Bakterieninfektion: Massensterben im Olivenhain
Ein teuflischer Pflanzenschädling wütet in Süditalien und zerstört nach und nach die uralten Olivenhaine Apuliens. Nun wandert er immer mehr nordwärts und bedroht auch den Rest Europas. Laut Ergebnis eines Audits der Kommission Ende Mai 2017 haben es die italienischen Behörden wohl versäumt, die Ausbreitung der Infektion über das Jahr 2016 zu verfolgen und die mit der Europäischen Kommission vereinbarten Eindämmungspläne umzusetzen. Die Wissenschaftler aus der Region wundert es gar nicht, dass nun die offizielle Rüge kam. Seitdem das Bakterium Xylella fastidiosa – in Deutschland auch Feuerbakterium genannt – vor etwa vier Jahren als Ursache des Olivenbaumsterbens ins Gespräch kam, wurden sie immer wieder behindert in ihren Bemühungen, die Krankheit in den Griff zu bekommen.
"Die ganze Situation ist lächerlich", sagt der Pflanzenpathologe Giovanni Martelli von der Universität Bari in Nordapulien. "Die Behörden waren einfach immer zu langsam, wenn rasche Aktionen nötig gewesen wären", kritisiert er. Der Schädling stammt wahrscheinlich aus Amerika, wo er endemisch ist. In Europa war er noch nie aufgetreten, bis er im Jahr 2013 erstmals in Apulien entdeckt wurde. Eine Abhilfe gibt es bis heute nicht.
Laut den Wissenschaftlern verursachte Xylella schon damals an den Olivenbäumen Apuliens die Krankheit OQDS, "olive quick decline syndrome" – auch wenn dies von etlichen Gegnern der These immer noch bezweifelt wird. Im Jahr 2015 protestierten verärgerte Umweltaktivisten gegen das Fällen der uralten Olivenbäume und brachten sogar einen lokalen Staatsanwalt dazu, eine offizielle Untersuchung darüber einzuleiten, ob die Infektion nicht eher von den Forschern selbst verursacht würde.
Behörden behindern Forscher
Die Kommission veröffentlichte am 31. Mai ihre Untersuchungsergebnisse und listete dabei eine ganze Reihe von Versäumnissen der italienischen Behörden auf. Ihrer Meinung nach wurde nicht nur das systematische Monitoring der Infektion zu spät begonnen, auch die infizierten Bäume wären nur mit "extremer Verzögerung" beseitigt worden. Darüber hinaus zeigt der Bericht, dass die nationalen und regionalen Behörden bisher lediglich etwas mehr als die Hälfte der bereitgestellten zehn Millionen Euro für Eindämmungsmaßnahmen ausgegeben haben. "Nature" hat noch weitere Hinweise auf sehr träge Reaktionen. So wurden in den italienischen Labors im Jahr 2016 fast keine Proben von Xylella aufgearbeitet, weshalb das Monitoring mehr oder weniger stillstand (siehe "Flaute im Labor"). Auf Anfragen hierzu haben die Behörden nicht geantwortet.
Nachdem inzwischen bekannt ist, dass die Subspezies X. fastidiosa pauca die Krankheit OQDS verursacht, fürchtet die Kommission um die gesamte europäische Olivenindustrie, sollte der Schädling nicht in den Griff zu bekommen sein. Aber nicht nur das: Die Kommission koordiniert seit einiger Zeit ein neues Monitoring, bei dem inzwischen weitere Subspezies von Xylella in anderen Ländern der EU entdeckt wurden. So gaben die spanischen Behörden im Mai 2017 das Auftreten der am meisten gefürchteten Spezies X. fastidiosa fastidiosa bekannt, das die Pierce-Krankheit hervorruft und immer wieder ganze Weinrebenbestände in Kalifornien vernichtet. Nun wurde der Erreger auf Weinstöcken im spanischen Mallorca gefunden. Auch wenn er dort noch relativ gut zu beherrschen war, befürchten die Wissenschaftler, dass bisher unbekannte Subspezies Epidemien auch in anderen Obstkulturen auslösen könnten.
Die Kleinstadt Oria machte jetzt vor, was der Kampf gegen die Zerstörungen durch Xylella in den süditalienischen Olivenhainen bedeutet. Vor zwei Jahren ketteten sich Umweltschützer an einige uralte Bäume, um deren Rodung zu verhindern – und gewannen einen Pyrrhussieg: Xylella wurde als endemisch erklärt, und die Bäume der ganzen Gegend sterben langsam ab. Der Streit in Oria begann aber erst richtig, als Italien Anfang 2015 den Notstand ausrief und den General der Militärpolizei Giuseppe Silletti einsetzte, der harte Eindämmungsmaßnahmen umsetzte, im Zuge derer auch gesunde Bäume im Umkreis der befallenen Exemplare gefällt werden sollten.
