Curiosity: Zaghaft über den Mars
Am 6. August 2012 wird es still im Kontrollraum im kalifornischen Pasadena. Knapp 50 Ingenieure und Forscher beobachten gebannt, wie der schwerste und teuerste Rover aller Zeiten im Galekrater auf dem Mars landet. Die Landetechnik ist ein Novum: Die steuernden 500 000 Zeilen Programmcode laufen völlig autonom ab, denn die Landung dauert nur halb so lange, wie ein Signal zur Erde braucht. Schließlich erreicht die Botschaft auch den kalifornischen Kontrollraum: "Wir stehen sicher auf dem Mars!" Selbst der von vielen belächelte Himmelskran hat funktioniert, der den Rover getragen von acht Bremsraketen abseilte und dann sanft in den Marsstaub setzte.
Ein Jahr später ist Curiosity mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten, 17 Kameras und einer Schlagbohrmaschine in die marsianische Feldarbeit vertieft. Während der Landung gab es fast keine Schäden: Nur einer von zwei Windsensoren ging zu Bruch, wohl durch von den Bremsraketen empor gewirbelte Steine. Bis heute übermittelte Curiosity rund 70 000 Fotos zur Erde. Nie zuvor auf einem anderen Planeten verwendete Geräte kamen zum Einsatz, darunter ein Laserspektrometer und ein Röntgenspektrometer. Auf den ersten Blick scheint die Mission schon jetzt ein voller Erfolg zu sein. Wissenschaftliche Höhepunkte sind allerdings bisher rar – was wohl mit der Komplexität des fahrbaren Labors zusammenhängt.
Am Tag der Landung nahm am Jet Propulsion Laboratory ein ganzer Ameisenstaat seine Arbeit auf: Über 200 Wissenschaftler und Ingenieure zwängten sich in die Räumlichkeiten des Instituts in Pasadena und lebten mit dem neuen Marsrover zusammen: Da ein Marstag 36 Minuten länger dauert als ein Erdtag, war das für die Marsforscher ein kräftezehrender Rhythmus. Doch die zeitliche Nähe zum Roten Planeten tat not: Direkt nach der Landung begann eine der komplexesten Missionen der unbemannten Raumfahrt. Alle Systeme der Sonde mussten auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft werden. Als Curiosity dann nach zwei Wochen zaghaft die ersten Meter zurücklegte, brach den beteiligten Forschern in Kalifornien eher der Schweiß aus: Sie brauchten noch immer 16 Stunden, um den nächsten Tag Curiositys zu planen. Erst drei Monate nach der Landung wechselte das Team zurück auf Erdzeit, weil die tägliche Planung auf 12 Stunden reduziert werden konnte.
Auf Umwegen
Die Ingenieure schickten das 900 Kilogramm schwere Gefährt zunächst nicht zu den tief eingeschnittenen Tälern von Aeolis Mons, dem Berg im Zentrum des Galekraters. Hier liegen Milliarden Jahre Marsgeschichte wie in einem Geologiebuch offen zu Tage ,– das Hauptziel der Mission. Stattdessen machte Curiosity einen Umweg nach Glenelg: So taufte die NASA eine Zone mit Gesteinen, die durch ihre andersartige Wärmeabgabe schon aus dem Orbit aufgefallen war.
Dieser Umweg war problemlos möglich, da zunächst die Instrumente des Rovers für Beobachtungen bereit gemacht werden mussten, was einige Zeit beanspruchte. Während Kameras und einfachere Analysewerkzeuge schon nach 50 Marstagen komplett funktionierten, dauerte das bei den hochgenauen Laborgeräten fast doppelt so lange: Sie erhielten eine langwierige Testperiode vor der unauffälligen Düne namens Rocknest. Hier schaufelte der Roboterarm feinen Sand durch mehrere Siebe in sein Inneres, wo die Körnchen auf ihre mineralogische und chemische Zusammensetzung untersucht wurden. Wichtigster Zweck des langen Aufenthalts: Die Instrumente mussten richtig eingestellt werden, um etwa die Kontamination durch irdische Einflüsse auszuschließen.
Auch danach legte Curiosity lange Pausen ein. Mal war ein Computerproblem Ursache für eine fast dreiwöchige Auszeit. Zuletzt verordnete die Marskonjunktion einen vierwöchigen Stopp, weil der Planet hinter der Sonne stand und es somit unmöglich war, zuverlässig Signale zu ihm zu übermitteln.
Lebensfreundliches Wasser
"Unsere Mission ist getrieben von Entdeckungen", sagte Curiositys Projektwissenschaftler John Grotzinger. Es ließe sich eben kaum planen, wo sich an der Fahrstrecke unerwartete Einblicke in die Vergangenheit des Mars ergäben. Schon nahe der Landestelle fand der Roboter in aufgebrochenen Gesteinsplatten golfballgroße Steine, deren vormals eckige Kanten gerundet sind. Diese Gerölle lassen sich durch fließendes Wasser erklären, das die Steine transportiert und dabei abgeschliffen hat. Derart deutliche Hinweise auf Wasser kennen Geologen bisher nur von Gesteinen auf der Erde: Demnach muss an dieser Stelle ein sprudelnder knöcheltiefer Bach geflossen sein und die Gerölle vom Rand des Galekraters über mehrere Kilometer getragen und dabei abgeschliffen haben.
