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Energiespeicher: Wo Deutschlands grüner Wasserstoff lagern soll

Gigantische künstliche Höhlen sollen zukünftig grünen Wasserstoff speichern. Die Technik ist die gleiche wie bei Erdgas - doch die Umstellung ist keineswegs einfach.
Ein abstraktes zweiatomiges Molekül vor grünem Hintergrund.
Grüner Wasserstoff soll ein wichtiger Bestandteil der Energiewende werden.

Wer nach Harsefeld kommt, einer kleinen Gemeinde in Niedersachsen bei Stade, sieht sich von Wiesen, Feldern und Hecken umgeben. Störche staksen auf der Suche nach Futter durchs hohe Gras. Unter diesem ländlichen Idyll, in einem Salzstock in mehr als einem Kilometer Tiefe, betreibt Storengy Deutschland seit 1992 einen Erdgasspeicher. Nun will die Tochter des französischen Netzbetreibers Engie hier einen der ersten Wasserstoffspeicher Deutschlands anlegen.

Unter der Erde liegende Salzkavernen hätten sich schon lange bewährt, um große Mengen Gas sicher zu speichern, erklärt Gunnar Assmann, Projektleiter für Wasserstoffspeicherung bei Storengy. »Kavernenspeicher sind technisch geschaffene Hohlräume im Salzgestein, das eine natürliche und dichte Barriere bildet.« Die jahrzehntelange Erfahrung mit der Speicherung von Erdgas lasse sich in vielerlei Hinsicht auf Wasserstoff übertragen. Deshalb möchte das Unternehmen im Rahmen seines Projekts SaltHy (die Abkürzung steht für »Storage Alignment with Load and Transport of Hydrogen«) insgesamt zwei Salzkavernen errichten, um Wasserstoff einzulagern. Windenergieanlagen an Land und auf See in der Region können den Strom liefern, um das Gas klimaneutral zu erzeugen.

Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind sich einig, dass Deutschland in Zukunft bedeutende Mengen an Wasserstoff – wie derzeit Erdgas – unterirdisch speichern muss. Ohne die vor allem zur saisonalen Lagerung von Energie notwendigen H2-Speicher lässt sich der Wasserstoffmarkt gar nicht entwickeln, weder national noch international. Deutschland hat immerhin das Glück, bereits über eine gut ausgebaute Speicherinfrastruktur zu verfügen. Die gespeicherte Gasmenge entspricht einer nutzbaren Energie von 262 Terawattstunden (TWh), damit bietet Deutschlands System sogar das größte Erdgasspeichervolumen in Europa.

Warum Deutschland noch mehr Speicher braucht

Gut zwei Drittel davon sind Kavernenspeicher, und die liegen überwiegend in Nordwest- und Mitteldeutschland. Ein knappes Drittel besteht aus Porenspeichern, die sich vor allem im Süden Deutschlands befinden. Bei ihnen handelt es sich meist um ausgeförderte Reservoirs für Erdöl oder -gas. In die Gesteinsporen wird Gas wie in einen Schwamm gepresst. Die Hohlräume in Salzstöcken können vollständig mit Wasserstoff befüllt werden, weil das leichteste aller Elemente nicht mit Salzgestein reagiert. Bei Porenspeichern ist das auf Grund der geologischen Verhältnisse anders. In dem Speichergestein kann es zu chemischen Reaktionen kommen, unter anderem durch Schwefelwasserstoff bildende Bakterien. Um solche Probleme zu lösen, sind noch Forschung und Entwicklung nötig.

Den konkreten Bedarf an Wasserstoffspeichern im Jahr 2035 schätzt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung auf 14 TWh, fünf Jahre später auf 55 und im Jahr 2045 auf 80 TWh. Das Langfristszenario des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) prognostiziert für das Jahr 2045 eine notwendige Speicherkapazität von 70 bis 100 TWh, wovon der größere Teil neu angelegt werden müsse, weil die in Deutschland bereits vorhandenen Kavernenspeicher für Erdgas lediglich einem Wasserstoffvolumen von 31 TWh entsprächen.

Das liegt an der geringeren Energiedichte von Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas; außerdem verhält sich H2 beim Komprimieren anders, daher muss man laut Wasserstoffrat von einer erheblich niedrigeren Speicherkapazität ausgehen: »Das heißt, dass bei gleichem Speichervolumen mit Wasserstoff nur 20 Prozent des Energiegehalts von Erdgas gespeichert werden können.« Wie die politischen Rahmenbedingungen für den Aufbau einer Speicherstrategie in Deutschland aussehen werden, steht voraussichtlich in der Wasserstoffspeicher-Strategie, die das BMWK bis Ende dieses Jahres vorlegen will.

