Zukunft der Meere: Müssen wir bald Quallenburger essen?
Herr Professor Pörtner, was bedeutet der Klimawandel für die Ökosysteme in den Weltozeanen?
Hans-Otto Pörtner: Wir beobachten jetzt schon, dass alle Organismen über alle Gruppen hinweg ihre eigentlichen Lebensräume verlassen und den sich verändernden Temperaturen im Ozean folgen. Das passiert in Abhängigkeit von Region und Tiergruppe mit Geschwindigkeiten von 10 bis 20 Kilometern bis hin zu hunderten Kilometern pro Jahrzehnt. Diese Wanderungen laufen nicht völlig parallel, sondern die Organismen in den Ozeanen durchmischen sich. Wir erwarten durch dieses Durcheinander in den Ozeanen auch eine Auswirkung auf die Artenvielfalt und die Produktivität der Ökosysteme.
Und dann gibt es eben den Trend zur Erwärmung in den polnahen Regionen, vor allem in der Arktis. Die Eisbedeckung nimmt ab, und der zunehmende Lichteintrag regt die Produktivität in die hohen Breiten hinein an. Das passt zu der Beobachtung, dass die Organismen polwärts wandern. Leider betrifft das auch die für die Fischerei wichtigen Arten in den niederen Breiten.
Dazu kommt noch, dass durch die stärkere Schichtung der Meere die großen Meeresgebiete der niedrigen Breiten an Nährstoffen verarmen. Die Nährstoffe regen das Algenwachstum an, und die Algen sinken in tiefere Wasserschichten unter die Sprungschicht. Von dort kommen diese Nährstoffe eben nicht mehr so schnell an die Oberfläche, um da neuen Organismen zur Verfügung zu stehen. Auf diese Weise gibt es im Ozean eine gewisse Wüstenbildung, eine Nährstoffverknappung an der Oberfläche.
Der Artenreichtum dort wird durch diese Faktoren mit zunehmender Erwärmung wohl abnehmen. Dass sich die Produktivität mehr in die hohen Breiten hinein verlagert, bedeutet besonders für die weniger entwickelten Länder in den niedrigeren Breiten mögliche Schwierigkeiten mit der Ernährung aus dem Meer.
Die Biodiversität nimmt in den höheren Breiten zu, in den niedrigen ab. Gleichen sich die Effekte aus?
Nein, das ist kein Nullsummenspiel. Auf Grund der Umbrüche vor Ort rechnet man eigentlich damit, dass die Biodiversität insgesamt abnehmen wird. Um wie viel, muss man noch erforschen. Da geht die grundsätzliche Prognose sicher in die richtige Richtung, aber genaue Zahlen kann man noch nicht angeben. Bei der Fischerei zum Beispiel heißt es, bis Mitte des Jahrhunderts wird man 20 Prozent der Fischbestände durch den Klimawandel verlieren. Aber auch das lässt sich nicht genau beziffern, allein weil wir gleichzeitig einen Trend zur Überfischung haben.
Wenn Sie sich überlegen, dass die Bestände der räuberischen Fischarten, die wir gerne essen – Lachs, Tunfisch und Co. – bereits um 70 Prozent eingebrochen sind, dann können Sie sich vorstellen, dass da rund um den Klimawandel verschiedene Faktoren zusammenkommen. Solche zusätzlichen Einflüsse lassen Auswirkungen erwarten, die über die reinen Folgen des Klimawandels hinausgehen.
Das heißt, für die Fischerei ist Klimaschutz nicht genug, sondern man muss zum Beispiel auch Schutzgebiete aggressiv durchsetzen?
Das ist richtig. Die Schutzgebiete sind sicherlich eine Maßnahme, mit der wir Zeit kaufen können. Man kann Schutzgebiete anlegen und dort auch gesunde Bestände über einen gewissen Zeitraum sichern. Man muss sich aber dessen bewusst sein, dass ein Schutzgebiet für eine bestimmte Art morgen vielleicht kein Schutzgebiet mehr ist, weil die Art den steigenden Temperaturen in eine andere Region gefolgt ist. Ambitionierter Klimaschutz ist eigentlich Anfang und Ende von allem.
Der Klimawandel ist zum Beispiel auch ein großes Problem für die Warmwasserkorallenriffe, deren maximale Temperaturtoleranz nah an den Höchsttemperaturen vor Ort liegt. Je häufiger dort besonders warmes Wasser auftaucht, desto öfter gibt es Korallenbleichen: Die Organismen verlieren ihre symbiontischen Algen, die ihnen aus Sonnenenergie organische Materie liefern. Von den Algen werden die Korallen in einer sonst nährstoffarmen Umgebung mit Energie versorgt und können in einer eigentlich ungeeigneten Region leben. Und diese Warmwasserkorallen sind ja Grundlage weit ausgedehnter Ökosysteme, die für die örtliche Fischerei von Bedeutung sind, außerdem für Tourismus und nicht zuletzt für den Küstenschutz.