Die Natur des geflossenen Wassers konnte Curiosity bei seinem längsten Halt ermitteln: Insgesamt vier Monate verbrachte der Rover fast bewegungslos in Yellowknife Bay, mutmaßlich der Grund eines alten Gewässers. Hier fand er auch einen Fels für seinen Bohrer, also das letzte bislang ungetestete Instrument. Die erbohrten Proben wurden an Bord analysiert und offenbarten eine neue Seite des Roten Planeten: Das Gestein enthielt alle chemischen Elemente, die für die Entstehung von Leben notwendig sind. Mehr noch: Die Forscher entdeckten darin Tonminerale, die nur in pH-neutralem und somit lebensfreundlichem Wasser entstanden sein können.
Dennoch scheinen diese Funde banal, hatten doch die Vorgängerrover Spirit und Opportunity schon Hinweise für feuchte Episoden in der Planetengeschichte gefunden. Allerdings waren das überwiegend Sulfate gewesen, die eher in saurem Wasser entstanden sein können und somit selbst für irdische Mikroben einen schwierigen Lebensraum darstellen. "Manche irdischen Organismen können auch in sehr saurem Wasser überleben", wirft dagegen Ernst Hauber ein. Er ist Geologe am Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin und beobachtet die NASA-Mission von außen. "Allerdings hätte es Leben in neutralem Wasser leichter gehabt, wenn es denn jemals auf Mars existiert hat." Ein noch deutlicheres Zeichen wäre nur der Fund von organischem Material, der Curiosity bisher nicht gelang.
Ziel am Horizont
Curiositys Nachfolger startet frühstens 2020
Das Bugdet der NASA ist eng – daher plant die US-Raumfahrtbehörde erst 2020 einen robotischen Nachfolger Curiositys. Davor fliegen lediglich US-Satelliten zum Mars sowie der europäisch-russische Rover ExoMars.
Technisch soll der Nachfolger Curiosity ähneln, aber leicht geänderte wissenschaftliche Ziele verfolgen: Er soll nach Spuren vergangenen Lebens fahnden und nicht nur die Bewohnbarkeit des Mars untersuchen, was Curiosity derzeit tut. Er soll dafür Proben nehmen, die dann eine spätere Sonde vom Mars zur Erde bringen könnte.
Erst im Juli verließ Curiosity die Region Glenelg, um nun direkt auf den Zentralberg Aeolis Mons und damit das geologische Hauptziel zuzuhalten. Der Weg dorthin ist weit: Für die über sieben Kilometer wird Curiosity mehrere Monate benötigen und wohl erst im Jahr 2014 im diesem geologischen Eldorado ankommen. Dann werden bereits über drei Viertel der offiziellen Missionszeit verstrichen sein.
Überhaupt erscheint die bisherige Schleichfahrt des Rovers erstaunlich: Insgesamt 770 Meter legte er in den ersten 300 Marstagen zurück. Zum Vergleich: Vorgänger Opportunity kam im gleichen Zeitraum nach der Landung doppelt so weit, Spirit sogar sieben Mal weiter. Beide Gefährte waren dabei schwächer motorisiert gewesen. Einen Vorwurf möchte DLR-Geologe Ernst Hauber den Missionsplanern aber nicht machen: "Ich fände es irrsinnig, an interessanten Gesteinen vorbeizufahren, nur weil man ursprünglich einen anderen Plan hatte." Und immerhin hat Curiosity in den letzten Wochen stark an Tempo zugelegt.
Ob die NASA bei den bisher angefahrenen Gesteinen aber das richtige Gespür hatte, muss sich noch zeigen. Bis heute enttäuschen die Forschungsergebnisse verglichen mit den beiden Vorgängern: Beide schafften es im Jahr ihrer Landung jeweils mit knapp zehn Fachartikel in die wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften "Science" und "Nature" – Curiosity aber bislang nur mit vieren. Gleichzeitig tickt die Uhr des Vorzeigegeräts der NASA. Offiziell soll seine Mission zwei Erdjahre dauern – die Hälfte seiner vorgesehenen Lebenszeit ist also schon fast überschritten. Die bisherige Ruhe der NASA-Ingenieure ist dennoch leicht zu erklären: Die Energieversorgung mit einem Radioisotopgenerator würde auch einen zehnjährigen Betrieb zulassen – unabhängig von den Marswintern, die den solargetriebenen Gefährten Spirit und Opportunity zu schaffen machten.
"Wenn es dabei bliebe, was Curosity bis jetzt herausgefunden hat, dann wäre das ein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis", sagt Ernst Hauber über die 2,5 Milliarden US-Dollar teure Mission. "Da muss schon noch mehr kommen – und das wird es ja wahrscheinlich auch."
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