Nicht nur wegen der besonders gut geeigneten Salzkavernenspeicher in Nord-und Mitteldeutschland sind diese Regionen für den Aufbau einer Wasserstoffspeicher-Infrastruktur prädestiniert. Mit zahlreichen Windparks sind dort die Erzeuger regenerativer Energien als Voraussetzung für den grünen Wasserstoff bereits vertreten und mit den Industriebetrieben auch künftige Abnehmer. Außerdem gibt es schon viele Gasfernleitungen, von denen ein großer Teil für den Transport von Wasserstoff umgerüstet werden kann. Deshalb wird der Aufbau des von der EU geplanten Fernleitungsnetzes für Wasserstoff (»European Hydrogen Backbone«), das ab 2028 schrittweise in Betrieb gehen soll, im Nordwesten Deutschlands beginnen. Und an dieses Netz soll auch die Kaverne von SaltHy durch eine Verbindungsleitung angeschlossen werden.

Speicher bauen dauert lange

SaltHy wurde im November 2023 von der Europäischen Union als »Project of Common Interest« (PCI) eingestuft. Als solche gelten Projekte, die dazu beitragen, die EU-Klimaziele zu erreichen, etwa indem sie die Integration erneuerbarer Energien und Netze auf europäischer Ebene fördern und somit die Versorgung sichern. PCI-Projekte können sich zudem um EU-Fördergelder bewerben und dürfen auf schnellere Genehmigungsprozesse hoffen.

Analog zu den Erdgasspeichern plant SaltHy-Betreiber Storengy einen ungefähr zylindrischen Hohlraum von gut 200 Meter Höhe und etwa 60 bis 70 Meter Durchmesser. In Zukunft könnten in beiden neuen Salzkavernen zusammen rund 15 000 Tonnen Wasserstoff fassen. »Das Speichervolumen einer Kaverne reicht aus, um beispielsweise den Bedarf eines regionalen Stahlwerks, das 140 Tonnen Wasserstoff pro Tag benötigt, für rund zwei Monate zu decken«, erklärt der Verfahrensingenieur Assmann. Außerdem werde der Speicher Harsefeld wegen seiner hohen Leistung beim Ein- und Ausspeichern effektiv dazu beitragen, das Stromnetz zu entlasten. Diesen Vorteil haben alle Kavernenspeicher.

Oberirdische Anlagen des Erdgasspeichers Harsefeld | Das über Pipelines heranströmende Gas wird in großen oberirdischen Anlagen komprimiert und in die Tiefe gepumpt. Der Vorteil der Kavernenspeicher: Gigantische Gasmengen sind sofort verfügbar – mit dem Umschalten eines Ventils.

In Harsefeld wird derweil der Untergrund kartiert, die Vorbereitungen für den Genehmigungsprozess laufen. Speicher unterliegen dem Bergrecht, die entsprechenden Landesbehörden müssen den Bau genehmigen. Die ersten Unterlagen dafür will das Unternehmen noch 2024 einreichen; die Investitionsentscheidung für den untertägigen Teil des Speichers soll Anfang 2025 fallen. Das sei wegen des langen Realisierungszeitraums notwendig, sagt Assmann. »Die Bauarbeiten könnten dann ab 2026 mit dem Abteufen erster Bohrungen beginnen.« Kavernenspeicher werden bergmännisch angelegt. Die Solung einer Kaverne – also die Ausspülung mit Wasser – erfolgt über Tiefbohrungen, über die kontrolliert Wasser zugeführt wird. Die entstehenden Hohlräume können bis zu 500 Meter hoch sein. Je nach Größe der Kaverne dauert der Prozess drei bis fünf Jahre; manchmal noch länger. Nach Abschluss der bergmännischen Arbeiten pumpt man durch die Tiefbohrung das Gas in den Speicher und wieder heraus.

Mehrere Pilotprojekte laufen schon

Auch andere Unternehmen in Norddeutschland bereiten sich auf die Speicherung von Wasserstoff im industriellen Maßstab vor. Ende August nahm das Energieunternehmen Juniper Energy Storage zu Testzwecken eine Salzkaverne zur untertägigen H2-Einlagerung im ostfriesischen Krummhörn in Betrieb. Die Untersuchungen an der »Hydrogen Pilot Cavern« mit einem Volumen von rund 3000 Kubikmetern dienen dazu, unter- wie oberirdische Installationen auf ihre Funktionstüchtigkeit für den Wasserstoffbetrieb zu prüfen und wie Materialien und Werkstoffe auf das Gas reagieren.

Anders als in den USA oder Großbritannien, wo das Gas laut Uniper bereits »vereinzelt« in Salzkavernen gespeichert werde, gebe es in Deutschland bislang kaum Erfahrungen mit dem zyklischen Ein- und Auslagern von Wasserstoff. Auch mangle es noch an »Spezifikationen bezüglich Materialverträglichkeit sowie Zertifizierungen für den Betrieb mit Wasserstoff«. Wenn das Projekt marktreif ist, will Uniper dort im ersten Schritt eine Speicherkapazität von 250 GWh zur Verfügung stellen. Bis 2030 soll die nach Plänen des Unternehmens auf bis zu 600 GWh in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erhöht werden. Aber auch im Süden ist Deutschlands größter Betreiber von Erdgasspeichern aktiv: So testet Uniper im bayerischen Bierwang, Wasserstoff in porösem Gestein zu lagern.

