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Seneszenz: Zombies töten, um jung zu bleiben

Zellen zu töten, die sich weigern, am Ende ihres Lebens einfach zu – das hat sich bei Mäusen als eine wirkungsvolle Antiaging-Strategie erwiesen, die auch in der Krebstherapie Anwendung finden könnte.
Weiße Maus

Die altersschwach aussehenden transgenen Mäuse, die Jan van Deursen im Jahr 2000 experimentell gezüchtet hatte, stellten den Wissenschaftler vor ein Rätsel. Statt dass sie wie erwartet Tumore entwickelten, plagte ein sonderbares Leiden die Tiere. Bereits im zarten Alter von drei Monaten begann das Fell der Mäuse schütter zu werden, und ihre Augen waren vom grauen Star getrübt. Erst nach jahrelanger Forschungsarbeit fand van Deursen schließlich die Ursache dieser Symptome heraus: Die Mäuse alterten unnatürlich schnell, da ihre Körper Unmengen einer seltsamen Art von Zellen enthielten, die sich zwar nicht mehr teilten, aber auch nicht starben.

Diese Beobachtung brachte van Deursen und seine Kollegen von der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, auf eine Idee: Ließe sich durch das Abtöten solcher »Zombiezellen« womöglich das vorzeitige Einsetzen des Alterungsprozesses bei den Mäusen aufhalten? Die Antwort lautete: Ja. In einer im Jahr 2011 veröffentlichten Studie kamen die Wissenschaftler um van Deursen zu dem Ergebnis, dass die Eliminierung dieser als »seneszent« bezeichneten Zellen viele Verheerungen des Alters verhindert. In rascher Folge berichteten daraufhin diverse Arbeitsgruppen von ganz ähnlichen Forschungsergebnissen, und zahlreiche Experimente der vergangenen sieben Jahre bestätigten den Befund, dass seneszente Zellen in alternden Organen akkumulieren und ihre Beseitigung eine abschwächende oder sogar vorbeugende Wirkung bei bestimmten Krankheiten hat.

Allein die 2017 durchgeführten Mäuseversuche zeigten, dass die Leistungsfähigkeit, die Felldichte und die Nierenfunktion wiederhergestellt werden, wenn gealterte Zellen entfernt werden. Bei Lungenerkrankungen verbessert das Verfahren das Krankheitsbild, zudem sorgt es für eine Heilung von Knorpelverletzungen. Und laut einer Studie aus dem Jahr 2016 erhöht die Eliminierung seneszenter Zellen wohl auch die Lebenserwartung normal alternder Mäuse.

»Durch simples Entfernen seneszenter Zellen könnte man die Bildung von neuem Gewebe stimulieren«, erklärt Jennifer Elisseeff von der Johns Hopkins University in Baltimore, die Erstautorin der Veröffentlichung zur Knorpelheilung. Dadurch würden einige der natürlichen Reparaturmechanismen des Zellgewebes wieder in Schwung gebracht, fügt die Wissenschaftlerin hinzu.

Wie Zellen untot werden | Schäden oder Krankheiten können bei Zellen den Übergang in das Seneszenzstadium bewirken. Noch immer versuchen Wissenschaftler herauszufinden, wie sich Zellen in diesem Zustand verhalten – und wie man sich ihrer entledigt.

Dieser Antiaging-Effekt gibt der Erforschung seneszenter Zellen – eines weit verbreiteten Zelltyps, der sich nicht mehr teilt und vor mehr als fünf Jahrzehnten erstmalig beschrieben wurde – eine unerwartete Wendung. Wenn eine Zelle in die Seneszenz übergeht, was fast alle Zelltypen können, dann hört sie auf, Kopien ihrer selbst herzustellen. Stattdessen schüttet sie Hunderte von Proteinen aus und lässt gegen den Zelltod wirkende Signalwege auf Hochtouren laufen. Eine seneszente Zelle hat ihren Lebensabend erreicht: Sie ist noch nicht ganz tot, teilt sich aber auch nicht mehr wie auf dem Gipfel ihres Lebens.

