Direkt zum Inhalt

Mittelalter: Zeugnis kriegerischer Unterwerfung

Noch im Mittelalter lebten viele slawische Stämme in Brandenburg und Sachsen. Ein bedeutendes Bollwerk gegen die anrückenden deutschen Heerscharen war die Burg Gana, deren Lage lange Zeit umstritten war.
Gana aus der Luft
Fährt man von Dresden in nordöstlicher Richtung, durchquert man Gemeinden mit zweisprachigen Ortsschildern. Unter dem deutschen Namen überrascht eine Übersetzung, die an das Tschechische oder Polnische erinnert. Auf derart unterschwellige Weise begegnet dem Ortsunkundigen in Teilen Sachsens und Brandenburgs die slawische Minderheit der Sorben – ein Volk mit eigener Folklore und eigenem Kulturleben: Sorbische Schulen, eine sorbische Tageszeitung sowie ein Theater zeugen von einer slawischen Identität innerhalb deutscher Grenzen.

Zweisprachiges Straßenschild | Zweisprachiges Straßenschild in Bautzen
Zu einer Minderheit in dieser Region aber wurden die Slawen erst durch die Christianisierung, die im Mittelalter nicht selten in Gestalt blutiger Klingen daherkam. Das westslawische Volk der Sorben umfasste noch im Mittelalter etwa zwanzig Einzelstämme, darunter auch die Daleminzier mit ihrer Festung Gana. Ursprünglich vermutlich aus einer Region nördlich der Karpaten stammend, besiedelten westslawische Völker in den Wirren der Völkerwanderung auch solche Regionen, die einstmals in Besitz der Germanen lagen. Anfangs waren sie noch in einer schlichten bäuerlichen Lebensweise verwurzelt, entwickelten aber ab Mitte des 7. Jahrhunderts Handwerk und Gewerbe. Und gründeten im Gebiet zwischen Elbe und Saale zahlreiche Burganlagen – Rückzugsorte aus Holz und Erdreich, die ihnen in Krisenzeiten eine Zuflucht bieten sollten.

Krisenzeiten ließen nicht lange auf sich warten. Die Expansionsbestrebungen der Slawen waren den westlichen Nachbarn ein Dorn im Auge, und so kam es bereits im ausgehenden 8. Jahrhundert zu ersten Zusammenstößen. Eine neue Phase der Auseinandersetzung begann 919: Nachdem ihn die deutschen Herzöge zum König gewählt hatten, nahm sich Heinrich I. die Unterwerfung der gesamten Region westlich der Oder zum Ziel.

"Die Beute der Burg überließ er den Kriegern, alle Erwachsenen wurden niedergemacht, die Knaben und Mädchen behielten ihr Leben für die Gefangenschaft"
(Widukind von Corvey)
Eine entscheidende Wende brachte der blutige Slawenfeldzug im Winter 928/929. Die Waffen waren denkbar ungleich verteilt: Mit einem gepanzerten Reiterheer zog Heinrich gegen Völkerschaften, die zu Fuß antraten. Nachdem der deutsche König die Feste Brandenburg im Havelland eingenommen hatte, wandte er sich in Richtung Süden gegen den slawischen Stamm der Daleminzier und deren Hauptfestung Gana. Fast drei Wochen belagerten Heerscharen Heinrichs I. die Burganlage, bevor sich die Slawen am zwanzigsten Tag der königlichen Heeresmacht beugten. Der zeitgenössische Geschichtsschreiber und Benediktinermönch Widukind von Corvey schildert in seinen Res gestae Saxonicae: "Die Beute der Burg überließ er den Kriegern, alle Erwachsenen wurden niedergemacht, die Knaben und Mädchen behielten ihr Leben für die Gefangenschaft".

Die Festungsanlage Gana

Schenkt man der Überlieferung Glauben, dann war Gana eine ebenso mächtige wie strategisch wichtige Befestigung. Dennoch weist heute nur noch wenig auf Gana hin – so wenig, dass Forscher sich seit jeher uneins waren, wo die für die slawische und deutsche Geschichte so entscheidende Anlage zu lokalisieren sei. Die Quellenlage ist – abgesehen von Widukinds Chronik – dürftig, archäologische Funde sind spärlich. Aus diesem Grund brachten Historiker verschiedene Orte mit Gana in Verbindung.

