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Wissenschaftsgeschichte: Goethe und die Astronomie

Der große deutsche Dichter war auch Liebhaberastronom und Sternwartengründer. Zahlreich sind die astronomischen Motive in seinen literarischen Schöpfungen.
Gemälde: Porträt von Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe | Der berühmteste deutsche Dichter wurde im Jahr 1749 in Frankfurt am Main geboren und starb im Jahr 1832 in Weimar. Zu den bekanntesten Werken gehört sein Drama »Faust«. In diesem Jahr feiern wir seinen 275. Geburtstag.

Mit seinem gewaltigen dichterischen Werk wurde Goethe zum wichtigsten Wegbereiter der klassischen deutschen Literatur (siehe »Blick in eine andere Zeit«). Er ist aber auch als Naturwissenschaftler hervorgetreten, so in der Botanik, der Zoologie, der Meteorologie, der Geologie und der Mineralogie. Als Augenmensch interessierte Goethe sich für alles, was ihn in der Natur umgab. Dazu gehörte selbstverständlich auch der gestirnte Himmel über ihm.

Allerdings fanden seine astronomischen Interessen vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit in der späteren Goethe-Forschung. Erfreulicherweise gibt es aber einige kleinere Artikel, die diese Verbindungen zur Astronomie ansprechen. Oft werden dort die schöpferischen Beziehungen zwischen Naturwissenschaft und seiner Dichtkunst mit eindrucksvollen Beispielen aus seinen Werken belegt. Hier soll, im Jahr des 275. Geburtstags von Goethe, an sein praktisches astronomisches Wirken erinnert werden. War Goethes sehr spätes Bekenntnis, dass er sich nie mit Astronomie beschäftigt habe, wirklich ernst gemeint? Vielleicht wurden dadurch viele seiner Verehrer davon abgehalten, sich mit diesem Teil seines Lebens zu befassen.

Blick in eine andere Zeit | Goethe diktiert in seinem Arbeitszimmer dem Schreiber John.

Herzogliche Sternwarten

Im Frühjahr 1811 wurde ein Komet entdeckt, der bald darauf einen prachtvollen doppelten Schweif entwickelte und für viele Monate mit bloßem Auge sichtbar war. Dieser große Komet sowie die Frage nach seiner Natur und einem möglichen Zusammenstoß mit der Erde gaben den endgültigen Anstoß, einen im Herzogtum Sachsen-Weimar lange vorbereiteten Plan umzusetzen: die Gründung einer eigenen Sternwarte. Goethe, mit der Oberaufsicht über die herzoglichen Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena betraut, sollte bei dieser Sternwartengründung in Jena und dem späteren Forschungsprogramm eine wichtige Rolle spielen.

Beim Weimarer Herzog Carl August waren wissenschaftliche Interessen durch den Prinzenerzieher Christoph Martin Wieland früh geweckt worden. Als Goethe im Jahr 1775 an den Weimarer Hof kam, hatte Carl August in ihm einen ähnlich gesinnten Freund mit breiten naturwissenschaftlichen Interessen gefunden. Goethe stieg am Weimarer Hof bald in eine herausgehobene Stellung auf. Die astronomischen Neigungen beider wurden befördert durch Besuche bei einem Vetter Carl Augusts in Gotha, dem dortigen Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Der hatte an der Göttinger Universität eine breite naturwissenschaftliche Ausbildung erfahren.

Observatorium in Thüringen | Die Sternwarte auf dem Kleinen Seeberg bei Gotha ließ Herzog Ernst II. ab dem Jahr 1787 errichten. Goethe war mehrfach zu Gast in Gotha.

Die Entdeckung des Planeten Uranus durch Wilhelm Herschel im Jahr 1781 bestärkte Herzog Ernst II. in seinem Wunsch, eine eigene Sternwarte zu betreiben, denn es konnten weitere ruhmvolle Entdeckungen erwartet werden. Ab dem Jahr 1787 ließ er deshalb seine Privatsternwarte auf dem Seeberg bei Gotha errichten (siehe »Observatorium in Thüringen«). Sie wurde geleitet von dem aus Ungarn stammenden Astronomen und Geodäten Franz Xaver Freiherr von Zach, den Herzog Ernst aus London berufen konnte. Von Zachs Verbindungen zu bekannten englischen Optikern, so zu Peter Dollond, dem Hersteller guter achromatischer Fernrohre, und dem Instrumentenbauer Jesse Ramsden, ermöglichten eine leistungsfähige instrumentelle Ausstattung auf dem Seeberg. Der umtriebige von Zach machte die neue Sternwarte bald zu einer der wichtigsten in Europa; hier veranstaltete er im Jahr 1798 den ersten europäischen Astronomenkongress.

