Direkt zum Inhalt

Zahlensinn: Wie das Gehirn die Zahl Null verarbeitet

Das Konzept der Null unterscheidet sich von anderen natürlichen Zahlen, weil es für eine leere Menge steht. Auch im Gehirn führt das zu Besonderheiten.
Eine große Null in Neonfarben umgeben von einer Wolke
Die Erfindung des Konzepts von Null machte viele mathematische Berechnungen erst möglich

Viele mathematische Gleichungen lassen sich nur dank einer menschlichen Erfindung lösen: der Zahl Null. Dass sie auch im Gehirn einen besonderen Platz einnimmt, zeigt eine Studie von Fachleuten um um Florian Mormann vom Universitätsklinikum Bonn und Andreas Nieder von der Universität Tübingen. Wobei ein Platz hier nicht ganz richtig ist, es sind nämlich gleich zwei – einer für die Ziffer »0« und einer für die leere Menge, die sie repräsentiert. Unterschiedliche Neurone verarbeiten die beiden Konzepte, wie die Fachleute mit ihrer Untersuchung belegen.

Die Entdeckung gelang dem Team bei einem Versuch mit 17 Epilepsiepatientinnen und -patienten. Sie alle hatten zur Vorbereitung einer Operation Mikroelektroden in ihren Schläfenlappen eingesetzt bekommen. Mit den haarfeinen Sensoren ließ sich beobachten, wie einzelne Neurone reagierten, während die Versuchspersonen sich auf eine Aufgabe konzentrierten.

Für das Experiment erhielten die Probandinnen und Probanden einen kleinen Bildschirm. Er zeigte verschiedene Zahlenmengen von Null bis Neun an, einerseits als Punktwolke – die »Null« war hier eine leere Menge – und andererseits als arabische Ziffern. Dabei überwachten die Fachleute die Hirnaktivität der Testpersonen. Hier sahen sie Neurone, die spezifisch auf die leere Menge reagierten und weitere, die bei der Ziffer Null aktiv wurden. Die beiden Konzepte werden im Gehirn also offensichtlich unterschiedlich verarbeitet. »Anders als andere Zahlen wie Eins, Zwei oder Drei, die zählbare Quantitäten repräsentieren, bedeutet Null die Abwesenheit von etwas Zählbarem und gleichzeitig einen numerischen Wert«, fasst Florian Mormann in einer Pressemitteilung zusammen. Die Studie belegt, dass sich dieser Dualismus im Gehirn widerspiegelt.

Zugleich aktivierten leere Mengen und die Ziffer Null zu einem geringeren Ausmaß auch Neurone, die auf die Ziffer Eins reagierten. Dieser »Abstandseffekt« lässt sich bei anderen Zahlen und ihren Nachbarn ebenfalls nachweisen. Das deutet darauf hin, dass das Gehirn Null nicht als eigenständige Kategorie von »Nichts« versteht. Vielmehr bettet es sie als Zahlenwert in der neuronalen Repräsentation des Zahlenstrahls am unteren Ende ein. Zugleich codiert es eine leere Menge jedoch anders als die Punktemengen von eins bis neun. »Dies könnte erklären, warum das Erkennen der leeren Menge mehr Zeit in Anspruch nimmt als für andere kleine Anzahlen«, spekuliert Mormann.

Während viele Tiere nachweislich Mengen wahrnehmen und damit, wie wir, eine Art Zahlensinn besitzen, ist das Konzept von Null eine kulturelle Errungenschaft von Menschen. Es entstand erst relativ spät in unserer Geschichte und legte den Grundstein für eine Weiterentwicklung der Mathematik. Die Besonderheit der Null spiegelt sich auch in der Kindesentwicklung wider: Während Kleinkinder bereits rudimentäre Vorstellungen von Mengen und positiven Zahlen haben, verstehen sie das Konzept der Null und damit verbundene Rechenregeln erst im Alter von etwa sechs Jahren.

  • Quellen
Current Biology, 10.1016/j.cub.2024.08.041, 2024

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.