Hirnschäden: Anzeichen für verborgenes Bewusstsein im EEG
Wenn Menschen mit Hirnverletzungen nicht mehr erkennbar auf Ansprache reagieren, gilt das als schlechtes Zeichen. Die Betroffenen werden deshalb regelmäßig aufgefordert, die Hand zu bewegen oder die Zunge herauszustrecken. Reagieren sie darauf wiederholt nicht, ist es schwer vorherzusagen, ob sie sich erholen werden: Meist sind die Verletzungen so schwer, dass sie nicht wieder aufwachen. Doch das EEG kann Grund zur Hoffnung geben, wie eine Studie in »The Lancet Neurology« belegt. Sind im EEG Anzeichen für Bewusstsein zu erkennen, stehen die Chancen auf Genesung besser.
Im Sommer 2021 untersuchte eine Forschungsgruppe aus New York knapp 200 Patientinnen und Patienten mit akuten Hirnverletzungen, die auf Ansprache keine sichtbare Reaktion mehr zeigten. Die Medizinerinnen und Mediziner zeichneten per Elektroenzephalografie die Hirnaktivität vor und nach der Ansprache auf und verglichen die Hirnwellen mit maschinellem Lernen. Bei 14 Prozent beobachteten sie eine so genannte kognitiv-motorische Dissoziation: Während die Betroffenen äußerlich bewusstlos erschienen, veränderte sich bei Ansprache ihre Hirnaktivität.
Ein gutes Zeichen, wie sich herausstellte: Die meisten dieser Patienten waren nach drei Monaten wieder ansprechbar. Nach einem Jahr ging es 41 Prozent so viel besser, dass sie große Teile des Tages allein zurechtkamen; dagegen schafften das nur 10 Prozent derer, bei denen das EEG keine Hinweise auf Bewusstsein registriert hatte.
Bislang habe man keine verlässliche Methode gehabt, um vorherzusagen, welche Patienten wieder genesen, berichtet Studienleiter Jan Claassen, Neurologe an der Columbia University. »In der Zukunft könnte die Dissoziation zwischen kognitiven und motorischen Funktionen ein weiterer Faktor für die Prognose sein.« Das verdeckte Bewusstsein verrate mehr über den weiteren Verlauf als andere etablierte Kennzeichen wie das Alter oder die Ursache der Hirnschäden. Derzeit würden aber nur wenige Zentren mit EEG nach verdecktem Bewusstsein suchen. Die Gruppe will deshalb eine KI-Software entwickeln, die aus den Hirnwellen auf Bewusstsein schließen kann. Den Algorithmus haben sie schon zur freien Verfügung veröffentlicht.
Bereits 2019 hatte Claassen mit Kollegen im »New England Journal of Medicine« über Patienten berichtet, bei denen die Hirnaktivität einen gewissen Grad an Bewusstsein nahelegte. Auch damals war die Prognose in diesen Fällen deutlich besser. Die Stichprobe war allerdings zu klein für verlässliche Schlussfolgerungen.
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