Goethe traf mehrfach mit von Zach zusammen und ließ sich von ihm in die mathematischen Methoden der Astronomie einführen. Eine Freundschaft entwickelte sich zwischen den beiden nicht. Von Zach schrieb an einen Kollegen: »… ich kenne Goethe sehr genau und intime, von ganzer Seele verachte ich diesen schlechten Kerl.« Die Erklärung dieser Abneigung sei durch Unstimmigkeiten innerhalb des Illuminatenordens begründet, so ist mehrfach in der Literatur zu lesen. Das ist wahrscheinlich falsch: Goethe gehörte dem Orden zeitweise an, von Zach aber nicht, wie wir heute wissen. Möglicherweise erklärt sich von Zachs Abneigung gegen Goethe aus einer langjährigen Rivalität beider um die Gunst der Herzogin Charlotte Amalie, der Gattin des Herzogs Ernst II. Sie war stark an Astronomie interessiert, rechnete und beobachtete und nahm an Zachs Astronomenkongress teil. Bei den von ihr gern gesehenen Besuchen Goethes in Gotha empfing sie den Dichter sehr herzlich. Eifersucht beim temperamentvollen Hofastronomen von Zach könnte zu dessen gefühlsbetontem schlechtem Urteil über den vermeintlichen Rivalen geführt haben. Als Herzog Ernst im Jahr 1804 starb, lebte die verwitwete Herzogin fast zwei Jahrzehnte mit von Zach in Italien zusammen.

Ganz anders reagierte Goethe. In seinem großen und persönlichen Spätwerk »Wilhelm Meisters Wanderjahre« erinnert er sinnbildlich an die Gothaer Astronomie: Der Titelheld Wilhelm besucht das Schloss der Makarie, die Goethe nach dem Vorbild der am Kosmos interessierten Herzogin Charlotte Amalie gezeichnet hat. Sie beschäftigt auf ihrem Schloss einen Astronomen, in dem man den Gothaer von Zach zu erkennen glaubt. Der Astronom führt Wilhelm auf einen hohen runden Turm seiner Sternwarte, als dessen Vorbild jener des Seeberg-Observatoriums vermutet wird. Der Astronom zeigt Wilhelm durch ein größeres Fernrohr den Jupiter mit seinen Monden, was jenen beeindruckt, aber nicht befriedigt. Er möchte lieber den Himmel in seiner Gesamtheit erfassen. Wilhelm zeigt, genau wie sein Schöpfer Goethe, eine Abneigung gegen optische Hilfsmittel. Er erklärt dem Astronomen, »daß diese Mittel, wodurch wir unseren Sinnen zu Hülfe kommen, keine sittlich günstige Wirkung auf den Menschen ausüben. Wer durch Brillen sieht, hält sich für klüger, als er ist, denn sein äußerer Sinn wird dadurch mit seiner inneren Urteilsfähigkeit außer Gefecht gesetzt ...«

Der 77-jährige Goethe bekennt dazu gegenüber seinem Vertrauten Johann Peter Eckermann: »Ich habe mich in den Naturwissenschaften ziemlich nach allen Seiten hin versucht, jedoch gingen meine Richtungen immer nur auf solche Gegenstände, die mich irdisch umgaben und die unmittelbar durch die Sinne wahrgenommen werden konnten, weshalb ich mich dann auch nie mit Astronomie beschäftigt habe, weil hierbei die Sinne nicht mehr ausreichen, sondern weil man hier schon zu Instrumenten, Berechnungen und Mechanik seine Zuflucht nehmen muß, die ein eigenes Leben erfordern und die nicht meine Sache waren.«