Luftbild der Anlage von Gana | Die Luftaufnahme enthüllt alte Festungsstrukturen auf einer Kieskuppe unweit der Gemeinde Hof, rund vierzig Kilometer nordwestlich von Dresden.
Seit dem 19. Jahrhundert spricht jedoch einiges dafür, dass diese Ehre einer Kieskuppe unweit der Gemeinde Hof zukommt, rund vierzig Kilometer nordwestlich von Dresden. Obwohl seit jeher landwirtschaftlich genutzt und entsprechend eingeebnet, deuteten Fachleute die Überreste eines ringförmigen Walls als Umwehrung einer mächtigen Burganlage. Lage und Größe der Anlage wie auch Lesefunde stützten die Slawenburg-Hypothese. Erste Ausgrabungen fanden in den 1920er und 1930er Jahren statt. In der Tat stieß man auf eine Kulturschicht aus slawischer Zeit. Ein weiterer Umstand regte die Fantasie von Historikern und Heimatforschern an: Das archäologisch brisante Gelände befindet sich in der Niederung eines kleinen Elbe-Nebenflusses, der den Namen Jahna trägt – die phonetische Ähnlichkeit mit dem Namen der daleminzischen Feste ist unverkennbar.

Geomagnetik | Großflächige geomagnetische Messungen machten Teile der Wallkonstruktion sichtbar. Das gitterförmige Muster weist auf ein Holzkastenwerk hin.
Vor mehr als zehn Jahren, im Juni 1992, entstanden schließlich die ersten Luftbilder. Das Gelände mit seinem dichten Gerste-Bewuchs war prädestiniert für die Luftbildarchäologie, die das Wissen um Struktur und Erhaltungszustand der slawischen Anlage deutlich erweiterte. Neben dem bereits bekannten ringförmigen Hauptwall zeichneten sich drei Gräben zum Zentrum der Anlage hin ab, von denen der Innerste eine offenbar annähernd quadratische Fläche umgab. Die gesamte Befestigung erstreckte sich über stattliche drei Hektar. Geophysikalische Untersuchungen im Frühjahr 2003 deuteten darauf hin, dass sich im Zentrum der Anlage einst eine dichte Innenbebauung mit zahlreichen Grubenhäusern befand.

Zwischen Wall und Burgzentrum

Die gewonnenen Informationen konnten Wissenschaftler des Sächsischen Landesamts für Archäologie zusammen mit ihren Kollegen der Universität Warschau in einer archäologischen Ausgrabung präzisieren, wobei Bereiche zwischen Burgzentrum und den äußeren Gräben freigelegt wurden. Imposant der wehrhafte Charakter der Anlage: "Der ringförmige Hauptwall war ursprünglich wohl bis zu zwölf Meter hoch", erläutert der leitende Archäologe Michael Strobel.

Holzversturz | In einem der Gräben stieß man auf die Überreste einer verstürzten Holzwand, die sich hier deutlich im Profil abzeichnet.
Üblicherweise nutzten die Slawen beim Burgbau natürliche Schutzlagen. Offensichtlich genügte das sumpfige Umland nicht den Erfordernissen, denn die Anlage wurde zusätzlich durch einen Wall gesichert. Eine massive Holzkastenkonstruktion, außen vermutlich durch eine Bohlenwand verstärkt, stabilisierte den Wall. Vorgelagert befand sich einstmals ein Graben, der mit wachsender Bedrohung immer weiter nach außen verlagert wurde und in seiner letzten Ausbauphase wohl Wasser führte.

Schlachtabfälle | Im Innern der Burg zeugen Schlachtabfälle von einem einst reich gedeckten Tisch.
Die Vermutung, dass es sich bei der Anlage um die slawische Burg Gana handelt, erhärteten sich: In den Gruben im Innern fanden sich neben Schlachtabfällen zahlreiche Keramikfragmente, die in das 9. und 10. Jahrhundert zu datieren sind. Lesefunde hatten bereits zuvor auf eine Siedlungskontinuität von Jungsteinzeit bis in die slawische Epoche hingedeutet. In Anbetracht des überlieferten Eroberungsszenarios vielleicht noch überzeugender: In einem der Gräben stießen die Archäologen auf Überreste der hölzernen Verschalung des Walls, die einst offenbar von der Wallkrone hinabgestürzt war, zudem auf zahlreiche weitere Spuren, die auf eine Brandschatzung hindeuten. Stolz verkündet Landesarchäologin Judith Oexle: "Wir sind davon überzeugt, dass dieser Ort mit Gana identisch ist".

