Übertraining: Zu viel Sport macht impulsiv
Ausdauersport zu treiben, hält fit. Zu viel davon kann allerdings das Gegenteil bewirken – zumindest im Hirn. Ein Forscherteam um Bastien Blain und Mathias Pessiglione von den Sorbonne Universités und dem Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research in London hat herausgefunden, dass zu viel Sport die Aktivität einer bestimmten Gehirnregion herunterfährt. Das führe zur selben Art von Ermüdung wie bei Menschen, die zu viel geistige Arbeit leisten – und zu unüberlegten Entscheidungen, schreibt das Team nun in der Fachzeitschrift »Current Biology«.
Um weiterzulaufen, obwohl die Muskeln brennen oder die Wade schmerzt, braucht man eine Menge Selbstbeherrschung – kognitive Kontrolle, wie das Team um Blain und Pessiglione es nennt. Dank ihr können Menschen ihr Verhalten so steuern, dass sie langfristige Ziele erreichen. Zum Beispiel die Ziellinie eines Marathons. Oder zu Gunsten eines höheren, aber später ausgezahlten Geldbetrags auf eine sofortige Belohnung zu verzichten.
Die 19 männlichen Triathleten, deren Trainingspensum die Forschergruppe für drei Wochen um 40 Prozent erhöhte, entschieden sich häufiger für das schnelle Geld als Kontrollpersonen, die ihr gewöhnliches Pensum an Radfahren, Schwimmen und Laufen absolvierten (das bedeutete hier etwa zehn Stunden pro Woche). Daraus schließt das Forscherteam, dass ein Übermaß an Sport Menschen impulsiver reagieren lässt. Alle 37 Männer im Alter von durchschnittlich 35 Jahren, die an der Studie teilnahmen, erhielten eine fixe Vergütung von 400 Euro. In Verhaltenstests, die die Forscher am Ende der dreiwöchigen Trainingsphase mit ihnen durchführten, entschieden die Sportler dann selbst, wie viel sie zusätzlich verdienen wollten. Dazu wurden ihnen zwei unterschiedliche Beträge – und wann sie diese bekämen – auf einem Bildschirm eingeblendet. Binnen fünf Sekunden mussten sich die Teilnehmer entscheiden.
Diese Aufgabe reihte sich ans Ende eines Testblocks, in welchem die Athleten Buchstaben erkennen und dabei beispielsweise zwischen Vokalen und Konsonanten unterscheiden mussten. Auf die Erfüllung dieser Denkaufgaben hatte der viele Sport offenbar keinen Einfluss: Die Probanden schnitten etwa gleich gut ab wie vor dem dreiwöchigen Intensivtraining. Für Fragen, die sich eindeutig beantworten lassen, hat also offenbar auch ein müdes Hirn noch genügend Kapazitäten.
Während des Denksports beobachteten die Forscher außerdem mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT), was im Gehirn der Triathleten vor sich ging. Dabei fiel ihnen auf, dass der so genannte laterale präfrontale Kortex – jene Region, die für die situationsangemessene Steuerung unserer Handlungen und die Kontrolle über unsere Gefühle zuständig ist – bei den »Übertreibern« weniger aktiv war als bei den normal Trainierenden. Einen ähnlichen Ermüdungseffekt hatte das Forscherteam zuvor bei Menschen beobachtet, die den ganzen Tag geistiger Arbeit nachgegangen waren.
Die übertrainierten Probanden fühlten sich zudem deutlich erschöpfter und schnitten bei einem Fahrradergometer-Test schlechter ab. Aus seinen Ergebnissen schließt das Team, dass körperliche Überanstrengung zur selben Art von Erschöpfung führen kann wie intellektuelle Überforderung. Dieses Phänomen – auch unter dem Begriff Übertrainingssyndrom bekannt – tritt nicht nur bei Leistungs-, sondern auch bei Freizeitsportlern auf. Dabei fühlen sich passionierte Sportler plötzlich ausgebrannt und büßen nahezu all ihre Leistungsfähigkeit ein.
Pessiglione hält fest: »Wenn das Hirn in einem müden Zustand ist, fällt man andere Entscheidungen.« So neigt jemand, der es mit dem Sport übertreibt, vielleicht eher dazu, sich spontan zu überschätzen, und setzt sich damit unnötigen Gefahren aus. Auf der anderen Seite ließe sich durch den Verlust an kognitiver Kontrolle auch erklären, warum übertrainierte Sportler leichte Müdigkeit oder Schmerzen nicht mehr wegstecken, sondern eher aufgeben, meint das Forscherteam. Das mag mitunter klüger sein. Instinktiv getroffene Entscheidungen können jedoch auch falsch sein. So sind übertrainierte Sportler laut Blain und seinen Kollegen etwa anfälliger für Doping, das zwar eine kurzfristige Leistungsverbesserung, aber nachteilige Langzeitfolgen mit sich bringt.
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