Gründung der Sternwarte in Jena

Bei dieser Aussage im hohen Alter muss Goethe wohl vergessen oder verdrängt haben, dass er sich in seinen mittleren Jahren vielfältig mit Astronomie beschäftigt hatte. Er war entscheidend an der Gründung der Sternwarte in Jena, des wissenschaftlichen Zentrums des Herzogtums Sachsen-Weimar, beteiligt. Auf die Oberaufsicht über die neue Sternwarte war Goethe, ohne es damals zu ahnen, durch die Arbeit an seiner Farbenlehre im Jahr 1810 gut vorbereitet. Im historischen Teil der Farbenlehre würdigt Goethe kenntnisreich die umwälzenden Entdeckungen früherer Astronomen, so die Lehren von Kopernikus und Kepler. Im didaktischen Teil erinnert er an Tycho Brahes Beobachtung, »daß der Mond in Konjunktion um den fünften Teil kleiner erscheine als in Opposition«.

Sternwarte in Jena | Unter Goethes Oberaufsicht wurde im Jahr 1813 die Sternwarte Jena als Anbau an Schillers Gartenhaus (hinten links) errichtet. Das Bild entstand im Jahr 1879, nachdem der Physiker und Sternwartendirektor Ernst Abbe das Wohnhaus bezogen und die Gebäude rekonstruiert und erweitert hatte. Zehn Jahre später ließ Abbe den Sternwartenanbau abreißen und errichtete nahebei einen modernen Neubau.

Bereits bei der Bauplanung für die neue Sternwarte auf dem Grundstück des ehemaligen schillerschen Gartenhauses war Goethe anwesend (siehe »Sternwarte in Jena«). Am 3. September 1813, pünktlich zum 56. Geburtstag von Herzog Carl August, wurde die Sternwarte eingeweiht. Goethe fand mit dem Universitätsprofessor für Mathematik, Karl-Dietrich von Münchow, den ersten Direktor für die neue Sternwarte; allerdings war der in der Astronomie bis dahin noch nicht hervorgetreten. Goethe legte das Beobachtungsprogramm für die ihm unterstellte Einrichtung fest: »Es wird dem Astronomen zur Pflicht gemacht, beständig genau Zeit zu halten, alle Sternbedeckungen und sonstigen Himmelsbegebenheiten, welche zu Längenbestimmung dienen können, fleißig zu beobachten und sowohl diese Beobachtungen als alle anderen, welche der Astronomie zum Fortschreiten der Wissenschaft und neuen Entdeckungen gemacht, in Manuale einzutragen …«

Nachdem Carl August, seit dem Jahr 1815 Großherzog, eines Abends mit bloßem Auge einen hellen Meteor beobachtet hatte, war er sehr enttäuscht, dass »seine Sternwarte« das Ereignis nicht bemerkt hatte. Goethe ordnete daraufhin an, in Jena künftig auch Feuerkugeln, Sternschnuppen, Mondhöfe und Irrsterne zu beobachten, außerdem monatlich eine kleine atmosphärische Chronik nach Weimar zu liefern. Goethe glaubte längere Zeit nicht an den kosmischen Ursprung der Meteoriten. Er vermutete ihren Ursprung in der oberen Erdatmosphäre. Dort seien sie durch Zusammenballung von Staub und Gas entstanden; er nannte sie deshalb Aerolithen oder Luftsteine.

Die neue Sternwarte war mit brauchbaren, aber eher bescheidenen Instrumenten ausgerüstet worden, darunter einem achromatischen 12-Zentimeter-Refraktor, einem 16-Zentimeter-Spiegelteleskop nach Newton, einem Kometensucher und einer englischen Pendeluhr. Goethe ließ ferner eine gut ausgestatte Bibliothek einrichten. Dennoch ist die Sternwarte, auch unter den nachfolgenden Direktoren und dem stetig fördernden Interesse Goethes, kaum durch herausragende Beobachtungen aufgefallen. Sie wandte sich, da der kleine Instrumentenpark allmählich veraltete, zunehmend der Meteorologie zu. Das wurde in Weimar geduldet: Die Witterungskunde gehörte zu den bevorzugten Interessengebieten Goethes und Carl Augusts. Die Anleitungen zu den meteorologischen Beobachtungen wurden wiederum von Goethe ausgearbeitet, in der Hoffnung, längerfristige Wettervorhersagen für das Großherzogtum Sachsen-Weimar zu erzielen.

