Artenschutz: Zaun trennt Löwenschützer
Düstere Zeiten für den König der Tiere. Nur noch rund 35 000 afrikanische Löwen durchstreifen derzeit die Savanne [1] – vor 50 Jahren waren es noch mehr als 100 000 Exemplare. Ursachen für den starken Rückgang sind der Verlust an Lebensräumen, immer weniger Beutetiere sowie die direkte Bejagung durch Menschen. Eine Studie schätzt, dass in Nigeria weniger als 50 Löwen (Panthera leo) leben, und findet keine Spuren von den Tieren in der Republik Kongo, Ghana oder der Elfenbeinküste [2].
Ein Vorschlag, wie man die Löwenpopulationen vor der Ausrottung bewahren könnte, sorgt nun für heftige Debatten. Ein bekannter Löwenforscher möchte den Konflikt zwischen Menschen und Raubtieren eindämmen, indem Zäune rund um Reservate mit Rudeln gezogen werden. Diese Idee entzweite die Wissenschaftler. Die Gegner argumentieren, dass die Zäune mehr schaden als nützen würden. Die anschließende Diskussion deckte grundlegende Meinungsverschiedenheiten darüber auf, wie man Löwen und andere Arten erhalten solle. Zudem gaben einige zu bedenken, dass eine zentrale Herausforderung des Löwenschutzes – nämlich der Mangel an finanziellen Mitteln – ignoriert würde, während Wissenschaftler über Zäune zanken.
Eigentlich wollte Craig Packer von der University of Minnesota in St. Paul, der die Löwen im Serengeti-Nationalpark in Tansania erforscht, nur die Kosten für den Erhalt der Tiere ermitteln. Dass seine Forschung für solche Furore sorgen würde, war ihm nicht klar. Doch die Interpretation seiner Daten provozierte. Er und 57 Koautoren hatten die Löwendichte in 42 afrikanischen Reservaten berechnet und veröffentlichen ihre Ergebnisse dieses Jahr in den "Ecology Letters§ [3]. Für die Populationsdichte sind demnach nur zwei Größen relevant: "Dollars und Zäune – sonst nichts", fasst Packer zusammen. "Der Zaun hat eine sehr tief greifende und umfassende Wirkung", fügt er hinzu. Er verhindere, dass Löwen auch Nutztiere und Menschen jagen, und so würden weniger der Großkatzen allein der Vergeltung wegen getötet. Packer möchte sogar Zäune um einige der größten Schutzgebiete ziehen, wie das 47 000 Quadratkilometer große Wildreservat Selous in Tansania.
Die Publikation löste hitzige Diskussionen aus – sowohl online als auch auf Konferenzen. Vier Monate später veröffentlichen 55 Wissenschaftler dann eine Stellungnahme [4]. Es sei falsch, in der Analyse die Löwendichte als alleinigen Maßstab heranzuziehen, so die Kritiker. Denn diesem Ansatz zufolge gelte eine dichte Population von mehreren Dutzend Löwen in einem kleinen Schutzgebiet als Erfolg, während ein großes Reservat mit 600 Löwen als Misserfolg zu werten wäre. Die Autoren beschränkten ihre Studie daraufhin auf Löwenpopulationen, deren Dichte die Kapazität eines Reservats nicht überstieg. Zudem berücksichtigten sie einen Etat für die Verwaltung des Reservats und konnten so keinen Zusammenhang zwischen Gehegen und Löwendichte ausmachen.
Lieber Geld als Zaun?
Vorteilhaft sei das Einzäunen im Fall von kleinen, finanzstarken Reservaten, erläutert Scott Creel von der Montana State University in Bozeman als Erstautor der Studie. Doch die meisten wilden Löwen lebten in großen Reservaten mit bescheidenen finanziellen Mitteln. "Wenn man ein Gehege baut und viel Geld ausgibt, dann lassen sich darin auch viele Löwen schützen", so Creel. "Das Problem: Wir wissen bisher nicht sehr viel darüber, wie sich das Einzäunen in riesengroßen Ökosystemen bewährt, deren Etat deutlich geringer ausfällt."
