Zellbiologie: Wie ein rasantes Enzym sich aufs Älterwerden auswirkt
Älter zu werden scheint sich bei fünf sehr unterschiedlichen Lebewesen in gleicher Weise auf Vorgänge in der Zelle auszuwirken. Das jedenfalls geht aus einer Studie hervor, die unlängst im Fachmagazin »Nature« veröffentlicht wurde. Ein Forscherteam untersuchte dazu Menschen, Taufliegen, Ratten, Mäuse und Würmer. Seine Ergebnisse könnten nun dazu beitragen, die Ursachen des Alterns zu erklären und es womöglich zu verlangsamen. Die Studie »eröffnet uns einen fundamental neuen Einblick in die Frage, wie und warum wir älter werden«, sagt Lindsay Wu, Biochemikerin an der UNSW Sydney in Australien, die nicht an der Arbeit beteiligt war.
Wenn Tiere altern, werden eine Reihe von molekularen Vorgängen in den Zellen unzuverlässiger – Genmutationen werden beispielsweise häufiger und Chromosomen werden kürzer, weil sie ihre Endstücke verlieren. Viele Studien hätten sich schon damit befasst, wie sich das Alter auf die Genexpression auswirkt, aber nur wenige hätten untersucht, was es mit der Transkription anstelle, sagt Andreas Beyer, ein Bioinformatiker an der Universität zu Köln und Letztautor der »Nature«-Studie. Unter Transkription verstehen Fachleute den Prozess, bei dem die genetische Information von einem DNA-Strang auf RNA-Moleküle kopiert wird.
Um dieser Frage nachzugehen, analysierten Andreas Beyer und seine Kolleginnen und Kollegen genomweite Transkriptionsveränderungen in fünf Organismen: bei Fadenwürmern, Taufliegen, Mäusen, Ratten und Menschen verschiedener Altersstufen. Die Forscherinnen und Forscher maßen dabei die Geschwindigkeit, mit der sich das für die Transkription verantwortliche Enzym, die RNA-Polymerase II (Pol II), den DNA-Strang entlangbewegt, und wie sich diese Geschwindigkeit mit dem Alter verändert. Sie fanden heraus, dass Pol II in der Regel mit dem Alter an Fahrt aufnimmt, aber weniger präzise ist und mehr Fehler macht. Das war bei allen fünf Gruppen der Fall. »Was abgelesen wurde und was im Referenzgenom erfasst wird, stimmte immer häufiger nicht überein«, sagt Andreas Beyer.
Aus früheren Studien ist bereits bekannt, dass sich das Älterwerden bei manchen Tierarten hinauszögern lässt, wenn man sie kalorienarm ernährt oder die Aktivität ihres Insulins hemmt. Das Forscherteam machte sich auf die Suche nach einem Zusammenhang und fand heraus, dass sich Pol II tatsächlich langsamer bewegte bei Würmern, Mäusen und Taufliegen, die Mutationen in den Genen für die Insulinsignalwege trugen. Gleiches galt für Mäuse, die eine kalorienarme Diät erhielten.
Die entscheidende Frage war jedoch, ob es sich auf die Lebensspanne auswirkt, wenn man Pol II verlangsamt. Andreas Beyer und sein Team untersuchten dazu Taufliegen und Würmer mit einer Mutation, die Pol II verlangsamte. Diese Tiere lebten 10 bis 20 Prozent länger als ihre nicht mutierten Artgenossen. Als die Forschenden die Mutationen in den Würmern mit Hilfe von Gene Editing rückgängig machten, verkürzte sich die Lebensspanne der Tiere wieder. Damit sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ablesegeschwindigkeit und Lebensspanne hergestellt worden, sagt Andreas Beyer.
Mehr Tempo, mehr Fehler
Was löst die Beschleunigung von Pol II aus? Laut einer Hypothese des Teams liegt die Ursache in der Art und Weise, wie die DNA im Zellkern verpackt ist. Um den Platzbedarf zu minimieren, werden die riesigen DNA-Fäden eng um spezielle Proteine, die Histone, gewickelt. Daraus entstehen Bündel, Nukleosomen genannt. Bei der Analyse menschlicher Lungen- und Nabelschnurzellen stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass alternde Zellen weniger Nukleosomen enthielten. Pol II hat darum weniger Hindernisse zu überwinden. Als das Team die Produktion von Histonen in den Zellen künstlich erhöhte, bewegte sich Pol II langsamer, was dann bei den Taufliegen die Lebensspanne verlängerte.
Das sei eine wirklich spannende Arbeit, weil sie zeige, dass die Mechanismen des Alterns bei evolutionär weit voneinander entfernten Arten vergleichbar sein können, sagt Colin Selman, der an der University of Glasgow das Altern von Säugetieren untersucht. Man könne nun ebenfalls erforschen, ob sich Pol II medikamentös verlangsamen lässt, um dadurch auch den Alterungsprozess zu verlangsamen. Dass sich die Arbeit von Pol II beim Älterwerden verändert, wurde bereits mit vielen Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter verschiedene Krebsarten, und es wurde etliche Medikamente entwickelt, die auf Pol II oder seine Hilfsmoleküle abzielen. »Vielleicht lassen sich einige dieser Medikamente dazu heranziehen, die Auswirkungen auf den Alterungsprozess zu erforschen«, sagt Colin Selman.
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