Biotechnologie- und Pharmaunternehmen möchten nun Senolytika testen – Wirkstoffe, die die gealterten Zellen eliminieren – in der Hoffnung, die verheerenden Folgen des Alters rückgängig zu machen oder ihnen zumindest vorzubeugen. Das im kalifornischen San Francisco ansässige Unternehmen Unity Biotechnology, zu dessen Gründern van Deursen gehört, plant in den nächsten zweieinhalb Jahren mehrere klinische Studien, in deren Rahmen an Arthrose sowie Augen- und Lungenerkrankungen leidende Patienten mit entsprechenden Medikamenten behandelt werden sollen.

James Kirkland, Gerontologe an der Mayo Clinic, der mit van Deursen im Jahr 2011 die erste Studie zur Eliminierung seneszenter Zellen durchführte, hat gerade in kleinem Umfang erste, vorsichtige Proof-of-Concept-Studien aufgenommen. Er will die Wirkung senolytischer Substanzen bei einer Reihe von Altersgebrechen nachweisen. »Ich habe schlaflose Nächte, denn bei Mäusen oder Ratten sieht immer alles so viel versprechend aus, doch sobald es an den Menschen geht, stößt man an eine Grenze«, konstatiert der Wissenschaftler.

Keinem anderen Antiaging-Elixier ist es bisher gelungen, diese Grenze zu überwinden – und dafür gibt es Gründe. Für klinische Studien, die sich mit einer Verlängerung der gesunden Lebenszeit befassen, werden nur in den seltensten Fällen Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Und auch der Begriff des Alterns an sich ist heikel. Die US Food and Drug Administration, die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde, definiert den Alterungsprozess beispielsweise nicht als ein behandlungsbedürftiges Leiden.

Sollte sich jedoch bei einigen klinischen Erprobungen »auch nur der Hauch einer Wirksamkeit beim Menschen« zeigen, wie es Ned David, der Vorsitzende von Unity Biotechnology, formuliert, werde dies einen starken Anstoß zur Entwicklung von Behandlungsmethoden und für ein besseres Verständnis der grundlegenden Prozesse des Alterns geben. Andere Forscher auf diesem Gebiet verfolgen die aktuellen Geschehnisse mit Interesse. Senolytika seien absolut bereit für den Einsatz in klinischen Studien, versichert Nir Barzilai, Direktor des Institute for Aging Research am Albert Einstein College of Medicine in New York City. »Ich glaube, Senolytika könnten schon bald als Medikamente auf den Markt kommen und bei älteren Menschen viel versprechende Wirkung zeigen – vielleicht sogar schon in den nächsten Jahren.«

Die dunkle Seite

Als die Mikrobiologen Leonard Hayflick und Paul Moorhead 1961 den Begriff der Seneszenz prägten, wollten sie damit das Altern auf zellulärer Ebene beschreiben. Damals beschäftigten sich jedoch nur sehr wenige Wissenschaftler mit der Untersuchung von Alterungsprozessen, und Hayflick erinnert sich, dass ihn manche auf Grund seiner Beobachtungen als einen Idioten bezeichneten. Dem Konzept der Seneszenz wurde jahrzehntelang keinerlei wissenschaftliche Beachtung geschenkt.

Selbst wenn viele Zellen aus eigenem Antrieb sterben, besitzen alle teilungsfähigen somatischen Zellen (also sämtliche Körperzellen mit Ausnahme der Keimzellen) die Fähigkeit, in das Seneszenzstadium überzugehen. Lange Zeit habe man die greisen Zellen nur als eine Kuriosität betrachtet, berichtet Manuel Serrano vom Institut de Recerca Biomèdica in Barcelona, Spanien, der sich seit mehr als 25 Jahren mit der Erforschung der Seneszenz beschäftigt. »Wir waren uns nicht sicher, ob die Zellen irgendeine wichtige Funktion erfüllten.« Denn obwohl seneszente Zellen ihre Teilungsfähigkeit aus eigenem Antrieb außer Kraft setzen, bleiben sie metabolisch aktiv und erfüllen häufig auch weiterhin grundlegende zelluläre Funktionen.

