Spiele für die Götter: Zeus Herrscher von Olympia
Dies galt als Unglück: Zu sterben, ohne je den Tempel des Zeus im Hain von Olympia betreten zu haben. Andererseits bewahre der Anblick seiner gewaltigen Statue davor, jemals wirklich unglücklich zu werden. Beinahe dreizehn Meter hoch saß der Weltenherrscher auf einem opulent geschmückten Thron. Dieses Kunstwerk war eines der sieben Weltwunder der Antike.
Ein hölzernes Gerüst in seinem Innern trug die Last von Gold, Elfenbein und anderen kostbaren Materialien. In seiner rechten Hand hielt Zeus eine rund zwei Meter große Nike – die geflügelte Siegesgöttin. Die Linke umfasste ein mit farbigen Einlagen verziertes, bis auf den Boden reichendes Szepter, das ein Adler bekrönte. Golden strahlten Haar, Gewand und Sandalen. Auf dem Haupt trug der Gott einen Kranz aus Olivenzweigen, farbige Steine bildeten die Augen; Gesicht, Brust, Arme und Füße waren aus Elfenbein gearbeitet. Zwei Löwen trugen einen Schemel, auf dem wiederum die Füße des Göttervaters ruhten. "Phidias, des Charmides Sohn, der Athener, hat mich geschaffen", stand dort zu lesen. Ja, kein Geringerer als der Schöpfer der berühmten Statue der Athena Parthenos auf der Akropolis hatte auch dieses Meisterwerk gefertigt.
Doch all dies wissen wir vor allem aus Beschreibungen des Reiseschriftstellers Pausanias (2. Jahrhundert n. Chr.), nichts von all der Pracht ist erhalten. Die Spuren der Statue verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Noch im ausgehenden 4. Jahrhundert n. Chr. muss sie sich Berichten zufolge im Tempel befunden haben. Möglicherweise wurde der Zeus des Phidias bald darauf nach Konstantinopel abtransportiert, dem heutigen Istanbul. Denn der römische Kaiser Theodosius II. (408-450 n. Chr.) hatte alle "heidnischen" Spiele streng verboten. In der Metropole am Bosporus könnte die kostbare Statue dann 475 n. Chr. – im Zuge eines Putsches gegen den amtierenden Kaiser Zenon I. – ein Raub der Flammen geworden sein. Sind von der Athena Parthenos zumindest einige Nachbildungen erhalten, so blieb vom olympischen Zeus nur eine Abbildung auf einer römischen Münze aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Doch solch ein trauriges Schicksal vermochte sich zur Blütezeit des bedeutendsten Heiligtums der griechischen Welt wohl niemand vorzustellen.
Dorthin, ins Tal des Alpheios auf dem westlichen Peloponnes, zog es alle vier Jahre zigtausende Besucher, um die Besten der Besten in Stadion und Hippodrom um Ruhm und Ehre kämpfen zu sehen. Und dort, in dem als Altis bezeichneten heiligen Hain unterhalb des Kronoshügels, stand der Tempel für den Göttervater. Geplant hatte den rund zwanzig Meter hohen Bau der Architekt Libon von Elis. Über einem 2,50 Meter starken Fundament lag der 1,52 Meter hohe Unterbau. Auf der rund 28 mal 64 Meter großen Fläche ragten mehr als zehn Meter hohe Säulen auf, sechs an der Front- und an der Rückseite, dreizehn an jeder Längsseite. Die Arbeiten dauerten vermutlich gut zwanzig Jahre, eine vergleichsweise kurze Zeitspanne für solch ein Unternehmen. Spätestens 457 v. Chr. war das Werk vollendet.
Als Baumaterial diente vor allem Muschelkalk. Eine weiße Stuckschicht ließ den Tempel hell im Sonnenlicht erstrahlen. Das Dach bekrönten Pausanias zufolge zwei Niken, an den Seiten der Giebel standen je zwei monumentale Bronzedreifüße; natürlich waren sie alle mit Gold überzogen. Erhalten blieben nur Skulpturen aus Marmor, die einst – farbig bemalt – die Giebeldreiecke schmückten sowie mit Reliefs geschmückte Platten (Metopen) von den Friesen der beiden Vorhallen. Diese Schätze sind heute im Neuen Museum von Olympia zu bewundern.