Oria wurde zum Hotspot des Protestes
Wie von den EU-Regularien gefordert, erstellte Silletti eine Karte der betroffenen Regionen und setzte eine 20 Kilometer breite Pufferzone fest, die im Wesentlichen frei von Infektionen war und deren Bäume von den Behörden besonders aufmerksam beobachtet werden sollten. Oria am nördlichen Rand wurde daraufhin zum Hotspot des Protestes. Apuliens Staatsanwalt hob im Verlauf seiner Ermittlungen die Anweisung zur Vernichtung der Bäume wieder auf, und Silletti trat im Dezember 2015 zurück, weil sein Plan zur Eindämmung der Epidemie von allen Seiten blockiert worden war. Erst im Juli 2016, als die Kommission mit Anklage gegen Italien beim Europäischen Gerichtshof drohte, wurde die Entscheidung des Staatsanwalts wieder rückgängig gemacht.
Doch die Bemühungen zur Infektionskontrolle sahen sich auch noch anderen Hürden gegenüber. Anfang 2016 verkündete Apuliens Regionalgouverneur Michele Emiliano die Ablösung von Sillettis Notfallgruppe durch eine andere Arbeitsgruppe, deren genaue Zusammensetzung und Aufgabenstellung nie öffentlich gemacht wurde. Im April legte die Kommission dann eine neue, nördlicher gelegene Eindämmungszone fest, die anfangs noch frei von Schädlingen war (siehe "Schneller Niedergang"). Die südlichste Spitze Apuliens war damit als Region mit endemischer Xylella-Infektion abgeschrieben. Doch wie die Auditoren der Kommission bei ihrem Besuch in Apulien im November 2016 feststellen mussten, hatte das Monitoring der Olivenbäume überhaupt erst Ende August begonnen, wodurch das Risiko einer Ausbreitung der Infektion gestiegen war. Nun wurde zumindest ein Teil der Daten des ausgiebigen Monitorings von Ende 2016 veröffentlicht, wobei schon fast 900 Xylella-positive Proben von Pflanzen aus der neuen Eindämmungszone ans Licht kamen.
Die Kommission investierte bisher etwa zehn Millionen Euro in internationale Forschungsprogramme zur Untersuchung von Xylella, doch die Region Apuliens ist bis jetzt ihrem Versprechen nicht nachgekommen, die lokale Forschung zu unterstützen. Nach einem Aufruf zur Antragseinreichung 2016 wurden im September Projekte in der Summe von 2,5 Millionen Euro angekündigt; doch die beteiligten Wissenschaftler haben bis heute kein Geld erhalten.
Umweltschützer reichen Beschwerde ein
So mancher Protestler will immer noch nicht glauben, dass Xylella wirklich die Ursache für OQDS ist. Die Untersuchungen des Staatsanwalts gegen Apuliens Wissenschaftler werden eingestellt, wenn bis Juli 2017 keine Anklage erhoben wird. Mitte Mai 2017 reichten dann ein paar Umweltschützer eine neue Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft ein. Ihrer Meinung nach seien die Forschungsprogramme ungerecht verteilt, weil andere mögliche Ursachen der Infektion wie Pilze außer Acht gelassen würden (auch wenn die Kommission diese Möglichkeit bereits ausgeschlossen hat).
In der Zwischenzeit wurden die Überwachungsmaßnahmen ausgeweitet und Subtypen von Xylella in Frankreich, Deutschland, der Schweiz und auf den spanischen Balearen einschließlich Mallorca entdeckt, wo der lebhafte Tourismus das Risiko einer Ausbreitung noch fördert. "Wir sind sehr besorgt", sagt Cinta Calvet, die ein Pflanzenschutzprogramm am IRTA, Kataloniens Institut für Agrarforschung und Technologie in Barcelona, leitet. Die Stadt ist zweifelsohne Drehkreuz für die Besucher der Balearen. Etliche Forscher der EU sind sich angesichts der inzwischen bekannt gewordenen Vielfalt an Subspezies einig, dass Xylella vermutlich nicht einmal, sondern schon mehrfach nach Europa eingeschleppt wurde – und dass dies auch noch häufiger geschehen wird. Wie außerdem gezeigt wurde, wechseln die relevanten Gene "ziemlich leicht" zwischen verschiedenen Subspezies hin und her, sagt Rodrigo Almeida, der in Berkeley an der University of California an Xylella forscht und die Arbeiten seines Teams im März 2017 veröffentlichte. Seiner Meinung nach steigert der Genflow das Risiko, dass verschiedene Subspezies miteinander rekombinieren und so noch stärker pathogene Varianten von Xylella entstehen – ein Grund mehr, den Ausbruch in Italien schleunigst in den Griff zu bekommen.
Trotz alledem gibt es auch gute Nachrichten. Die Wissenschaftler in Apulien haben zwei relativ resistente Olivenbaumarten entdeckt. Die Kommission schlug deshalb vor, diese in den Infektionsgebieten anzupflanzen, um dort die toten Bäume zu ersetzen. Bis allerdings vollständig resistente Bäume zur Verfügung stehen, könnte es noch mehr als ein Jahrzehnt dauern, fürchtet Martelli.
Dieser Artikel erschien unter dem Titel "Italy rebuked for failure to prevent olive-tree tragedy" bei "Nature".
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