Schutz vor westlicher Bedrohung

Anhand der Befunde können die Forscher ein präziseres Bild der Burg zeichnen, seine Rolle für die ganze Region interpretieren. "Die Ausmaße deuten darauf hin, dass Gana eine zentralörtliche Funktion zukam", erläutert Strobel. Die Anlage zählt zu den größten und bedeutendsten im Siedlungsgebiet der Daleminzier und war möglicherweise Hauptfeste des Slawenstammes. Nach Überzeugung der Wissenschaftler befand sich die Burg inmitten eines größeren Siedlungsumfeldes. "Zahlreiche Dörfer konnten im Umkreis der Anlage nachgewiesen werden. Daher vermuten wir, dass die Burg in Krisenzeiten nicht nur ihren Bewohnern Schutz bot, sondern auch der umliegenden Bevölkerung als Fluchtburg diente", so Strobel.

Groitzsch | Eine weitere slawische Burg gleicher Zeitstellung in Sachsen: Überreste der Slawenburg in Groitzsch (Südraum Leipzig)
Über 300 slawische Befestigungsanlagen westlich der Oder sind belegt. Doch da die vielen slawischen Stämme keine politische Einheit darstellten, bot dieses weitläufige Befestigungssystem den beharrlichen deutschen Eroberungsplänen keinen Widerstand. Und so war mit dem Fall von Gana auch der militärische Widerstand der Daleminzier gebrochen. Die Elbe diente dem Deutschen Reich vorübergehend als östliche Grenzlinie, die Heinrich mit einer Reihe von Festungen wie der 929 gegründeten Burg Meißen sichern ließ. Ein ebenso geschickter wie nachhaltiger militärischer Schachzug, erlosch doch im Laufe des Mittelalters mit der Sicherung des eroberten Landes auch nach und nach die Kultur der Daleminzier.

Ähnlich wie den Daleminziern erging es benachbarten Stämmen. Um 932 unterwarf Heinrich I. mit seinem militärisch deutlich überlegenen Heer die bedeutenden Stämme der Milzener und Lusizer. Die Nachfolger Heinrichs führten die deutsche Osterweiterung fort. Im Laufe des 10. Jahrhunderts zerstörten die Heerscharen des Deutschen Reiches rund einhundert Burgen. Die einheimische slawische Bevölkerung wurde tributpflichtig, und mit der militärischen Unterwerfung ging die Missionierung einher.

Lubnjow statt Lübbenau

Ein Teil der sorbischen Bevölkerung jedoch überstand die Ostexpansion unter Heinrich I. und seinen Nachfolgern. "Während die Daleminzier durch massenhaften Zuzug deutscher Siedler und durch eine straff zentralistische Herrschaft assimiliert wurden, konnte sich die slawische Kultur in den Siedlungsgebieten der Lusizer und Milzener östlich der Elbe behaupten", erläutert Karlheinz Blaschke, wissenschaftlicher Beirat am Sorbischen Institut in Bautzen. Eine Nationalentwicklung aber unterblieb.

Vor allem Sitten und Bräuche zeichnen die Sorben aus. Man feiert folkloristische Festlichkeiten unter blau-rot-weißen Fahnen und pflegt die eigene Trachtentradition. Was wie eine touristische Attraktion anmutet, ist nicht zuletzt Relikt einer versunkenen Kultur: Im Zuge der Völkerwanderung in Regionen zwischen Elbe und Saale gelangt, umfasste das westslawische Volk der Sorben seinerseits wiederum etwa zwanzig Einzelstämme, darunter auch die Daleminzier.

Doch nach Jahrhunderten der Unterdrückung durch die deutsche Obrigkeit, nach Ausgrenzung im Mittelalter und Verfolgung im Dritten Reich ist ihre Zukunft vermutlich unsicherer als je zuvor. Obschon die ethnische Sonderstellung heute sogar verfassungsrechtlich geschützt ist, bangen die Sorben um den Fortbestand ihrer Volkskultur. Die Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit führt insbesondere beim Nachwuchs zur Landflucht.

Ein weiteres Problem ist der Wegfall der Bildungseinrichtungen: Von den wenigen zweisprachigen Schulen fürchten einige gegenwärtig um ihre Existenz. Bereits heute sind die Menschen, die der sorbischen Sprache mächtig sind, mehrheitlich hoch betagt. Die Statistik zählt inzwischen 60 000 Angehörige mit Kenntnissen der sorbischen Sprache, zur Zeit der Landnahme im 7. Jahrhundert waren es geschätzte 160 000. Eine Minderheit, die auch nach mehr als einem Jahrtausend um ihren Fortbestand kämpft.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.