Sprachspiele: "ZHNAQ?" "ZHNAQ!"
Sind die grundlegenden Eigenschaften einer Sprache willkürlich, oder müssen sie vor allem für die Kommunikation etwas taugen? Das sollte sich zeigen, wenn Menschen oder Computer aus dem Stand heraus Wörter finden müssen, die das Gegenüber versteht. Aber würden 152 Studenten tatsächlich einen grammatischen Code entwickeln?
Wer Kinder hat, kennt das Spiel: "Wo ist das Auto?" Der Nachwuchs auf dem Schoß studiert kurz das Bilderbuch, zeigt auf das Auto und sagt "Auto". Kommunikation erfolgreich!
Aber klappt die Verständigung auch, wenn die Rollen weniger klar verteilt sind? Das wollten Reinhard Selten, Nobelpreisträger und Wissenschaftler am Bonner Laboratorium für Experimentelle Wirtschaftswissenschaften, und sein Kollege Massimo Warglien in einem kleinen, aber feinen Experiment herausfinden. Aus 152 Versuchsteilnehmern bildeten sie für die Dauer des Experiments zufällige Paarungen, die gemeinsam einen Wortschatz entwickeln sollten, ohne dass einer der beiden als Lehrer bestimmt wurde. Autos und andere komplizierten Dinge des Alltags spielten allerdings keine Rolle – die Paare sollten lernen, einfache Symbole, wie Kreise, Kästen oder Dreiecke, zu identifizieren.
M bedeutet Dreieck
Ausgestattet mit einem Zeichenvorrat übermittelte der zufällig gewählte Sprecher etwa ein "M" an den Hörer, wenn die Forscher ihm ein Dreieck zeigten. Zeigte dieser daraufhin auf das gleiche Symbol, galt der Vorgang als geglückt und die Spieler wurden mit Punkten belohnt. Glaubte der Angesprochene dagegen, "M" bedeute Kreis, gab es Punktabzug. Beide erfuhren daraufhin, von welcher Zuordnung der jeweils andere ausgegangen war. Wer sich welche Buchstabenbedeutung für die nächste Runde merkte, war allerdings offen.
Allmählich ließen die Experimentatoren die Komplexität der Symbole und die Größe des Buchstabenvorrats anwachsen. Strenggenommen wäre letzteres nicht nötig gewesen, denn im Extremfall hätten – genau wie im Binärsystem – zwei Zeichen ausgereicht, um alle Symbole zu kodieren. Menschliche Versuchspersonen haben aber mit menschlichen Kurzzeitgedächtnissen zu kämpfen, und die scheitern in der Regel an derartig komplizierten Systemen.
Im Endeffekt zeigte sich sogar, dass die Forscher den Teilnehmern generell einen Überschuss an Buchstaben zur Verfügung stellen mussten – ein Befund, der sich mit den tatsächlichen Verhältnissen in einer Sprache in Beziehung setzen lässt: Die Zahl erlaubter Lautkombinationen übersteigt in allen Sprachen bei Weitem die Anzahl tatsächlich verwendeter Wörter. Offenbar liegt in beiden Fällen die Eigenschaft des Sprachsystems zu Grunde, lieber mit einem Überfluss atomarer Einheiten zu arbeiten als mit reduzierten, hochgradig effektiven Codes.
Buchstaben sparen
Zu untersuchen, wie genau Effektivität und Verständlichkeit zusammenspielen, war dann auch ein weiteres Ziel des Experiments. Dazu belegten die Wissenschaftler den Gebrauch von Buchstaben mit Kosten. Je mehr davon die Teilnehmer benutzten, desto höheren Punktabzug gab es schon im Vorhinein, unabhängig von Erfolg oder Misserfolg des "Gesprächs". Dadurch imitierten die Forscher die in allen Sprachen vorhandene Tendenz, sich möglichst kurz zu fassen.
Das höhere Maß an Systematik erlaubte in der Variante MH, sich auf neue Situationen einzustellen. War das Experiment nach über 60 Runden beendet, gab es nur noch zwei Fälle: Entweder es wurde keine Übereinkunft erzielt oder aber ein grammatisches System gefunden. Dass die Gesamtbedeutung eines Ausdrucks aus seinen Teilen erschließbar ist, eben wie im Fall MH = Dreieck + Punkt, wird in Linguistik und Logik im Allgemeinen als "Kompositionalitätsprinzip" bezeichnet. Es geht auf den Mathematiker und Philosophen Gottlob Frege zurück und lässt sich in vielen Eigenschaften menschlicher Sprachen aufweisen.