Im Jahr 1825 veröffentlichte Goethe seinen »Versuch einer Witterungslehre«. Einen Zusammenhang zwischen der Astronomie und der Meteorologie, insbesondere den oft vermuteten Einfluss des Mondes auf die Witterung »aber lehnen wir ab; die Witterungserscheinungen auf der Erde halten wir weder für kosmisch noch planetarisch, sondern müssen sie nach unseren Prämissen für rein tellurisch [irdisch] erklären«.

Liebhaberastronom

Lange vor seinen beruflichen Verpflichtungen für die Astronomie hatte Goethe sich an eigenen Himmelsbeobachtungen erfreut. Als 50-Jähriger besaß er zwei Fernrohre, eines davon gefertigt vom in Weimar lebenden schwäbischen Mechanicus Auch, das andere vom Jenaer Optiker Stein. Im Sommer 1799 bezog Goethe sein Gartenhaus, »um einen ganzen Mondwechsel durch ein gutes Spiegeltelescop zu beobachten, und so ward ich denn mit diesem so lange geliebten und bewunderten Nachbar endlich näher bekannt«. So vorbereitet, benachrichtigte Goethe im Februar 1800 den nahebei wohnenden Friedrich Schiller: »Um sieben Uhr, da der Mond aufgeht, sind Sie zu einer astronomischen Partie eingeladen, den Mond und den Saturn zu betrachten, denn es finden sich heute Abend drei Teleskope in meinem Hause.« Hinzu gekommen war ein 16-Zentimeter-Spiegelteleskop newtonscher Bauart des Kieler Instrumentenbauers Schrader, gefertigt im Jahr 1793 (siehe »Fernrohr in Jena«). Das hatte ihm sein »Urfreund« Karl Ludwig Knebel als Erbstück seines Bruders überlassen; es sollte später der Sternwarte Jena übergeben werden.

Fernrohr in Jena | Das 16-Zentimeter-Teleskop von Schrader ist nach herschelscher Bauart. Mit diesem Fernrohr hat Goethe im Jahr 1800 beobachtet. Es wurde der Jenaer Sternwarte im Jahr 1813 als Erstausrüstung übergeben und ist dort heute noch vorhanden. Das Foto stammt etwa aus dem Jahr 1910.

Schon einige Monate vor dieser Einladung hatte Goethe an Schiller über seine Freude an Beobachtungen des Mondes berichtet: »Es ist eine angenehme Empfindung, einen so bedeutenden Gegenstand, von dem man vor kurzer Zeit so gut als gar nichts gewußt, um so viel näher und genauer kennen zu lernen. Das schöne Schrötersche Werk, die Selenotopographie, ist freilich eine Anleitung, durch welche der Weg sehr verkürzt wird.« Der Mond wurde im »Wachsen und Abnehmen« beobachtet, um das »Relief sehr deutlich« werden zu lassen.

Goethe lud zu seinen Beobachtungsabenden gerne weitere Freunde ein, so Herzog Carl August und Gottfried Herder mit Frau. Mit Herder hatte er übrigens einen guten Kenner der neuartigen Spiegelteleskope zu Gast. In seiner Zeitschrift »Adrastea« würdigte Herder die Teleskope herschelscher Bauart und die mit ihnen möglichen Einblicke in den Aufbau des Kosmos. An Schiller schrieb Goethe: »Es war eine Zeit, wo man den Mond nur empfinden wollte, jetzt will man ihn sehen. Ich wünsche, daß es recht viele Neugierige geben möge, damit wir die schönen Damen nach und nach in unser Observatorium locken.« Goethe war auf Wissensvermittlung bei seinen Beobachtungsabenden gut vorbereitet. Er hatte zahlreiche astronomische Schriften gelesen, die er nachweislich in der Weimarer Bibliothek ausgeliehen hatte.