»Es gibt nicht ein einziges eindeutiges Merkmal einer seneszenten Zelle. Nichts. Punkt!«
Judith Campisi

Bis zum Jahr 2005 verstand man die Seneszenz im Wesentlichen als eine Möglichkeit, das Wachstum geschädigter Zellen zu stoppen, um die Bildung von Tumoren zu unterdrücken. Heutzutage suchen Forscher Antworten auf die Frage, wie Seneszenz eigentlich im Verlauf der natürlichen Entwicklung und bei Erkrankungen entsteht. Ein bekanntes Phänomen ist die Tatsache, dass mutierte oder verletzte Zellen häufig ihre Teilung einstellen, um eine Weitergabe der Schädigung an ihre Tochterzellen zu verhindern. Zudem wurde das Vorkommen seneszenter Zellen sowohl in der Plazenta als auch im Embryo nachgewiesen; dort steuern sie offenbar die Bildung temporärer Strukturen, bevor sie von anderen Zellen eliminiert werden.

Doch es dauerte nicht lang, bis die Wissenschaftler auch die »dunkle Seite« der Seneszenz, wie sie die Molekularbiologin Judith Campisi nennt, entdeckten. Im Jahr 2008 fanden gleich drei Forschergruppen, unter ihnen auch Campisi und ihre Mitarbeiter am Buck Institute for Research on Aging in Novato, Kalifornien, heraus, dass seneszente Zellen eine Fülle von Molekülen freisetzen, darunter auch Zytokine, Wachstumsfaktoren und Proteasen, die die Funktionen benachbarter Zellen beeinflussen und lokale Entzündungsreaktionen auslösen. Diese Zellaktivität bezeichneten Campisi und ihre Kollegen als den Seneszenz Assoziierten Sekretorischen Phänotyp (SASP). In neueren Untersuchungen identifizierten die Wissenschaftler Hunderte von Proteinen, die an dem SASP beteiligt sind.

In jungem und gesundem Gewebe sei die Sekretion dieser Proteine höchstwahrscheinlich Bestandteil eines Wiederherstellungsprozesses, mit dessen Hilfe geschädigte Zellen in benachbartem Gewebe Reparaturvorgänge anregten, folgert Manuel Serrano – gleichzeitig senden sie auch ein Notsignal aus, das das Immunsystem veranlasse, sie zu eliminieren. Doch irgendwann kommt es schließlich zu einer Akkumulation der seneszenten Zellen, und dieser Prozess geht unweigerlich mit krankhaften Veränderungen einher, beispielsweise Arthrose (einer chronischen Entzündung der Gelenke) oder Arteriosklerose (einer Verhärtung und Verengung der Arterien). Niemand weiß so recht, wann oder warum dies eigentlich geschieht – vermutlich reagiert das Immunsystem mit der Zeit einfach nicht mehr auf die Signale der gealterten Zellen.

Überraschenderweise bestehen zwischen den seneszenten Zellen der einzelnen Gewebe geringfügige Unterschiede. Sie sezernieren verschiedene Zytokine, exprimieren andersartige extrazelluläre Proteine und wenden unterschiedliche Taktiken an, um dem Zelltod zu entkommen. Diese enorme Vielfalt macht das Aufspüren und Sichtbarmachen der greisen Zellen in der praktischen Laborarbeit zu einer echten Herausforderung. »Es gibt nicht ein einziges eindeutiges Merkmal einer seneszenten Zelle. Nichts. Punkt«, erklärt Campisi nachdrücklich.

Tatsächlich scheint selbst das Hauptmerkmal seneszenter Zellen – das Unvermögen, sich zu teilen  – nicht für immer in Stein gemeißelt. Nach einer Chemotherapie beispielsweise dauere es bis zu zwei Wochen, bis die Zellen in das Seneszenzstadium übergingen, irgendwann danach aber können sie sich durchaus auch wieder in proliferierende Krebszellen zurückverwandeln, unterstreicht Hayley McDaid, Pharmakologin am Albert Einstein College of Medicine in New York City. Diese Beobachtung ergänzte 2017 ein Forscherverbund zahlreicher Wissenschaftler mit Studien an Mausmodellen für Haut- und Brustkrebs: Sie schlussfolgerten, dass eine Krebserkrankung dann gestoppt werden kann, wenn seneszente Zellen direkt nach einer Chemotherapie eliminiert werden.

Seneszenz bei Krebs – ein zweischneidiges Schwert

Geschädigte oder gestresste Zellen fallen oft in einen Schneewitchenschlaf, der verhindern soll, dass sie sich weiter teilen und damit eventuell Erkrankungen wie Krebs auslösen. So schützt das zelluläre Seneszenzprogramm unseren Körper vor bösartigen Tumoren, bevor diese entstehen können.