Computer lernen Vokabeln
Seit einigen Jahren schon versuchen sich eine Vielzahl von Labors daran, derartige Sprachspiele teils mit erheblichem Aufwand nachzubilden. Meist versichern sie sich dabei der Hilfe von Computern, denn dass bei diesen mit Sicherheit keine Vorkenntnisse zu erwarten sind, übt auf viele Wissenschaftler einen besonderen Reiz aus: Welche Fähigkeiten beim Erwerb eines Vokabulars erforderlich sind, lässt sich so exakt kontrollieren.
Wenn dann keine der am Gespräch beteiligten Maschinen über einen ausgereiften Wortschatz verfügt, kommt unweigerlich Dynamik in die Angelegenheit. Jeder lernt dann theoretisch von jedem, und Wörter treten automatisch in einen Wettbewerb, den nur die geeigneten Lösungen überleben. Denn wer sich unverständlich ausdrückt, hat wenig Chancen, sein sprachliches Wissen weiterzugeben. Weil natürliche Sprachen im Großen und Ganzen ähnlichen Koordinationsprozessen unterworfen sein könnten, hoffen Linguisten, durch die Analyse dieser Experimente viele aus reiner Beobachtung gewonnene, universell gültige Eigenschaften natürlicher Sprachen erklären zu können.
Eines der aufwändigsten Sprachspiele dürfte sicherlich das des Belgiers Luc Steels vom Sony Computer Science Lab in Paris gewesen sein: 1999/2000 ließ er in mehreren Ländern Roboterköpfe, so genannte "Talking Heads", aufstellen, die mit eingebauter Kamera Symbole auf einer Magnettafel betrachteten und ihren maschinellen Kollegen mitteilten, was sie sahen. Im Idealfall zeigte der Angesprochene daraufhin auf das gemeinte Symbol und signalisierte so, die Nachricht verstanden zu haben.
Auch die "Talking Heads" waren vollauf damit beschäftigt, ihr Grundvokabular aufzubauen – mit Erfolg, wie die Auswertung zeigte. Wirklich komplexer Satzbau kam jedoch noch in keinem der Experimente zu Stande. Ob auch syntaktische Regeln durch koordinierte Zusammenarbeit erzeugt werden können oder ob es dazu doch eines angeborenen Grammatikverständnisses bedarf, wie viele Sprachwissenschaftler glauben, wird sich erst zeigen. Für diese Aufgabe dürften menschliche Versuchspersonen dann allerdings mehr als ungeeignet sein.
Aber klappt die Verständigung auch, wenn die Rollen weniger klar verteilt sind? Das wollten Reinhard Selten, Nobelpreisträger und Wissenschaftler am Bonner Laboratorium für Experimentelle Wirtschaftswissenschaften, und sein Kollege Massimo Warglien in einem kleinen, aber feinen Experiment herausfinden. Aus 152 Versuchsteilnehmern bildeten sie für die Dauer des Experiments zufällige Paarungen, die gemeinsam einen Wortschatz entwickeln sollten, ohne dass einer der beiden als Lehrer bestimmt wurde. Autos und andere komplizierten Dinge des Alltags spielten allerdings keine Rolle – die Paare sollten lernen, einfache Symbole, wie Kreise, Kästen oder Dreiecke, zu identifizieren.
M bedeutet Dreieck
Ausgestattet mit einem Zeichenvorrat übermittelte der zufällig gewählte Sprecher etwa ein "M" an den Hörer, wenn die Forscher ihm ein Dreieck zeigten. Zeigte dieser daraufhin auf das gleiche Symbol, galt der Vorgang als geglückt und die Spieler wurden mit Punkten belohnt. Glaubte der Angesprochene dagegen, "M" bedeute Kreis, gab es Punktabzug. Beide erfuhren daraufhin, von welcher Zuordnung der jeweils andere ausgegangen war. Wer sich welche Buchstabenbedeutung für die nächste Runde merkte, war allerdings offen.
Allmählich ließen die Experimentatoren die Komplexität der Symbole und die Größe des Buchstabenvorrats anwachsen. Strenggenommen wäre letzteres nicht nötig gewesen, denn im Extremfall hätten – genau wie im Binärsystem – zwei Zeichen ausgereicht, um alle Symbole zu kodieren. Menschliche Versuchspersonen haben aber mit menschlichen Kurzzeitgedächtnissen zu kämpfen, und die scheitern in der Regel an derartig komplizierten Systemen.