In »Geognostischen Vorlesungen« trug er ab dem Jahr 1807 an Mittwochvormittagen in seinem Haus einem interessierten Hörerkreis gelegentlich auch zu astronomischen Themen vor; dabei wurden Sonne, Planeten und Kometen besprochen. Eine besondere Rolle spielte der Mond, da man sich von Beobachtungen Hinweise auf die Entstehungsgeschichte der Erdoberfläche erwartete. Am damaligen Streit zwischen Neptunisten (Gesteinsentstehung im Wasser) und Plutonisten (vulkanische Kräfte) nahm auch Goethe aktiven Anteil. Die Mondbeobachtungen schienen die Plutonisten zu stärken: Mehrere Beobachter deuteten die Mondkrater als Vulkankrater; einige glaubten sogar, leuchtende Ausbrüche auf der dunklen Mondseite gesehen zu haben. Goethe versuchte, zwischen den Parteien zu vermitteln, neigte aber für die Erde eher zur sanften Entwicklung des Neptunismus.

An der Beobachtung von seltenen Himmelserscheinungen hat Goethe stets mit regem Interesse teilgenommen, so am Merkurtransit vom 7. Mai 1799, am Venustransit, an Mondfinsternissen, an der Sonnenfinsternis vom 7. September 1820, und sogar Nordlichter konnte er im Jahr 1781 über Thüringen bewundern. Er hatte Sonnenflecken beobachtet, und er besaß ein Exemplar von Fraunhofers handkoloriertem Sonnenspektrum, auf dem 360 dunkle Linien erkennbar sind (siehe »Linien in gebrochenem Licht«). Es existieren nur noch drei Exemplare dieses berühmten Bildes, von denen sich eines heute im Goethe-Nationalmuseum in Weimar befindet. Während die Astronomen, befangen in der Himmelsmechanik, der Natur der fraunhoferschen Linien nicht nachgingen, interessierten diese Goethe im Zusammenhang mit seiner Farbenlehre. Allerdings glaubte er Fraunhofers Beweisen für die Entstehung der vielen dunklen Linien auf der Sonne nicht. Goethe hielt sie für Täuschungen durch Fraunhofers Apparate, denn das reine Licht der Sonne könne nicht »durchstrichelt« sein.

Linien in gebrochenem Licht | Fraunhofer zerlegte das Sonnenlicht mit einem von ihm entwickelten Prismenapparat. Dabei entdeckte er 547 dunkle Linien, von denen er die 360 stärksten in diesen Stich eingetragen hatte. Der Original-Kupferstich vom Jahr 1814 ist 40 Zentimeter lang; einige Drucke wurden anschließend von Hand koloriert. Goethe hatte dieses wertvolle Bild von dem mit ihm befreundeten Münchner Arzt Samuel Thomas Sömmering erhalten. Dieser gilt als Entdecker des Gelben Flecks im Auge, wo sich die größte Dichte farbempfindlicher Zapfen befindet.

Himmlisches Jahrhundert

Besonderes Interesse erweckte bei Goethe die Entdeckung der kleinen Planeten ab dem Jahr 1801. Sie wurden in der Lücke zwischen Mars und Jupiter gefunden, genau dort, wo die beiden deutschen Astronomen Titius und Bode seit Jahrzehnten einen neuen Planeten vermuteten. Goethe würdigt diese Entdeckung im Werk »Maskenball«: »Der neuen, das sind ihrer vier, / Bekrönt mit holder Namenszier: / Juno, Vesta, Pallas, Ceres genannt, / Klein und vor kurzem noch nicht bekannt.« Unangenehm war Goethe dabei nur der Gedanke, dass die neuen Planeten »der ganzen Welt unsichtbar« waren, »außer den wenigen Astronomen, denen wir auf Wort und Rechnung glauben müssen«.

In den folgenden Jahren wurden viele weitere Kleinplaneten gefunden. Bereits im Jahr 1781 hatte Herschel den großen Planeten Uranus entdeckt, in einem Sonnenabstand, der die Titius-Bode-Reihe bestätigte. Vorher hatte Edmond Halley die 76-Jahre-Periode eines hellen Kometen aufgedeckt, der dann seinen Namen erhielt. Alle diese Ereignisse ließen Goethe seine Zeit als das »himmlische Jahrhundert« erscheinen. Bereits in den 1780er Jahren hatte er einen Roman über das Weltall geplant, literarisch und leicht verständlich; die Stoffgliederung ist erhalten, aber das Werk wurde nie fertig gestellt. Einige dazu angestellte Überlegungen sind wohl in seinen »Faust« und in »Wilhelm Meisters Wanderjahre« eingeflossen.