Auch Krebszellen können in die Seneszenz gedrängt werden, unter anderem durch Chemotherapien. Bisher wurde dies oft als therapeutischer Erfolg gewertet, weil die schlafenden Zellen aufhören, sich zu teilen, und normalerweise nicht mehr aus ihrem Schlummer erwachen. Doch der Ruhemodus hat Schattenseiten: Seneszente Zellen produzieren eine Vielzahl von Proteinen, die sie in ihre Umwelt entlassen. Unter ihnen befinden sich Wachstumsfaktoren, die Krebszellen in ihrer Nähe dazu veranlassen können, sich noch mehr zu teilen und einen aggressiven Tumor zu bilden. Eine 2017 veröffentlichte Studie zeigte zudem, dass manche schlummernden Krebszellen als gefährliche Zombies wiederauferstehen können um neue, besonders aggressive Tumore zu bilden.

Eine vollständig Bestandsaufnahme aller seneszenten Zellen ist sehr schwierig zu bekommen, weil den Zellen universelle Eigenschaften abgehen: Die Forscher müssten ein breites Spektrum molekularer Marker einsetzen, um sie in allen Geweben aufzuspüren, was die Aufgabe mühsam und kostspielig gestaltet, erläutert van Deursen. Ein genereller Seneszenzmarker könnte die Arbeit enorm vereinfachen, doch den Wissenschaftlern ist weder ein spezifisches Protein bekannt, das sie markieren könnten, noch ein Prozess, anhand dessen sich die Seneszenz eindeutig nachweisen ließe.

»Ich würde mein Geld darauf setzen, dass wir niemals einen seneszenzspezifischen Marker finden werden«, fügt Campisi hinzu. »Darauf würde ich tatsächlich auch eine Flasche guten Weins verwetten.« Allen Schwierigkeiten zum Trotz hat eine Gruppe von Wissenschaftlern zu Beginn dieses Jahres eine Methode zur Zählung seneszenter Zellen in Geweben entwickelt. Durch gezielte Färbung molekularer Seneszenzmarker in Geweben und anschließender Bildauswertung gelang es Valery Krizhanovsky und seinen Kollegen vom Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rehovot, Israel, die Zahl der seneszenten Zellen in Tumoren und gealterten Geweben von Mäusen zu bestimmen. »Es gab doch mehr von diesen Zellen, als ich erwartet hatte«, stellt Krizhanovsky fest. Während bei jungen Mäusen höchstens ein Prozent der Zellen aller untersuchten Organe seneszent waren, betrug der Anteil der gealterten Zellen in einigen Organen zweijähriger Mäuse bis zu 20 Prozent.

Hinaus mit den Alten

Dennoch haben diese schwer fassbaren, greisen Zellen auch ihre gute Seite: Sie mögen zwar schwer zu finden sein, lassen sich jedoch auf einfache Weise beseitigen. Im November 2011 vertrieb sich Ned David auf einem dreistündigen Flug die Zeit mit der Lektüre der gerade erschienenen Veröffentlichung van Deursens und Kirklands, in der die Wissenschaftler die Effekte der Eliminierung der Zombiezellen beschrieben. Der Vorsitzende von Unity Biotechnology las die Publikation ein zweites und sogar ein drittes Mal. Die Idee »war so einfach und schön«, erinnert sich David, »sie war geradezu poetisch.« Unmittelbar nach der Landung telefonierte der Biotechnologie-Multiunternehmer mit van Deursen und hatte diesen innerhalb von 72 Stunden davon überzeugt, sich bei einem Treffen über die Gründung eines Antiaging-Unternehmens zu beraten.

Als Erstes versuchte Kirkland daraufhin in Zusammenarbeit mit Forschern des Sanford Burnham Medical Research Institute in La Jolla, Kalifornien, mit Hilfe eines Hochdurchsatzscreenings möglichst rasch eine Verbindung zu identifizieren, die seneszente Zellen abtötete. Doch schon bald habe es sich als eine wahre »Herkulesaufgabe« herausgestellt, zu unterscheiden, ob ein Medikament auf sich teilende oder sich nicht mehr teilende Zellen wirke, erzählt Kirkland rückblickend. Nach diversen Fehlschlägen entschied sich der Wissenschaftler, einen anderen Weg einzuschlagen.

