Schrödingergleichung: Würmer und Quantenobjekte haben mehr gemeinsam als gedacht
Was haben Würmer, Aale, Schlangen und Tausendfüßer gemeinsam? Sie bewegen sich in einer wellenförmigen Art und Weise fort. Das Muster, das durch ihren Körper läuft, wenn sie sich über den Boden winden, ist gewissermaßen ein Abbild der zu Grunde liegenden biochemischen und neuronalen Erregungspulse. Doch verblüffend ist: Stellt man die Fortbewegung der Tiere mathematisch dar, zeigen sich bemerkenswerte Parallelen zur Schrödingergleichung, die das Verhalten von Objekten in der Welt des Allerkleinsten beschreibt. Alexander Cohen vom Massachusetts Institute of Technology und seine Kollegen berichten davon in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins »Physical Review Letters«.
Das Team analysierte Videoaufnahmen von Fadenwürmern der Art Caenorhabditis elegans, von Westlichen Schaufelnasen-Wühlnattern (Chionactis occipitalis), Gemeinen Steinläufern (Lithobius forficatus) und biologisch inspirierten Schlangenrobotern. Sie identifizierten spezifische Fortbewegungsmuster und entwickelten daraufhin eine einfache Methode zur Klassifizierung der Bewegung, so dass sie jedes Schlängeln in eine Reihe einfacherer Bausteine zerlegen konnten. Als die Forscher daraus schließlich die Gesamtgleichung zusammensetzten, fiel ihnen auf, dass diese ihnen erstaunlich vertraut vorkam: Sie sah der berühmten Schrödingergleichung, die die zeitliche Veränderung des quantenmechanischen Zustands eines physikalischen Systems formuliert, überaus ähnlich.
»Bei der Charakterisierung von Quantenobjekten liefern die Eigenwerte des Hamilton-Operators das zugehörige Energiespektrum«, schreiben die Autoren. »In unserem Fall versteckt sich darin eine effiziente Klassifizierung der Fortbewegungsdynamik von Würmern und Schlangen.« Damit lasse sich die Bewegung jedes dünnen Tiers beschreiben, das sich wellenförmig bewegt. Das heißt: Auf die gleiche Weise, wie der Zustand eines Quantenobjekts aus den zu Grunde liegenden Eigenwerten hervorgeht, entsteht die Bewegung eines sich schlängelnden Tiers aus den von Cohens Team identifizierten Bausteinen.
Die mathematische Ähnlichkeit der Gleichungssysteme bedeutet selbstverständlich nicht, dass sich schlängelnde Tiere wie Quantenobjekte verhalten. Ein Teil der Übereinstimmung sei vielmehr auf die Geometrie der betrachteten Tiere zurückzuführen, sagte Alasdair Hastewell, Mathematiker und Koautor gegenüber »New Scientist«. »Sie haben eine endliche Länge und einen hohen Grad an Symmetrie – so wie einige abstraktere Quantenzustände.« Der Vorteil an der Erkenntnis sei, dass man nun auf den umfassenden Werkzeugkasten der Quantenphysik zurückgreifen könne, um die Fortbewegung lebender Tiere zu charakterisieren und vorherzusagen. Das erleichtere möglicherweise die Entwicklung biomimetischer Robotersysteme.
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