Der große Komet vom Jahr 1811 fesselte Goethe; er hatte sich einschlägige Werke aus der Weimarer Bibliothek ausgeliehen, darunter auch die des ihm bekannten Berliner Astronomen Johann Elert Bode. Mehrfach hat er einen Aufsatz studiert, den ihm der Verfasser, Jurist und Astronom Bernhard August von Lindenau, zugeschickt hatte. Letzterer war in der Nachfolge von Zachs im Jahr 1806 Direktor der Gothaer Seeberg-Sternwarte geworden. Mit Lindenau führte Goethe astronomische Fachgespräche, aber auch dieses Verhältnis wurde getrübt. Lindenau war Herausgeber der im Gothaer Becker-Verlag erschienenen »Monatlichen Correspondenz zur Förderung der Erd- und Himmelskunde«. Er billigte den Abdruck eines kritischen Artikels zu Goethes Farbenlehre (»Unfug der Naturphilosophen«), die bereits von vielen zeitgenössischen Physikern abgelehnt worden war. Die Kritiker wurden von Goethe mit Spott bestraft, nur Lindenau blieb verschont, vermutlich wegen dessen enger Freundschaft zu Herzog Carl August.

Auch Lindenau, der Nachfolger von Zachs, hat die Astronomie verlassen, nachdem die Seeberg-Sternwarte von napoleonischen Truppen beschädigt worden war. Er wurde schließlich leitender sächsischer Staatsminister. Erfreulicherweise wurde nach dem allmählichen Zerfall der Seeberg-Sternwarte die erfolgreiche Gothaer Astronomie ab dem Jahr 1859 mit einer neuen Sternwarte im Stadtgebiet fortgeführt.

Literarische Beispiele

In Goethes Dichtkunst gibt es zahlreiche astronomische Motive, die aber kaum von der naturwissenschaftlichen Seite, sondern mit ihrer sinnlichen Wirkung angesprochen werden. Häufiger Gegenstand ist die Sonne, so im »Prolog im Himmel« im »Faust«: »Die Sonne tönt nach alter Weise …« Auch die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn werden häufig zitiert. Besondere Ereignisse oder Menschen werden durch Kometen versinnbildlicht, so Schiller in Goethes Epilog zu dessen »Glocke«: »Er glänzt vor uns wie ein Komet entschwindend …« Besonders häufig und sinnlich ist der Bezug zum Mond, so in seinem Gedicht »An den Mond«: »Füllest wieder Busch und Tal ...« Goethes Zeichnungen vom Mond und von Landschaften unter verschiedenen Mondphasen entstanden zahlreich ab den späten 1770er Jahren, über 60 Zeichnungen sind überliefert (siehe »Aufgehender Mond am Fluss«).

Aufgehender Mond am Fluss | Diese Zeichnung von Goethe stammt aus dem Jahr 1800.

Mehr als die einzelnen Himmelskörper beeindruckte Goethe bis ins hohe Alter die Gesamtschau des gestirnten Himmels. Vom Schloss Dornburg, wohin er sich im August 1828 erschüttert vom Tod seines lebenslangen Freundes Carl August zurückgezogen hatte, berichtet er Eckermann: »Oft vor Tagesanbruch bin ich wach und liege im offenen Fenster, um mich an der Pracht der jetzt zusammenstehenden drei Planeten zu weiden und an dem Glanz der wachsenden Morgenröte zu erquicken.« Damals bildeten Merkur, Venus und Saturn eine schöne und seltene Planetenkonstellation.