Um in ihrem »untoten« Zustand überleben zu können, sind seneszente Zellen auf bestimmte Schutzmechanismen angewiesen. Daher machte sich Kirkland gemeinsam mit Laura Niedernhofer und weiteren Wissenschaftlern des Scripps Research Institute in Jupiter, Florida, daran, diese Mechanismen aufzuspüren. Es gelang den Forschern, sechs Signalwege zur Verhinderung des Zelltods ausfindig zu machen, die seneszente Zellen für ihr Überleben aktivieren.

Jetzt ging es nur noch darum, Verbindungen zu finden, die diese Signalwege blockieren. Anfang des Jahres 2015 hatte das Forscherteam schließlich die ersten Senolytika identifiziert: Dasatinib, ein von der amerikanischen Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA zugelassenes Chemotherapeutikum, das seneszente Vorläufer von Fettzellen beim Menschen eliminiert, und Quercetin, ein aus Pflanzen gewonnenes Nahrungsergänzungsmittel, das sich neben anderen Zelltypen auch gegen gealterte menschliche Endothelzellen richtet. Beide Substanzen, die in Kombination sogar noch besser wirken als einzeln verabreicht, konnten bei Mäusen eine Vielzahl altersbedingter Erkrankungen lindern.

Zehn Monate später entdeckte Daohong Zhou von der University of Arkansas for Medical Sciences in Little Rock zusammen mit seinen Kollegen eine senolytische Verbindung, die mittlerweile unter den Namen Navitoclax bekannt ist. Dieser Wirkstoff inhibiert zwei Proteine der Bcl‑2-Familie, die normalerweise das Überleben von Zellen fördern. Wenige Wochen darauf berichteten auch die Arbeitsgruppen um Kirkland und Krizhanovsky von ähnlichen Ergebnissen.

Inzwischen sind 14 senolytische Substanzen beschrieben worden, darunter auch kleinere Moleküle, Antikörper sowie seit März 2017 ein Peptid, das einen zum Zelltod führenden Signalweg aktiviert und alternden Mäusen wieder zu einem glänzenden Fell und einer gesteigerten körperlichen Fitness verhilft.

Bislang macht jedes Senolytikum allerdings nur eine bestimmte Sorte von greisen Zellen unschädlich – man bräuchte also eine Reihe unterschiedlicher senolytischer Substanzen, um den verschiedenen Alterskrankheiten entgegenzuwirken. »Und das ist die große Schwierigkeit. Jede seneszente Zelle bedient sich anscheinend eines anderen Schutzmechanismus, und deshalb müssen wir Wirkstoffkombinationen finden, die in der Lage sind, sie alle auszulöschen«, macht Niedernhofer deutlich. Bei Unity Biotechnology wurde bereits ein großer Atlas angelegt, in dem die Forscher festhalten, welche seneszenten Zellen mit welcher Art von Erkrankung zusammenhängen, ob es Schwachstellen bestimmter Zellarten gibt, wie man diese eventuell ausnutzen könnte und wie – unter Berücksichtigung der chemischen Zusammenhänge – das richtige Medikament für ein bestimmtes Gewebe entwickelt werden kann. Zweifellos müssten für verschiedenartige Indikationen auch unterschiedliche Wirkstoffe hergestellt werden, räumt Davis ein. "In einer perfekten Welt wäre dies nicht nötig, doch leider ist die Biologie nun mal nicht so."

Trotz all dieser Herausforderungen haben senolytische Wirkstoffe aber auch einige positive Eigenschaften. Um eine Erkrankung zu verhindern oder hinauszuzögern, müssten die gealterten Zellen nur von Zeit zu Zeit – vielleicht einmal pro Jahr – beseitigt werden, und das Medikament wäre demnach nur für kurze Zeit im Körper wirksam. Diese »überfallartige« Verabreichung könnte die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nebenwirkungen minimieren und hätte zudem den Vorteil, dass Patienten das Medikament einnehmen können, wenn sie bei guter Gesundheit sind. Die Wissenschaftler von Unity Biotechnology planen eine direkte Injektion der senolytischen Substanzen in das betroffene Gewebe, etwa in das Kniegelenk von Arthrosepatienten oder in den Glaskörper des Auges bei Personen, die an altersbedingter Makuladegeneration leiden.

