Form des Elektrons: Zu rund für die Supersymmetrie
Dass ihre Theorie über die Bausteine des Universums einige entscheidende Lücken aufweist – darauf können sich die Physiker dieser Tage vielleicht noch einigen. Doch leider haben alle Versuche, über das Bekannte hinauszugehen, nichts als bittere Enttäuschungen gebracht, so nun auch die bislang präziseste Vermessung der Form des Elektrons.
Statt die erhofften Hinweise auf eine "neue Physik" zu liefern, schließen die Ergebnisse sogar eine Reihe von alternativen Ansätzen explizit aus – wie zum Beispiel die Supersymmetrie in einigen ihren Versionen. Dabei galt diese Theorie als größter und beliebtester Hoffnungsträger in Forscherkreisen.
Ausgangspunkt des Experiments war die Suche nach dem so genannten elektrischen Dipolmoment im Elektron. Bekanntes Beispiel für einen solchen Dipol ist ein hantelförmiger Stabmagnet mit Nord- und Südpol. Laut der herkömmlichen Sicht sind Elektronen kugelförmig, hätten sie hingegen ein Dipolmoment, wären sie leicht plattgedrückt. "Es läuft auf folgende Frage hinaus: Sieht das Elektron von allen Seiten gleich aus?", erklärt der Physiker John Hudson vom Imperial College in London. "Mit dem Begriff 'Dipolmoment' können Physiker im Prinzip ausdrücken, ob eine Sache symmetrisch ist oder nicht."
Das Standardmodell der Teilchenphysik, das alle bekannten Teilchen im Universum beschreibt, sagt für das Elektron ein Dipolmoment von nahezu null voraus. Anders jedoch die erweiterten Theorien, in denen zusätzliche, noch zu entdeckende Teilchen einbezogen werden. Dort hat das Elektron ein deutlich größeres Dipolmoment – dem Physiker seit nunmehr 50 Jahren erfolglos auf der Spur sind.
Aktuell hat ein Forschungsverbund namens ACME unter der Leitung von David DeMille von der Yale University und John Doyle und Gerald Gabrielse von der Harvard University die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchung veröffentlicht, für die sie das Elektron mit noch einmal zehnfach größerer Genauigkeit als frühere Experimente vermessen haben. Ein elektrisches Dipolmoment konnten sie trotz allem nicht dingfest machen: Das Elektron ist auf 0,00000000000000000000000000001 Zentimeter genau kugelförmig. Dieses Ergebnis haben sie nun in einem Artikel auf dem Preprint-Server arXiv veröffentlicht.
"Warum zum Teufel ist es immer noch null?"Ed Hinds
"Es ist eine Überraschung", sagt Ed Hinds, der ebenfalls am Imperial College forscht und gemeinsam mit Hudson an der bisherigen Rekordmessung aus dem Jahr 2011 mitwirkte. "Warum zum Teufel ist es immer noch null?"
Bei den Experimenten dringen die Forscher tief in die Quantennatur des Elektrons vor. Laut dieser Theorie sollten alle Teilchen, inklusive des Elektrons, um sich herum eine Wolke erzeugen, die aus virtuellen Teilchen besteht, also Teilchen, die kontinuierlich entstehen und vergehen – hundsgewöhnliche Teilchen, wenn das Standardmodell das letzte Wort hätte. Trifft hingegen eine der erweiterten Theorien zu, wäre die Wolke von deutlich exotischeren Teilchen bevölkert. Das wiederum würde sie asymmetrisch machen. Mit anderen Worten: Das Elektron hätte ein Dipolmoment.
Kein Eiern in Sicht
Auf der Suche danach lassen die Wissenschaftler Elektronen um ihre Achse rotieren. Ein Elektron so rund wie eine Billardkugel würde sich gleichmäßig drehen. Wäre es auf Grund des Dipolmoments oval, würde es hingegen eiern. Die ACME-Forscher betrachteten daher Elektronen in Thoriummonoxidmolekülen, in denen das Wackeln wegen der großen Masse des Moleküls und anderer Eigenschaften besonders auffällig wäre.
"Dass sie dieses Molekül ausgewählt haben, war sehr clever", sagt Hudson, der für sein eigenes Experiment eine Substanz namens Terbiumfluorid gewählt hat. "Ich bin ein bisschen neidisch, dass ich da nicht selbst draufgekommen bin." Bei früheren Versuchen hatten Physiker noch nach demselben Effekt in Einzelmolekülen gesucht, was sich als deutlich schwieriger erwies.