Ein Altar aus AscheAm Ende der fünf Tage dauernden Spiele wurden den Siegern vor der Eingangsfront des Gotteshauses feierlich die Olivenzweige überreicht. Sie waren der Lohn für monatelanges Training und gewissenhafte Einhaltung der Regeln, auf die sie zu Beginn der Spiele am kleinen Altar des Zeus Horkios, des Schwurgottes, einen Eid geleistet hatten. Und so mancher mag anschließend zum Dank am großen Altar des Zeus nördlich des Tempels ein privates Brandopfer dargebracht haben. Die Asche war heilig und wurde deshalb, mit Wasser vom Alpheios vermischt, auf diesem Altar verstrichen. Und das war nicht wenig, gehörte doch auch die Opferung von hundert Rindern zum Programm der heiligen Spiele (ihre Schenkel wurden auf dem Altar verbrannt). Im Laufe der Jahrhunderte wuchs so ein mehrere Meter hoher Aschekegel, der zur Zeit des Pausanias auf einem steinernen Fundament aufragte.
Es ist immer wieder diskutiert worden, warum diese so wichtigen Spiele überhaupt in Olympia, einem recht abgelegenen Ort, etabliert wurden. Nach der von Hippias von Elis überlieferten Siegerliste sollen sie erstmals im Jahr 776 v. Chr. stattgefunden haben, weit entfernt von bedeutenden Orten wie Athen, Argos oder Korinth. Doch die heilige Stätte selbst ist erheblich älter. Die archäologischen Funde reichen bis ins 11. vorchristliche Jahrhundert, also die als "dunkles Zeitalter" bezeichnete Epoche. Über jene schriftlose Zeit wissen wir vergleichsweise wenig. Auch die Mythen zur Gründung Olympias helfen meist wenig, das Rätsel um die Ortswahl zu erhellen. Doch eine lakonische Feststellung des griechischen Geografen Strabon (um 63 v.–26 n. Chr.) liefert vermutlich den Schlüssel: "Seine Berühmtheit erhielt der Kultplatz durch das Orakel des olympischen Zeus."
Die Seher vom KronoshügelAuch der griechische Dichter Pindar (522–443 v. Chr.) wusste von einem Orakel: In einer Ode auf den Sieger im Maultierrennen bei den Spielen 468 v. Chr. erzählt er folgende Geschichte. Der Gott Apollon habe seinen Sohn Iamos – die Frucht einer Begegnung mit der arkadischen Königstochter Euadne im Uferschilf des Alpheios – in die Kunst der Weissagung eingeführt. Auf der Suche nach einer geeigneten Wirkungsstätte brachte ihn der Vater zum Kronoshügel. Dort sollte er beim Altar des Zeus ein Orakel einrichten und aus den Opferflammen weissagen.
Seitdem, so konstatierte Pindar, sei das Geschlecht der Iamiden bei den Griechen hochberühmt. Und noch beim Besuch des Pausanias in Olympia spielten die Nachfahren dieser Seher eine wichtige Rolle im Dienst für den Göttervater. Diese Legende erklärt wohl auch, warum der Westgiebel des Tempels Apollon zeigt, den Herrn des Orakels von Delphi.
Der Arbeitsplatz der olympischen Seher lag aber nicht nur in der Altis, sondern vor allem außerhalb, auf den Schlachtfeldern in West und Ost, wo sie die griechischen Feldherren vor Ort berieten. Beispielsweise müssen ihre Opfer Zeus am Vorabend der Schlacht von Plataiai 479 v. Chr. gefallen haben, denn die Griechen erfochten einen glänzenden Sieg über die Perser. Und 405 v. Chr. triumphierten die Spartaner nach Befragung des Orakels bei Aigospotamoi über die Athener und beendeten damit den Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.).