Vielleicht sind ihm bei diesen wundervollen himmlischen Schauspielen wieder Gedanken zum Kosmos gekommen, die er schon früher geäußert hatte: »... Denn wozu dient alle der Aufwand von Sonnen und Planeten und Monden, von Sternen und Milchstraßen, von Kometen und Nebelflecken, von gewordenen und werdenden Welten, wenn sich nicht zuletzt ein glücklicher Mensch unbewußt seines Daseins erfreut?«

In den Tagen in Dornburg schrieb Goethe sein Gedicht »Dem aufgehenden Vollmonde«: »Willst du mich sogleich verlassen? Warst im Augenblick so nah!« Der inzwischen 79-Jährige dachte zurück an seine Liebe zu Marianne von Willemer, die auch literarisch anregend gewesen war. Die beiden hatten sich beim Abschied in Heidelberg im Jahr 1815 das Versprechen gegeben, bei Vollmond immer aneinander zu denken.

Goethe blieb lebenslang an allen Neuigkeiten in den Wissenschaften interessiert. Seine Neigung zur wissenschaftlichen Astronomie war dabei durch fehlende mathematische Kenntnisse begrenzt, denn zu seiner Zeit beherrschten Positionsbeobachtungen und Mathematik die Himmelskunde. Gegenüber einem befreundeten Geologen gestand er: »Ich bin auf Wort, Sprache und Bild im eigentlichen Sinne angewiesen und völlig unfähig durch Zeichen und Zahlen, mit welchen sich höchst begabte Geister leicht verständigen, auf irgendeine Weise zu operieren.«

Goethe war ein Liebhaberastronom, dem die Himmelskunde Freude bereitete und ihm vielfältige Anregungen für seine literarischen Schöpfungen gab. Er hat selbst keine astronomischen Entdeckungen gemacht und keine einschlägigen Schriften verfasst. Das minderte aber nicht seine hohe Wertschätzung für das Fach. Im Jahr der Sternwartengründung in Jena äußerte Goethe gegenüber dem Weimarer Kanzler Friedrich Müller: »Die Astronomie … ist mir deswegen so wert, weil sie die einzige aller Wissenschaften ist, die auf allgemein anerkannten, unbestrittnen Bahnen ruht, mithin mit voller Sicherheit immer weiter durch die Unendlichkeit fortschreitet. Getrennt durch Länder und Meere teilen die Astronomen, diese geselligsten aller Einsiedler, sich ihre Elemente mit und können darauf wie auf Felsen fortbauen.«

Zwei Verse aus einem längeren Gedicht Goethes mit dem Titel »Trost in Tränen« könnten für sein ambivalentes Verhältnis zur Astronomie stehen:

Ach nein, erwerben kann ichs nicht
Es steht mir gar zu fern,
Es weilt so hoch, es blinkt so schön,
Wie droben jener Stern.

Die Sterne, die begehrt man nicht,
Man freut sich ihrer Pracht,
Und mit Entzücken blickt man auf
In jeder heitern Nacht.

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  • Quellen
Biermann, K.-R.: Bernhard von Lindenau in seinen Beziehungen zu Goethe und Alexander von Humboldt. In: Bernhard August von Lindenau als Naturwissenschaftler, Staatsmann und Kunstsammler. Staatliches Lindenau-Museum, 1979
Dorschner, J.: Astronomie in Thüringen. Jenzig-Verlag, Jena 1998
Hammer, C.: Goetheʼs Astronomical Pursuits. The South Central Bulletin 30, 1970
Ishihara, A.: Goethe und die Astronomie seiner Zeit. Goethe-Jahrbuch 17, 2000
Klauß, J. (Hrsg.): Mit Goethe durch das Jahr 2014: Goethe und der gestirnte Himmel. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2013
Mayer, M. (Hrsg.): Goethes Monde. Insel Verlag, Berlin 2012
Pika, A.: Goethe als Liebhaber-Astronom. Fränkischer Heimatkalender, Kulmbach 1960
Schielicke, R.: Zeugnisse über die Einrichtung des Observatoriums und das Wirken der Astronomen an der Sternwarte zu Jena am Beginn des 19. Jahrhunderts. Reichtümer und Raritäten der FSU Jena 3, 1990
Wattenberg, D.: Goethe und die Sternenwelt. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft 31, 1969
Wolter, C.: Goethe und Schiller als Sterngucker. PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft, 2018

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