Wirbeltierevolution: Zähne sind wohl älter als Kiefer
Die meisten Wirbeltiere zeichnen sich nicht nur durch ihre namensgebenden Rückenwirbel, sondern auch durch ihre praktischen, klappbaren Kiefergelenke sowie ihre ungemein nützlichen Zähne aus: beides Erfindungen der Evolution, die bei keiner anderen Tiergruppe so vorkommen. Dabei wissen Evolutionsbiologen und Zoologen bis dato allerdings nicht genau, wie, wo, wann und bei wem beide anatomischen Besonderheiten früher einmal zuerst aufgetaucht sind: Eindeutige Fossilexemplare von gerade noch kiefer- und zahnlosen Vorfahren aus der entscheidenden Übergangszeit sind rar. Nun glauben Forscher, aus einem alten Panzerfischfossil etwa Neues über die Entstehungsgeschichte der frühen Wirbeltiermundwerkzeuge herausgelesen zu haben: Zähne, so ihre Schlussfolgerung, haben sich unabhängig vom Kiefer entwickelt, und beide Erfindungen sind dann später sinnvoll kombiniert worden.
Das ergaben die Synchrotronanalysen an einem 410 Millionen Jahre alten Exemplar von Romundina stellina, dessen Fossil im arktischen Kanada gefunden worden war. Die "Zähne" des Tiers – als Vertreter der längst ausgestorbenen Panzerfische eines der frühesten Wirbeltiere mit Kiefer – ähnelten damals auch bei ausgewachsenen Exemplaren noch eher der länglichen, zusammenhängenden Leiste, die heute bei vielen modernen Wirbeltieren nur noch in der Embryonalentwicklung zu erkennen ist. Schon bei diesen Urkieferträgern erkennt man aber im Röntgenquerschnitt, dass einzelne Zahnanlagen wie moderne Zähne zweigeteilt sind: Über einer Dentinbasis wölbte sich hartes Zahnschmelzmaterial. Vor allem aber zeigt sich, dass damals typischerweise größere einzelne Zahnleisten der ausgewachsenen Tiere aus vielen kleinen Zähnchen zusammenwuchsen, die aber auch ihrerseits bereits aus Dentin und Zahnschmelz bestanden. Die Fähigkeit, komplexe Minizähnchen zu bilden, gab es demnach wohl schon, bevor es die kiefertragenden Wirbeltiere gab. Das ist überraschend für die Zahnevolutionsforscher, die bisher die Zahnevolution vor allem an den auch sehr alten Haien untersucht hatten, bevor sie nun die noch etwas älteren Panzerfische unter die Lupe nahmen. Auch die Haifischhaut trägt ja winzige Zähne und unterstreicht, wie unabhängig Kiefer und Zahn sein können. Diese Unabhängigkeit allerdings hatte man eher für eine spätere Erfindung gehalten.
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