Radioastronomie: Zieht sich Deutschland vom Square Kilometre Array zurück?
Ergänzung vom 11. Juli 2014: Stellungnahme des BMBF zur SKA-Entscheidung (siehe unten)
Die Arbeitswoche nach den Pfingst-Feiertagen beginnt für uns in der Sterne-und-Weltraum-Redaktion mit einem Knaller: Deutschland beabsichtige, die SKA Organisation zu verlassen. So heißt es jedenfalls auf der Website dieser Kollaboration aus gegenwärtig zehn Mitgliedsstaaten, die das Square Kilometre Array (kurz SKA) bauen möchte.
Array – das bedeutet, dass viele Radioteleskope zu einem Verbund zusammengeschlossen werden sollen. Square Kilometre – das heißt, die Sammelfläche aller Radioteleskope in diesem Verbund soll einen Quadratkilometer betragen. Mit diesen Dimensionen sprengt das SKA alle Grenzen. Über mehrere Länder auf zwei Kontinenten verteilt und digital gesteuert, wird es mehrere Regionen des Himmels gleichzeitig beobachten. Die Empfindlichkeit wird gegenüber heutigen Radioteleskopen rund 100-fach gesteigert sein. Die gewaltige Datenflut wird etwa zehnmal so groß sein wie alles, was heute durch das weltweite Internet übertragen wird.
Das SKA ist also ein gigantisches Unterfangen, das nur in internationaler Zusammenarbeit verwirklicht werden kann. Das Radioteleskop der Superlative soll unter anderem nach den ersten Strukturen im frühen Universum fahnden, die Natur der Dunklen Materie erkunden, Gravitationswellen nachweisen und die allgemeine Relativitätstheorie mit bislang unerreichter Präzision testen. Zudem ist eine Fülle neuartiger Entdeckungen zu erwarten. Damit ist das SKA von grundlegender Bedeutung für die Physik, Astronomie und Kosmologie des 21. Jahrhunderts.
Gebaut werden soll das SKA auf zwei Kontinenten – in Afrika und in Australien. Die Phase 1 soll bis 2019 aufgebaut sein und 650 Millionen Euro kosten. Die volle Betriebsfähigkeit ist für 2024 geplant. Bisher haben 20 Länder mehr als 120 Millionen Euro in den Entwurf und die Planung des SKA investiert. Im März 2014 verpflichtete sich Großbritannien als erstes Land, 100 Millionen Pfund für den Bau des SKA zur Verfügung zu stellen. Südafrika und Australien haben für Vorgängeranlagen des SKA (ASKAP, Murchison Widefield Array und MeerKAT) bereits mehrere hundert Millionen Euro bereitgestellt.
Für Deutschland gab das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Frühjahr 2012 bekannt, sich am SKA beteiligen zu wollen. Seit Mai 2012 ist Deutschland Mitglied in der SKA Organisation. Was nun, zwei Jahre später, den Sinneswandel auslöste, ist noch nicht genau bekannt.
Informationspolitik des BMBF
Am 5. Juni 2014 informierte der Staatssekretär im BMBF, Georg Schütte, die SKA Organisation in einem offiziellen Schreiben, dass Deutschland beabsichtige, die SKA Organisation zu verlassen. Gemäß den gegenwärtigen vertraglichen Verpflichtungen bedeutet das, dass Deutschlands Mitgliedschaft in der SKA Organisation zum 30. Juni 2015 endet.
Die Entscheidung des BMBF erwischte vor allem die an deutschen Instituten beteiligten Forscher kalt. Offenbar handelt es sich um eine interne Entscheidung, die mit keinem der Betroffenen besprochen oder abgestimmt worden war. Selbst die ausländischen Partner des SKA erhielten die Information eher als die beteiligten deutschen Wissenschaftler.
Vom BMBF war bis zum 11. Juni 2014, dem Zeitpunkt, als dieser Text online ging, keine Stellungnahme zu erhalten. Auch eine Anfrage der Redaktion an die Pressestelle des BMBF blieb unbeantwortet. Erst mehrere Tage später erreichte die Redaktion der folgende Text.