Im Gegensatz zu einer Krebserkrankung, bei der eine einzige übrig gebliebene Zelle ein erneutes Tumorwachstum auslösen kann, ist es bei den seneszenten Zellen auch nicht erforderlich, sie vollständig aus einem Gewebe zu entfernen. Untersuchungen an Mäusen zeigen, dass bereits das Abtöten eines Großteils der greisen Zellen ausreicht, um einen Effekt zu erzielen. Und zu guter Letzt beseitigen Senolytika nur die bereits vorhandenen gealterten Zellen; die Neubildung Letzterer wird also durch die Wirkstoffe nicht beeinträchtigt, und die Seneszenz kann folglich auch weiterhin ihre ursprüngliche, tumorunterdrückende Funktion im Körper wahrnehmen.

»Wir kennen nichts, aber auch rein gar nichts, das erwiesenermaßen das Altern beeinflusst«
Leonard Hayflick

Aber auch die vielfältigen Vorzüge der Senolytika konnten noch nicht alle Beteiligten von der außerordentlichen Wirkungskraft dieser Substanzen überzeugen. Fast 60 Jahre nach seiner Entdeckung des Seneszenzphänomens ist Hayflick heute der Ansicht, dass das Altern einen unaufhaltsamen biophysikalischen Prozess darstellt, der sich nicht durch die Eliminierung seneszenter Zellen modifizieren lässt. »Seit jeher hat es in der Menschheitsgeschichte Bestrebungen gegeben, in den Alterungsprozess einzugreifen«, so Hayflick. »Doch wir kennen nichts, aber auch rein gar nichts, das erwiesenermaßen das Altern beeinflusst.«

Die Anhänger der senolytischen Wirkstoffe sind dagegen weitaus optimistischer, nicht zuletzt dank der jüngsten Forschungsergebnisse. Nach den Untersuchungen an unnatürlich schnell alternden Mäusen ging van Deursens Forscherteam im Jahr 2016 noch einen Schritt weiter und zeigte in Experimenten mit normal alternden Mäusen, dass das Abtöten seneszenter Zellen die altersbedingte Schädigung von Organen, darunter auch Herz und Nieren, verzögerte. Und zur großen Freude der Antiaging-Enthusiasten konnte in diesem Zusammenhang auch die mediane Lebenserwartung der Tiere um etwa 25 Prozent gesteigert werden.

Die viel versprechenden Resultate der Mäuseexperimente hätten bereits bei sieben oder acht Unternehmen das Interesse an diesem Forschungszweig geweckt, schätzt Kirkland. An der Mayo Clinic wurde zudem eine klinische Studie gestartet, bei der an chronischen Nierenerkrankungen leidende Patienten mit einer Kombination aus Dasatinib und Quercetin behandelt werden sollen. Zudem möchte Kirkland auch die Wirkung anderer senolytischer Substanzen auf verschiedene, mit dem Alter assoziierte Erkrankungen prüfen. »Wir wollen mehr als nur einen Satz von Senolytika in unseren Studien einsetzen und ihren Effekt auf diverse Krankheiten näher beleuchten«, ergänzt der Wissenschaftler.

Sollte die Beseitigung seneszenter Zellen beim Menschen tatsächlich zu einer Linderung altersbedingter Leiden führen, würden Forscher als Nächstes die Entwicklung umfassender Antiaging-Therapien in Angriff nehmen, erklärt Davis. Allerdings sollte niemand diese Medikamente einnehmen, bevor nicht die entsprechenden Unbedenklichkeitsuntersuchungen an Menschen abgeschlossen seien, so die ausdrückliche Warnung der beteiligten Wissenschaftler. Bei Nagetieren führen senolytische Substanzen nämlich zu einer verzögerten Wundheilung, und es könnten eventuell weitere Nebenwirkungen auftreten. »Es ist einfach zu gefährlich«, betont Kirkland.

Nach Ansicht van Deursens würde die weitere Suche nach Antworten auf grundlegende biologische Fragen die besten Chancen auf einen Erfolg in diesem Forschungsfeld versprechen. »Denn nur dann können wir verstehen, was Altern wirklich ist und wie wir auf intelligente Art und Weise in diesen Prozess eingreifen können.«


Der Artikel ist unter dem Originaltitel "To stay young, kill zombie cells" in "Nature" erschienen.

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