Diese und andere Erfolge trugen nicht allein zum Ruhm des Zeusheiligtums bei, sie lohnten auch materiell. Immer mehr füllte sich der heilige Hain von Olympia mit Weihegaben anlässlich gewonnener Schlachten, darunter monumentale Dreifüße und Greifenkessel aus Bronze sowie Statuen aus Marmor und Bronze, vor allem aber Waffen. In keinem anderen Heiligtum stießen die Archäologen auf so viele Panzer und Helme, Beinschienen und Schwerter sowie kleinformatige Kriegerdarstellungen. Was sollten sie anderes sein als Gaben für denjenigen, dem die jeweiligen Siege zu verdanken waren? Auf uns heute hätten die Olympischen Spiele diesbezüglich wahrscheinlich geradezu grotesk gewirkt: Einträchtig saßen auch Einwohner verfeindeter Stadtstaaten beieinander auf den Stadionwällen und feuerten ihre Sportler an. Hinter ihnen aber standen Reihen von Tropaia – als Zeichen gewonnener Schlachten aufgestellte, mit Waffen behängte Holzpfähle. Doch der Widerspruch – olympischer Friede hier, kriegerische Gewalt dort – lässt sich leicht auflösen: Die dominierende Idee an diesem Ort war der Sieg als solcher.
Freie Kost und ewiger RuhmDoch die athletischen Wettkämpfe verdrängten allmählich das Orakel in der Gunst der Griechen. Olympia wurde zum Synonym für das Mekka der besten Läufer, Fünfkämpfer, Ringer, Boxer, Pankratiasten, Pferde- und Gespannbesitzer. Waren die Spiele ursprünglich eine Domäne des Adels, übernahmen nun Profis auch aus anderen Gesellschaftsschichten das Geschehen; die Noblen wandten sich dem kostspieligen Pferdesport zu. Wem Zeus hier den Sieg verlieh – nur der allein zählte, kein Zweiter oder Dritter wurde mit einem Trostpreis belohnt – und wer am letzten Tag der Spiele den heiß ersehnten Zweig vom heiligen Olivenbaum erhielt, der hatte das Höchste erreicht, was damals menschenmöglich war.
Überdies hatte ein Olympionike für den Rest seines Lebens ausgesorgt, war der Olivenzweig doch bares Geld wert, vergleichbar heutigen hoch dotierten Werbeverträgen, die sich in der Regel an olympische Erfolge anschließen. Einigen wenigen waren sogar glänzende Karrieren als Politiker oder als erfolgreiche Unternehmer beschieden. Die Heimatstädte überhäuften ihre Gewinner mit Ehrungen, finanziellen Vergünstigungen, freier Kost im Rathaus der Polis oder mit Geldgeschenken. Auch die Finanzierung einer Siegerstatue aus Bronze wurde zuweilen übernommen, die dann in der Altis aufgestellt wurde und deren Inschrift den Ruhm des Siegers und seiner Heimatstadt verewigte.
Kleine Bronzestatuetten oder Sportgeräte wie etwa ein Diskos oder ein beim Weitsprung benötigtes Sprunggewicht konnten Zeus als Dankesgabe geweiht werden. Zusammen mit anderen Kunstwerken müssen die Siegerbildnisse in der Altis einen regelrechten Statuenwald gebildet haben. Wie kaum an einem anderen Ort des antiken Griechenlands kündeten die Denkmäler und Bauwerke so kontinuierlich und eindrucksvoll von der machtvollen Stellung des Göttervaters, vom Ruhm einzelner Personen sowie von Glanz und Gloria vieler Stadtstaaten und Herrscher.