Im Endeffekt zeigte sich sogar, dass die Forscher den Teilnehmern generell einen Überschuss an Buchstaben zur Verfügung stellen mussten – ein Befund, der sich mit den tatsächlichen Verhältnissen in einer Sprache in Beziehung setzen lässt: Die Zahl erlaubter Lautkombinationen übersteigt in allen Sprachen bei Weitem die Anzahl tatsächlich verwendeter Wörter. Offenbar liegt in beiden Fällen die Eigenschaft des Sprachsystems zu Grunde, lieber mit einem Überfluss atomarer Einheiten zu arbeiten als mit reduzierten, hochgradig effektiven Codes.
Buchstaben sparen
Zu untersuchen, wie genau Effektivität und Verständlichkeit zusammenspielen, war dann auch ein weiteres Ziel des Experiments. Dazu belegten die Wissenschaftler den Gebrauch von Buchstaben mit Kosten. Je mehr davon die Teilnehmer benutzten, desto höheren Punktabzug gab es schon im Vorhinein, unabhängig von Erfolg oder Misserfolg des "Gesprächs". Dadurch imitierten die Forscher die in allen Sprachen vorhandene Tendenz, sich möglichst kurz zu fassen.
Würden die Spieler deshalb eher das Dreieck mit Punkt in der Mitte als "MH" (M = Dreieck, H = Punkt in der Mitte) bezeichnen oder entschieden sie sich für die günstigere Variante "Q", die beides auf einmal bedeutete und mit nur einem einzelnen Buchstaben auskommt? Zunächst entstanden Systeme nach beiden Prinzipien, berichten Selten und Kollege. Als sie aber begannen, die Symbole zu variieren, waren Vertreter der ungrammatischen, günstigeren Methode hoffnungslos verloren.
Das höhere Maß an Systematik erlaubte in der Variante MH, sich auf neue Situationen einzustellen. War das Experiment nach über 60 Runden beendet, gab es nur noch zwei Fälle: Entweder es wurde keine Übereinkunft erzielt oder aber ein grammatisches System gefunden. Dass die Gesamtbedeutung eines Ausdrucks aus seinen Teilen erschließbar ist, eben wie im Fall MH = Dreieck + Punkt, wird in Linguistik und Logik im Allgemeinen als "Kompositionalitätsprinzip" bezeichnet. Es geht auf den Mathematiker und Philosophen Gottlob Frege zurück und lässt sich in vielen Eigenschaften menschlicher Sprachen aufweisen.
Computer lernen Vokabeln
Seit einigen Jahren schon versuchen sich eine Vielzahl von Labors daran, derartige Sprachspiele teils mit erheblichem Aufwand nachzubilden. Meist versichern sie sich dabei der Hilfe von Computern, denn dass bei diesen mit Sicherheit keine Vorkenntnisse zu erwarten sind, übt auf viele Wissenschaftler einen besonderen Reiz aus: Welche Fähigkeiten beim Erwerb eines Vokabulars erforderlich sind, lässt sich so exakt kontrollieren.
Wenn dann keine der am Gespräch beteiligten Maschinen über einen ausgereiften Wortschatz verfügt, kommt unweigerlich Dynamik in die Angelegenheit. Jeder lernt dann theoretisch von jedem, und Wörter treten automatisch in einen Wettbewerb, den nur die geeigneten Lösungen überleben. Denn wer sich unverständlich ausdrückt, hat wenig Chancen, sein sprachliches Wissen weiterzugeben. Weil natürliche Sprachen im Großen und Ganzen ähnlichen Koordinationsprozessen unterworfen sein könnten, hoffen Linguisten, durch die Analyse dieser Experimente viele aus reiner Beobachtung gewonnene, universell gültige Eigenschaften natürlicher Sprachen erklären zu können.
Eines der aufwändigsten Sprachspiele dürfte sicherlich das des Belgiers Luc Steels vom Sony Computer Science Lab in Paris gewesen sein: 1999/2000 ließ er in mehreren Ländern Roboterköpfe, so genannte "Talking Heads", aufstellen, die mit eingebauter Kamera Symbole auf einer Magnettafel betrachteten und ihren maschinellen Kollegen mitteilten, was sie sahen. Im Idealfall zeigte der Angesprochene daraufhin auf das gemeinte Symbol und signalisierte so, die Nachricht verstanden zu haben.
Auch die "Talking Heads" waren vollauf damit beschäftigt, ihr Grundvokabular aufzubauen – mit Erfolg, wie die Auswertung zeigte. Wirklich komplexer Satzbau kam jedoch noch in keinem der Experimente zu Stande. Ob auch syntaktische Regeln durch koordinierte Zusammenarbeit erzeugt werden können oder ob es dazu doch eines angeborenen Grammatikverständnisses bedarf, wie viele Sprachwissenschaftler glauben, wird sich erst zeigen. Für diese Aufgabe dürften menschliche Versuchspersonen dann allerdings mehr als ungeeignet sein.
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