Sorgfältige Messungen mit Hilfe der Mikrowellen-Spektroskopie sollten den ACME-Forschern jetzt verraten, ob ein Wackeln auftritt oder nicht. Gleichzeitig gaben sie sich allergrößte Mühe, ihre Versuchsanordnung gegenüber magnetischen Feldern abzuschirmen, die, wie eine Anzahl anderer Störquellen auch, einen systematischen Fehler verursachen können.
"Das ist nicht ganz einfach, weil es jede Menge Faktoren gibt, die einen ähnlichen Effekt wie den gesuchten vortäuschen. Das Dipolmoment wäre ja verschwindend gering", sagt Ben Sauer, auch er Mitglied des Teams vom Imperial College.
Die nun veröffentlichten Ergebnisse bedeuten einen schweren Schlag für viele Theorien der "neuen Physik", darunter vor allem die Supersymmetrie. Dieser in Forscherkreisen besonders beachteten Theorie liegt die Auffassung zugrunde, dass es zu jeder Art von bekannten Teilchen im Universum einen supersymmetrischen Zwilling gibt, den es noch zu entdecken gilt. "Die Supersymmetrie ist so elegant und wirkt so stimmig, dass immer mehr Leute überzeugt waren, dass sie stimmt", meint Hinds.
"Wir sind bald an dem Punkt, an dem es für die Supersymmetrie Spitze auf Knopf steht"John Hudson
Nur, wenn diese Partnerteilchen existieren, müssten sie auch als virtuelles Phantom in der Wolke um die Elektronen auftauchen und ihr so ein messbares Dipolmoment verleihen. Das ein solches immer noch nicht gefunden wurde, hat die Supersymmetrie nun gehörig in die Ecke gedrängt. "Wir sind bald an dem Punkt, an dem es für die Supersymmetrie Spitze auf Knopf steht", sagt Hudson.
Für einige der einfacheren Varianten dieser Theorie sieht es angesichts der ACME-Resultate nun tatsächlich schwarz aus. Das gilt jedoch nicht zwangsläufig für komplexere Versionen, die ein Dipolmoment noch unterhalb der derzeitigen Nachweisgrenze vorhersagen.
Hoffnung auf den LHC
"Man kann beliebig viele supersymmetrische Modelle machen", sagt Eugene Commins, emeritierter Physikprofessor an der University of California in Berkeley. Er leitet das bislang letzte Experiment, bei dem in Einzelatomen nach dem Dipolmoment gesucht wurde. "Ein guter Theoretiker kann sich innerhalb von einer halben Stunde ein neues Modell ausdenken, und den Experimentator kostet es dann 20 Jahre, es wieder abzuschießen."
Die Suche nach supersymmetrischen Teilchen ist auch eins der erklärten Ziele des Genfer LHC, in dessen Beschleunigerring Protonen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit aufeinandergeschossen werden. Er dringt dazu in Energien in der Größenordnung von Teraelektronvolt (TeV) vor und liegt damit genau in dem Bereich, in dem Theoretiker supersymmetrische Teilchen vorhergesagt haben.
Bislang aber blieb die Suche erfolglos, sieht man einmal vom Higgs-Boson ab, dem letzten noch fehlenden Baustein der Standardtheorie. Darüber hinausgehende Teilchen wurden nicht entdeckt.
"Sollte es eine neue Physik in dem Energiebereich geben, in dem der LHC Messungen vornimmt, dann würde man allerdings erwarten, dass die Teilchen ein Dipolmoment hervorrufen, das deutlich über der Grenze liegt, die wir heute messen können", sagt Hinds. "Das Ergebnis, das wir jetzt haben, macht es sehr unwahrscheinlich, dass uns irgendetwas Spannendes im TeV-Bereich erwartet."
Für die verschiedenen Elektronenforschergruppen ist das allerdings kein Hinderungsgrund, die Nachweisgrenze des Dipolmoments immer weiter nach unten zu treiben – in der Hoffnung, dass irgendwann doch noch ein Signal auftaucht. Gespannt darf man auch sein, mit welchen Ergebnissen sich der LHC im kommenden Jahr aus seiner Pause zurückmeldet. Dann wird er bei höheren Energien laufen als je zuvor.
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