So erscheint es nur konsequent, dass dem Herrn des Heiligtums der größte Tempel in der Provinz errichtet wurde, der zugleich die architektonische Krönung des an Bauten nicht armen Olympia war. Doch schon stellt sich ein weiteres Rätsel: Warum erhielt Zeus, der seit Jahrhunderten in der Altis zu Hause war, erst im 5. Jahrhundert v. Chr. ein eigenes Gotteshaus? Zumal zu dieser Zeit bereits ein Tempel der Hera existierte, der Gattin der Weltenherrschers. Dies berichtet Pausanias und das bestätigt die Datierung des "Heraions" auf etwa 600 v. Chr. Nun bezweifelt niemand, dass Hera in diesem Bauwerk verehrt wurde, doch das muss nicht immer so gewesen sein. Schon Wilhelm Dörpfeld – Ausgräber in Olympia und in Troia – wollte im Heraion, das ja nahe dem großen Aschealtar des Zeus und am Fuß des Kronoshügels innerhalb des Kerngebiets mit den ältesten Kulteinrichtungen liegt, einen Vorgängerbau des frühklassischen Zeustempels erkennen. Neuere Forschungen unterstützen diese Ansicht, scheinen einen expliziten Hera-Kult in Olympia vor dem späten 5. Jahrhundert v. Chr. ausschließen zu können.
Das Heraion war in Holz-Lehm-Architektur errichtet worden: Über einem Sockel aus Steinen waren die Wände aus Lehmziegeln gebaut. Für Jahrhunderte galt dieser Tempel deshalb als eine Art altertümliches Denkmal. Dort stand der von dem Phidias-Schüler Kolotes gearbeitete, kostbar verzierte Tisch, auf den die Kränze für die Olympiasieger gelegt wurden – ein unübersehbarer Hinweis auf den Herrn des Heiligtums.
Weiterhin berichtet Pausanias nicht von einem, sondern von zwei Kultbildern im Innern: "Dasjenige der Hera sitzt auf einem Thron, Zeus steht daneben, bärtig und mit einem Helm auf dem Kopf." Da aber ein stehender Zeus neben einer sitzenden Hera sonst nicht belegt ist, wäre das Kultbild für Hera folglich erst später dazugekommen. Als sich der Reiseschriftsteller dann im 2. Jahrhundert durch das Heiligtum führen ließ, war der Umzug des Göttervaters in sein neues Haus längst aus der Erinnerung verschwunden. Angesichts der Gold-Elfenbein-Statue des Phidias und angesichts des großartigen Zeustempels mit seinen Marmorgiebeln wird kaum jemand einen Gedanken an einen weniger prächtigen Vorläuferbau verschwendet haben.
Ist heute also mit einigem Recht davon auszugehen, dass das Heraion dem Göttervater vor dem Bau des großen Tempels geweiht war, so entdeckten die Archäologen Helmut Kyrieleis – ehemaliger Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) – und Jörg Rambach, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Olympia-Grabung des DAI, 2002 nicht minder Aufregendes: Östlich des Pelopions (einer Kultanlage für den mythischen Spielebegründer Pelops) stießen sie auf Reste eines Heraion-Vorgängers und damit auf den bislang ältesten Kultbau in Olympia. Die bogenförmige Steinsetzung war bereits 1879 freigelegt worden. Glaubten die ersten Ausgräber noch, auf Spuren des großen Aschealtars gestoßen zu sein, interpretierte Dörpfeld den Fund als Reste einer bronzezeitlichen Siedlung. Bei ihren Nachgrabungen stellten Kyrieleis und Rambach aber fest, dass die Steinsetzung dafür zu groß ist und auch im Grundriss nicht zu solchen Annahmen passt. Zudem ergaben weitere Untersuchungen: Der Bau stammt nicht aus der Bronzezeit, sondern ist jünger. Genauere Daten sollen Radiokarbonuntersuchungen verkohlter Holzreste aus den Pfostenlöchern erbringen. Helmut Kyrieleis hält es durchaus für möglich, dass die aus mächtigen Steinen gefügte Grundmauer tatsächlich zum frühesten Kultbau des Zeus in Olympia gehört.
aus: epoc 3/2004, S. 22-26
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