Stellungnahme des BMBF zur SKA-Entscheidung
Das Square Kilometre Array (SKA) ist ein in der Planung befindliches Radioteleskop, das in Südafrika und Australien errichtet werden soll. Seine Antennen sollen eine Gesamtfläche von ungefähr einem Quadratkilometer haben. Die Investitionskosten für die erste Phase des SKA werden auf 650 Millionen Euro geschätzt, die Kosten für den vollen Ausbau auf etwa 6,5 Milliarden Euro.
Deutschland war bisher an der SKA-Organisation zur Vorbereitung einer endgültigen Entscheidung über das Projekt beteiligt. Die Mitgliedschaft in der Organisation diente auch der Prüfung, ob ein finanzielles Engagement Deutschlands an SKA angesichts der erwarteten Höhe zu rechtfertigen ist.
Mit Blick auf die Höhe der Kosten, die große internationale Forschungsinfrastrukturen verursachen, muss Deutschland Prioritäten setzen. Aus diesem Grund hat das BMBF eine Roadmap entwickelt, in der die Forschungsinfrastrukturen, an denen Deutschland sich beteiligen möchte, begutachtet und priorisiert wurden. Beispielhaft sind hier der Europäische Röntgenlaser XFEL und die Beschleunigeranlage FAIR zu nennen. Ein weiteres Projekt aus dem Bereich der Astronomie ist das Cherenkov Telescope Array (CTA). Hier werden zurzeit die Standortverhandlungen zum Standort in der südlichen Hemisphäre aufgenommen – unter anderem mit Namibia/Südafrika, die zu den bestgeeigneten Standorten für CTA zählen.
Das SKA-Projekt ist nicht in der BMBF-Roadmap für Forschungsinfrastrukturen enthalten.
Die zu Verfügung stehenden Mittel für Forschungsinfrastrukturen werden auf die in der Roadmap priorisierten Projekte fokussiert. Voraussetzung dafür, dass ein Vorhaben auf diese Roadmap jetzt oder künftig aufgenommen wird, ist eine Bereitschaft der beteiligten Forschungsorganisationen, die anfallenden Betriebskosten zu übernehmen. Eine entsprechende Zusage konnte für SKA von diesen nicht in Aussicht gestellt werden.
Die Entscheidung zur Kündigung der deutschen Mitgliedschaft in der SKA-Organisation wurde zum jetzigen Zeitpunkt getroffen, um von deutscher Seite klare Rahmenbedingungen für die Verhandlungen der verbliebenen Partner über die Aufteilung der Kosten zu schaffen.
Die deutsche Wissenschaft kann weiter unter den Rahmenbedingungen, die SKA den Forschungseinrichtungen bietet, auf eigene Kosten an der Entwicklung und Umsetzung von SKA teilnehmen. Deutsche Unternehmen können sich im Rahmen der Ausschreibungen um Aufträge bewerben.
Stellungnahme der Forscher
Viele der am SKA-Projekt beteiligten Wissenschaftler befinden sich zurzeit auf der Tagung "Advancing Astrophysics with the Square Kilometre Array" im italienischen Giardini Naxos. Die SuW-Redaktion konnte dort drei führende SKA-Forscher aus Deutschland zur aktuellen Situation befragen. Michael Kramer (Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn), Dominik Schwarz (Universität Bielefeld) und Hans-Rainer Klöckner (MPI für Radioastronomie und Mitglied des europäischen Forschungsverbunds RadioNet) übermittelten uns gemeinsam ihre Antworten auf unsere Fragen:
Herr Kramer, Herr Schwarz und Herr Klöckner: Welche Verpflichtungen war Deutschland bisher beim SKA eingegangen?
Bislang hat Deutschland eine Million Euro Mitgliedsbeitrag an die SKA Organisation für insgesamt vier Jahre bezahlt. Das gibt Deutschland zwei Sitze auf dem Board der SKAO. Das BMBF und die Max-Planck-Gesellschaft teilen sich den Beitrag je zur Hälfte. Der Anteil der Max-Planck-Gesellschaft setzt sich wiederum aus Beiträgen verschiedener Institute und der Generalverwaltung zusammen. Hinzu kommen Sacheinlagen für das Design des Teleskops im Wert von etwa 2,8 Millionen Euro. Diese werden gestemmt von verschiedenen Universitäten, dem MPI für Radioastronomie und anderen Partnern aus der Industrie und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Wissen Sie, aus welchen Gründen sich Deutschland aus der Förderung des SKA zurückzieht?