Packer und seine Anhänger antworteten mit einer weiteren Analyse der Daten [5]. Anstatt die übersättigten Löwenpopulationen aus der Gleichung zu eliminieren, ordneten die Forscher ihnen eine Dichte von 100 Prozent zu. Erneut erwiesen sich Zäune als stärkster Faktor für die Löwendichte, berichtet Packer. Creel kontert: Die neue Analyse belege nicht, dass das Einzäunen einen Einfluss auf die Populationsgröße habe. Somit sei unklar, ob Zäune eine Schutzwirkung für große, natürliche Ökosysteme hätten.
Viele Forscherkollegen sind sich noch uneins darüber, welches Argument sie überzeugender finden. Laut Matt Hayward von Bangor University in Großbritannien punkten beide Seiten. Fest stehe jedenfalls, so der Koautor eines Buchs über Schutzzäune, dass die Meinungsverschiedenheit über reine Statistik hinausgehe und zu "einer sehr leidenschaftlichen philosophischen Debatte" würde. "Einige Leute wollen schlicht keine Zäune in der Landschaft", ergänzt Hayward, "die wild lebenden Tiere sollen sich frei bewegen können."
Kontraproduktiver "Schutz"
Viele befürchten auch, dass schlecht konzipierte Gehege die Tiere in mageren Zeiten an der Nahrungssuche behindern könnten. Und möglicherweise führen sie zu einem Rückgang von weit umherschweifenden Arten, wie Geparden und Wildhunden, die ausgedehnte Lebensräume brauchen. "Steht der Löwenschutz über allem anderen?", fragt sich Creels Koautorin Nathalie Pettorelli vom Institute of Zoology in London. "Man kann einen Naturraum nicht bewahren, indem man auf nur eine Art schaut."
"Man kann einen Naturraum nicht bewahren, indem man auf nur eine Art schaut"
Nathalie Pettorelli
Aus den Drähten der Zäune lassen sich außerdem Fangschlingen für Wildtiere fertigen, was ein weiteres Risiko darstellt: Löwen, Elefanten und andere Arten bleiben darin hängen und verenden so womöglich. In Ländern wie Sambia war das ein ernstes Problem. Ein fachmännisch konstruierter Zaun, wenn auch kostspielig, so Packer, würde diese Form des Wilderns jedoch nicht begünstigen. Und das Ziel der Kritiker – offene Landschaften zu erhalten – sei absolut praxisfern angesichts der wachsenden Bevölkerung in Afrika.
Zusammen mit afrikanischen Behördenvertretern wirbt Packer bereits für seine Idee. Zudem hofft er, dass eventuell an Naturschutzprojekten interessierte Geldgeber wie die Weltbank einen Zaun um ein großes Reservat finanzieren. Derweil würden viele der Gehegekritiker das Geld lieber in bewährte Ansätze stecken, wie etwa in die Durchsetzung von Rechtsvorschriften. Allerdings haben die beiden Lager auch viele Gemeinsamkeiten. Die Mitautoren von Creel sagen beispielsweise, dass Zäune durchaus wirksam sein können, und Packers Mitstreiter stimmen zu, dass Zäune für viele Gebiete ungeeignet sind.
Während sich die Wissenschaftler in den Haaren liegen, "verschwinden die Löwen schneller als je zuvor", klagt Philipp Henschel, Löwenexperte bei der Umweltschutzorganisation Panthera, die sich für Creels Position aussprechen. Die Forschergemeinde sollte "sich auf jene Sache konzentrieren, in der sich beide Seiten einig sind: Wirksamer Löwenschutz erfordert wesentlich mehr finanzielle Mittel, als derzeit verfügbar sind."
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