Evolution des Menschen: Wo Neandertaler-Gene schadeten
Genvarianten von Neandertalern und Denisovanern, die durch gemeinsame Nachkommen mit diesen Frühmenschen in unser Erbgut kamen, störten wohl die Hirnentwicklung. Das legt eine Analyse einer Arbeitsgruppe um Natalie Kelis von der Stanford University nahe. Das Team kommt anhand einer statistischen Analyse von Genomdaten zu dem Schluss, dass eine bestimmte Klasse von Erbgutsequenzen, die Enhancer, deutlich weniger archaische DNA enthalten als erwartet. Besonders gründlich ausselektiert worden seien die alten Gensequenzen demnach in fötalem Hirngewebe.
Enhancer sind Erbgutabschnitte, die beeinflussen, wie gut Transkriptionsfaktoren an die DNA binden, und damit, wie oft die jeweiligen Gene abgelesen werden. Das deute darauf hin, dass die Frühmenschen-Genvarianten das empfindliche regulatorische Gleichgewicht in der Zelle verschieben, schreibt die Arbeitsgruppe in der Veröffentlichung in »Nature Ecology & Evolution«. Deswegen seien über die Jahrtausende viele dieser Allele von der Evolution ausgesiebt worden.
Einst waren Hybriden zwischen modernen Menschen, Neandertalern und Denisovanern nicht nur häufig, sondern konnten sich auch fortpflanzen, so dass viele Genvarianten beider Frühmenschen-Arten ins menschliche Genom gelangten. Vermutlich sind einige davon sogar hilfreich. Doch die Erbgutanalysen zeigen auch, dass die Gene unserer Verwandten systematisch ausgesiebt wurden. Verantwortlich ist die natürliche Selektion – Fachleute schließen daraus, dass viele Neandertaler- und Denisovaner-Gene negative Folgen für uns hatten und womöglich noch haben.
Doch was diese negativen Folgen genau sind, ist bisher unklar. Das Team von Kelis ist dieser Frage nun nachgegangen. Entscheidend ist, dass der Effekt laut der Analyse nicht alle Enhancer gleichermaßen trifft. Manche dieser Erbgutsequenzen wurden von der Selektion gründlicher entfernt als andere. Zum Beispiel wurden die Frühmenschen-Gene aus Enhancern mit vielen unterschiedlichen Funktionen stärker ausgesiebt als aus solchen, die für bestimmte Gewebe spezifisch sind.
Den deutlichsten Selektionseffekt sieht das Team jedoch im Hirngewebe ungeborener Kinder. Hier scheinen moderne Menschen keinen Neandertaler-Einfluss gebrauchen zu können. Vergleichbar stark bereinigt wurde embryonales Muskelgewebe – allerdings seien die archaischen Varianten dort nicht durch strenge Selektion ausgesiebt worden. Die Arbeitsgruppe sieht dort eher so genannte epistatische Wechselwirkungen mit anderen Genen am Werk: Die Varianten sind nicht per se nützlich oder schädlich, sondern ihr Effekt hängt stark davon ab, welche Varianten anderer Gene vorhanden sind.
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