Wir können momentan nur die Aussagen des BMBFs wiedergeben. Demnach zieht man sich aus der Förderung auf Grund eines finanziellen Engpasses im BMBF zurück. Es wurde nicht die wissenschaftliche Qualität des SKA in Frage gestellt. Die Entscheidung wurde sogar ohne Konsultation oder Information der wissenschaftlichen Community getroffen.
Könnte der Rückzug im Zusammenhang mit der Finanzierung anderer Großprojekte stehen, wie zum Beispiel dem European Extremely Large Telescope?
Internationalen Partnern wurde der Austritt mit finanziellen Engpässen erklärt, hervorgerufen durch die internationale Teilchenbeschleunigeranlage FAIR bei Darmstadt und durch den europäischen Röntgenlaser XFEL bei Hamburg.
Welche Auswirkungen erwarten Sie für das SKA-Projekt?
Die direkten Auswirkungen auf das Projekt werden wohl nicht sehr groß sein, da sich Deutschland nicht über die genannte Summe hinaus verpflichtet hat. Es ist jedoch zu befürchten, dass nicht alle Partner die Erklärung glaubhaft finden, dass nur finanzielle Aspekte eine Rolle spielen. Potenziell besteht damit eine Gefahr für das Projekt allgemein, was gerade für unsere afrikanischen Partner katastrophal wäre. Die internationale Community ist aber von dem Projekt so überzeugt, dass zu hoffen ist, dass das SKA auch ohne Deutschland gebaut wird. Leider bedeutet das aber starke negative Auswirkungen für die deutschen Wissenschaftler und die deutsche Industrie, die damit aus dem Projekt, der Entwicklung der Technologie, dem Bau und der Nutzung ausgeschlossen werden.
Wird Ihrer Meinung nach der Rückzug aus dem SKA Konsequenzen für das Ansehen der deutschen Astronomie im Ausland haben?
Da keine Konsultation stattgefunden hat, traf die Entscheidung die ausländischen Partner, insbesondere die afrikanischen und australischen, völlig unvorbereitet. Verhandlungen über einen möglichen Beitrag von Deutschland waren erst für 2015 geplant, so dass dieser Schritt Unverständnis hervorruft, da die Kosten für Deutschland noch nicht feststanden und Gegenstand von Verhandlungen sein sollte.
Wie steht es um konkret um die deutschen Institute, die sich wissenschaftlich am SKA beteiligen wollten?
Besonders hart trifft diese Entscheidung die Universitäten in Deutschland, die sich zusammen mit außeruniversitären Partnern gerade für den Synergieeffekt des SKAs in Bezug auf Astronomie über alle Wellenlängen und die Bedeutung für die Grundlagenphysik engagiert hatten sowie für die wichtigen Schlüsseltechnologien – Hochleistungsrechner, Signalverarbeitung und Umgang mit riesigen Datenmengen. Momentan stellt Deutschland die drittgrößte "Fraktion" in den SKA-Wissenschaftsfeldern, wie wir gerade jetzt wieder auf der Konferenz in Giardini Naxos sehen konnten. Diese große Community wird damit an der Ausführung ihrer Wissenschaft behindert, so dass langfristig Deutschland diese führende Stellung wird aufgeben müssen.
Können Sie auch die Folgen für die Wirtschaftsunternehmen benennen?
Laut der auch vom BMBF unterstützten "just retour"-Politik des SKA Boards bedeutet diese Entscheidung, dass sich die deutsche Industrie trotz ihrer enormen Expertise im Teleskopbau, im Transport und der Verarbeitung von digitalen Signalen, dem Hochleistungsrechnen oder aber Versorgung mit erneuerbarer Energie nicht um Aufträge bewerben kann. Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung von Technologien zum Datentransport: Das SKA wird einen Datenverkehr erzeugen, der den gesamten heutigen globalen Internetverkehr um einen Faktor 10 bis 100 übersteigt, so dass gerade diese Technologie zum Breitbandausbau in Deutschland verwendet werden könnte.
Sehen Sie eine Chance, dass sich Deutschland eine Option für den Wiedereinstieg offen hält?
Da wir bisher keinen Kontakt mit dem BMBF hatten, können wir hierzu leider keine Aussage machen.
Herr Kramer, Herr Schwarz und Herr Klöckner: Wir danken Ihnen für diese Stellungnahme!
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