Der Testspeicher Krummhörn liegt in der Nähe von Wilhelmshaven, wo Elektrolyse-Projekte entstehen und Uniper außerdem ein großes Ammoniak-Terminal plant. Damit entwickelt sich die niedersächsische Region immer mehr zu einer Drehscheibe für erneuerbare Energien. Der Oldenburger Energiekonzern EWE rüstet im niedersächsischen Huntdorf eine seiner sieben Erdgas-Kavernen auf Wasserstoff um. Ab 2027 soll sie eine Kapazität für bis zu 70 Gigawattstunden Wasserstoff bieten. Huntdorf soll ebenfalls an das deutsche H2-Kernnetz und an das europäische Fernleitungsnetz European Hydrogen Backbone angebunden werden. Und im Mai schloss EWE den ersten Speicherzyklus in einer 500 Kubikmeter großen Testkaverne im brandenburgischen Rüdersdorf ab. Der Betreiber Hansewerk prüft unterdessen in Kraak, südlich von Schwerin, ob in bestehende Kavernen in einem Salzstock mit einer Ausdehnung von sieben mal viereinhalb Kilometern und einer Kapazität von 2400 Gigawattstunden Erdgas später einmal Wasserstoff eingelagert werden könnte.

Im Rahmen des Energieforschungsprogramms staatlich geförderte Reallabore der Energiewende beschäftigen sich ebenfalls mit der H2-Speicherung in einer Salzkaverne, wie etwa das Projekt Energiepark Bad Lauchstädt. Oder das »Reallabor: Referenzkraftwerk Lausitz« (RefLau) in Spremberg, am Industriestandort Schwarze Pumpe, das im ehemaligen Braunkohlerevier zeigen soll, wie Wasserstoff als Langzeitspeicher für Sonnen- und Windstrom eingesetzt werden und der Kopplung der Sektoren Strom, Verkehr, Wärme und Industrie dienen kann. Der saisonal gespeicherte Wasserstoff wird dort auch zur Rückverstromung eingesetzt.

Speicherbetreiber drängen die Politik zur Eile

Anfang 2024 haben sich europäische Gasspeicherbetreiber zur Allianz »H2eart for Europe« zusammengeschlossen. Auf Grund der langwierigen Prozesse beim Aufbau einer Speicherinfrastruktur für Wasserstoff wirbt der Interessenverband bei der Politik um klare Regeln und Richtlinien sowie eine langfristige Strategie, auf deren Basis er planen und investieren kann. »Vor allem für die Umwandlung von Erdgasspeichern in Wasserstoffspeicher müssen wir wissen, wie hoch der Bedarf an diesen Gasen in den nächsten 10 bis 20 Jahren sein wird«, sagte Doug Waters, Geschäftsführer von Uniper Energy Storage gegenüber dem Branchenmedium »H2-News«. »Versorgungssicherheit, Dekarbonisierung und bezahlbare Energiekosten – woran letztlich alle interessiert sind – lassen sich nur mit einem geordneten Übergang realisieren.«

Zwischen 2030 und 2032 soll in Harsefeld die erste Kaverne in Betrieb gehen. Über den Bau der zweiten Kaverne wird das Unternehmen im Jahr 2028 entscheiden; je nachdem, wie sich der Wasserstoffmarkt bis dahin entwickelt hat. 2034 könnte sie dann in Betrieb gehen. Das Gas würde am Standort Harsefeld in einer obertägigen Anlage behandelt, bevor es unter Tage eingelagert wird. Der Speicherdruck beträgt je nach Menge bis über 200 Bar; in der Transportleitung ist der Druck mit maximal etwas über 80 Bar deutlich geringer. Deshalb wird das Gas in der Kompressorstation verdichtet und gekühlt, bevor es in den Speicher strömt. Bei Bedarf kann der Wasserstoff wieder entnommen, aufbereitet und für den Weitertransport ins Netz eingespeist werden.

In der Umgebung von Harsefeld sowie in der Metropolregion Hamburg sind große Industriebetriebe ansässig, die künftig viel Wasserstoff benötigen werden, um ihre Produktionsprozesse von fossilen Energiequellen unabhängig zu machen. Neben der Metall verarbeitenden Industrie betrifft das auch die Chemiebranche. Zum Beispiel das Werk von Dow, im rund 20 Kilometer entfernten Stade. Als Kooperationspartner wird der global agierende Konzern, der an der Unterelbe einen der größten Produktionsstandorte für Chlorchemie in Europa betreibt, das bei der Aussolung der Kaverne anfallende Salz weiterverarbeiten.

Da fossile Energie auch weiterhin viele Jahre gebraucht wird, können die Speicherbetreiber nicht sofort umrüsten. »Wir werden die Versorgung mit Erdgas noch länger über die bestehenden Speicher absichern müssen«, sagt Gunnar Assmann. Deshalb sei es nötig, für den entstehenden Wasserstoffmarkt neue Speicher zu bauen. Erst wenn die Speicher mit fossilem Erdgas nicht mehr gebraucht würden, könnten diese bei Bedarf für die Einlagerung grüner Gase fit gemacht werden.

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