Polarforschung: Wo die Gletscher rasen
Von oben betrachtet wirkt die Antarktis wie ein riesiges weißes Schild, das fest verankert im Südpolarmeer liegt. Doch dieser Eindruck trügt: Tatsächlich schieben sich die Eismassen täglich voran – und das teilweise mit mehreren Kilometern pro Jahr, wie nun eine neue, detaillierte Karte der Fließgeschwindigkeiten enthüllt.
Eric Rignot und Bernd Scheuchl von der University of California in Irvine und ihre Kollegen werteten dazu Tausende von Radar- und Satellitenaufnahmen aus, die zwischen 1996 und 2009 von NASA- und ESA-Sonden während ihrer Überflüge geschossen worden. Aus den Veränderungen über die Jahre hinweg lässt sich dann berechnen, wie schnell sich die Eiszungen vom Inneren des Kontinents zu dessen Rändern bewegen: Am zügigsten kommen die Eismassen demnach im unmittelbaren Küstenbereich und in den Eisschelfen voran – hier erreichen sie ein Tempo von mehreren Metern pro Tag. Am langsamsten vollzieht sich der Wandel hingegen entlang der Bergrücken, die die Antarktis in verschiedene Becken unterteilen: Hier kriecht das Eis nur wenige Zentimeter pro Jahr voran.
Mit ihrer Karte füllen die Forscher große Lücken im Verständnis der antarktischen Eismassen – gerade für die Ostantarktis lagen bislang kaum brauchbare Datensätze vor, obwohl sie 77 Prozent des Kontinents ausmacht. Zu ihrer Überraschung entdeckten die Wissenschaftler einen zuvor völlig unbekannten Gebirgsgrat, der sich von Ost nach West durch den gesamten Kontinent zieht. Andernorts stießen sie auf riesige Eiszungen, die sich selbst im Kontinentinneren mit 250 Meter pro Jahr voranbewegen, weil sie auf feuchten Sedimenten oder Schmelzwasser gleiten – andernorts behindert dagegen rauer Untergrund ihr Fortkommen.
Besonders erstaunte Rignot und Co, dass manche Schelfeisgebiete über rasante Zulieferer verfügen, die bis tief in den Kontinent hineinragen und von dort mit hoher Geschwindigkeit Eis herantransportieren. Ein Phänomen, das ihnen allerdings auch etwas Sorgen bereitet: "Sollten wir das Eis vor den Küsten wegen wärmerer Ozeane verlieren, öffnen wir den Hahn zu den Eismassen im Inneren der Antarktis. Das ist eine entscheidende Informationen, um den zukünftigen Meeresspiegelanstieg vorhersagen zu können", sagt Thomas Wagner von der NASA. Bislang wirkt das Schelfeis wie eine Barriere, die die landeinwärts anschließenden Gletscher blockiert und ausbremst. Fehlen sie, erhöht sich die Kalbungsrate der Eiszungen und damit die Menge an frischem Eis, die über ihr Schmelzwasser die Pegelstände im Ozean erhöhen. (dl)
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