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Hirnforschung: Zahlengesellschaften

PISA-Rangliste hin oder her: Bei der Rechnung "3+4" kommen Zweitklässer in China und den USA auf die gleiche Lösung - zumindest meist. Allerdings benutzten sie ihren Kopf dabei unterschiedlich.
Gehirn im fMRI
Das kommt mir chinesisch vor, sagt ein Spanier, natürlich auf spanisch, wenn ihm etwas spanisch vorkommt. Und damit ist der gemeine Iberer ein typischer Europäer – denn fremdartigere Sprachen als Chinesisch gibt es zwar durchaus, nur fallen einem nicht sofort welche ein. Für uns indogermanisch-abgeleitet Sprechende ist chinesisch zudem nicht nur eine linguistische, sondern schon allein eine praktische Herausforderung.

Eine profane Frage wäre etwa, wie der Chinese seine Sprache auf eine Computertastatur packt. Buchstaben gibt es ja schließlich nicht – nur schön gepinselte Worte in Form von Schriftzeichen. Das Problem ist dank einem Umweg über eine behelfsmäßige Lautumschrift eigentlich kein großes. Wirklich gar kein Problem jedenfalls machen auch auf chinesischen Tastaturen die Zahlen – denn diese haben die Chinesen wie wir Altkontinentale praktischerweise von den Arabern übernommen: Sie heißen auch in China meist schlicht "1" bis "9".

Diese typisch chinesische Mixtur, bei der gewöhnliche Ziffern und euro-untypisch exotisches Schriftzeichenwesen kombiniert vorkommen, inspirierte den Neuroinformatiker Yiyuan Tang nun zu einem Vergleichsexperiment, bei dem der Magnetresonanztomograf seiner Dalian-Universität in China eine Hauptrolle übernahm. Schon früh hatten Linguisten bei ähnlichen fMRI-Experimenten erstaunliche Unterschiede in den Gehirnen von chinesischen und englischen Muttersprachlern festgestellt, die sie beim Lösen sprachlicher Aufgaben überwacht hatten.

Chinesen tendieren, kurz zusammengefasst, bei Sprecharbeiten dazu, auch für visuell-räumliche Verarbeitung zuständige Hirnareale zu aktivieren, während englischsprachige Probanden sich deutlich mehr auf rein sprachverarbeitende Zentren beschränkten. Über die Gründe dieser Abweichung herrscht noch wenig Klarheit – bestimmt aber sind kulturelle Faktoren ebenso ausschlaggebend wie die besonderen Charakteristika einer Schriftzeichensprache. Zumindest letzteres dürfte sich aber nicht auswirken, wenn es um die Verarbeitung der bei Europäern und Chinesen verwendeten Ziffern geht, vermutete Tangs Team – oder doch?

Zwölf Versuchspersonen mit englischer oder chinesischer Muttersprache sollten die Antwort liefern. Sie arbeiteten dazu unter fMRI-Aufsicht Tests ab, bei denen sie die räumliche Konstellation zweier sinnleerer Symbole zu einem dritten bestimmen sollten – und nutzten unabhängig von ihrer Muttersprache die üblicherweise bei solchen Aufgaben aktiven Sprach- und Visualisierungsareale des Gehirns.

Ziffernverarbeitung: Chinesen und Amerikaner nutzenverschiedene Hirnareale | Arabische Ziffern und Symbole werden im Gehirn von chinesischen (obere Reihe A,B) und englischen (C, D) Muttersprachlern unterschiedlich verarbeitet. Bei Chinesen aktivieren Ziffern "prämotorische Assoziationszentren" (PMA), die schon früher als Areale erkannt wurden, die bei kognitiven visuell-räumlichen Prozessen eine Rolle spielen. Englischsprechende Probanden aktivieren bei der gleichen Aufgabe mehr die Sprachzentren im Broca- und Wernicke-Areal sowie zusätzliche motorische Regionen (SMA).
Das Bild änderte sich aber schlagartig, als statt Symbolen Ziffern präsentiert wurden – und noch deutlicher, als zusätzlich arithmetische und Zahlenwerte vergleichende Herausforderungen abverlangt wurden. Nun kamen – ganz analog zu den lange bekannten muttersprachabhängigen Verarbeitungsroutinen bei linguistischen Problemen – bei Englisch Sprechenden vermehrt um die Sylvi'sche Furche des Großhirns liegende Sprachareale, bei Chinesen dagegen visuell-räumliche Verarbeitungszentren in Wallung. Die Übereinstimmung zwischen den alten und neuen Resultaten belegt, dass die Unterschiede der Verarbeitungskulturen wohl nicht allein und unmittelbar, wie manche zuvor vermutet hatten, auf der die größere Komplexität von Schriftzeichen und ihrer Wahrnehmung beruhen kann – schließlich ist die chinesische Ziffer 1 mit der englischen ja identisch.

Immerhin könnte aber die stark grafische Komponente der Schriftzeichen schon bei sehr jungen Chinesen nicht nur die Sprachverarbeitung, sondern auch die mathematische Herangehensweise neuronal in eine bestimmte Richtung geschliffen haben. Vielleicht spielen auch später noch kulturelle Unterschiede beim Lernen eine Rolle, spekulieren die Forscher. Immerhin pauken kleine Chinesen viel durch Kopieren von Schriftzeichen oder dem verbreiteten händischem Rechnen – allesamt visuelle Komponenten betonende Methoden, die sich von den bei unseren mehr akustisch lernenden ABC-Schützen Europas deutlich abheben.

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