauen nach eigener Auskunft in vielen Aspekten etwas mehr negative Erfahrungen gemacht. Und wer noch keine Professur innehatte, fürchtete eher berufliche Probleme zu bekommen, wenn er frei nach eigenen Vorstellungen forschen würde, oder hielt Forschungsergebnisse eher aus Angst zurück.

Die Studie ist auch ein Versuch, den Vorwurf einer »Cancel-Culture« und eingeschränkter Redefreiheit an deutschen Hochschulen zu prüfen und so die Debatte darüber zu versachlichen. Der Begriff »Cancel Culture« bezeichnet die gesellschaftliche Praxis, andere öffentlich für Äußerungen zu diskreditieren, die außerhalb eines für politisch korrekt befundenen Meinungsspektrums liegen, und trifft eher als rechts verstandene Positionen.

In den USA ist die politische Polarisierung an Hochschulen inzwischen ein großes Thema. Eine ähnlich starke Polarisierung gebe es hier zu Lande zwar nicht, schreibt dazu die Wochenzeitung »Die Zeit«, die zuerst über die Studienergebnisse berichtete. Allerdings verorteten sich viermal mehr Befragte politisch eher links als rechts der Mitte, und im linken Spektrum deute sich auch eher Dogmatismus an: »Veranstaltungen ganz abzusagen, befürwortet eine kleine Minderheit, die tendenziell linke Positionen zu vertreten scheint.« Eine große Mehrheit denkt jedoch, dass die Universitäten beispielsweise Vorträge zu heiklen Themen und zugleich den Protest dagegen zulassen sollten.

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  • Quellen
Fabian, G. et al.: Akademische Redefreiheit. Kurzbericht zu einer empirischen Studie an deutschen Hochschulen, Oktober 2024

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