Einige Forscher schlagen vor, hitzetolerante Korallen aus dem Roten Meer in den Pazifik zu verpflanzen. Ist das realistisch oder hanebüchen?
Ich würde sagen, weder das eine noch das andere. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist nicht ganz ausgeschlossen, dass so etwas mal funktionieren kann. Aber dahinter steht ein großes Fragezeichen, weil zum Beispiel die Wärmetoleranz der Korallen im Roten Meer möglicherweise etwas mit der hohen Salzkonzentration dort zu tun hat. Und wenn ich dann diese Korallen in einen Bereich normaler Salinität übertrage, kann es sein, dass diese hohe Wärmetoleranz flöten geht.
Außerdem ist es meiner Ansicht nach nicht möglich, dieses Verfahren auf den benötigten Zeitskalen wirklich großräumig zu etablieren. Man wird auf jeden Fall Verluste bei den Korallen hinnehmen müssen. Man muss sich klarmachen, dass die globale Temperatur nicht über 1,2 oder 1,3 Grad gegenüber der globalen Durchschnittstemperatur steigen darf, wenn wir 50 Prozent der Korallenriffe erhalten wollen. Diesem Bereich nähern wir uns doch schon an.
Das ist ein eindeutiges Ergebnis des letzten Klimaberichts, und es gab noch ein zweites System, das im Fokus steht: das Meereissystem der Arktis. Dort muss man nach gegenwärtigem Kenntnisstand sagen: Wenn wir im arktischen Sommer noch einen Rest Meereis bewahren wollen, dann dürfen wir die Temperaturen nicht über die aus Paris bekannten 1,5 Grad hinaus ansteigen lassen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass sich anderenfalls das nordpolare System in großem Maß ändert – mit Rückwirkungen auch auf globale Klimaphänomene.
Vom Eisbären abgesehen, was bedeutet es für die Ökosysteme der Arktis, wenn das sommerliche Meereis verschwindet?
Wir werden eine Marginalisierung der hocharktischen Systeme erleben, die wirklich kalten Zonen werden sehr viel kleiner. Aus offenen Meeresgebieten wie dem Nordatlantik dringt mehr warmes Wasser in die Arktis ein: Arten wie der Kabeljau aus dem Nordatlantik machen bereits jetzt einheimischen Arten wie dem Polardorsch Konkurrenz. In den Randbereichen der Arktis dagegen wird es sicherlich Produktivitätszunahmen geben. Andererseits spielt auch Licht eine Rolle – die 24 Stunden Dunkelheit der Polarnacht stellen für einige Organismen eine Verbreitungsgrenze dar. Aber an dem genauen Bild dessen, was der Klimawandel für die Lebewesen in der Arktis bedeutet, daran gilt es noch zu arbeiten.
Wie verändert der Klimawandel den Sauerstoffgehalt der Ozeane – werden sich "tote Zonen" weiter ausbreiten?
Der Klimawandel beeinflusst die Sauerstoffbilanz der Ozeane. Insgesamt geht man davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten der Sauerstoffgehalt in den Meeren um einige Prozent absinkt. Das ist jetzt zunächst einmal nicht viel, aber was das tatsächlich bedeutet, ist von Region zu Region unterschiedlich. Und gerade die mittleren Schichten der Meere, die für die Tropen und Subtropen typischen so genannten Sauerstoffminimalschichten, werden besonders betroffen sein.
In diesem Tiefenbereich herrscht sowieso schon Sauerstoffmangel auf Grund des mangelnden Austausches mit anderen Wasserschichten. Der Trend geht nun dahin, dass die Sauerstoffgehalte noch weiter absinken und kritische Grenzen für Organismen unterschreiten. Zusätzlich werden sich die Sauerstoffminimalschichten nach Norden und nach Süden ausbreiten. Diese Effekte erhöhen den Druck auf die Organismen dieser Regionen in Richtung Artenarmut, kleinere Organismen, sehr passive Organismen.
Gleichzeitig führt im Küstenbereich in warmen Sommern starker Nährstoffeintrag zu Sauerstoffmangel. Der Trend zu weniger Sauerstoff im Meer wird sich mit der Erwärmung weiter fortsetzen, das ist insofern wichtig, weil Sauerstoff und Temperatur gemeinsam die geografische Verbreitung von Tieren steuern. Anhand dieser Faktoren schätzen wir, dass die Verbreitungsgebiete von Tieren schrumpfen werden – in Regionen wie dem Nordpazifik, wo Sauerstoffmangel sowieso an der Tagesordnung ist, um etwa 40 Prozent oder vergleichbare Werte. Das hat erhebliche Auswirkungen auf Bestandsgrößen, Biodiversität und natürlich auch Fischereierträge.
Werden wir dann in Zukunft nur noch Quallenburger essen?
Das ist sicherlich übertrieben. Wir sind zwar kräftig dabei, die marinen Nahrungsketten zu dezimieren, aber es gibt noch Hoffnung. Diese Hoffnung hat damit zu tun, dass es ja Fischereikonventionen gibt, und nicht zuletzt die EU bemüht sich um eine nachhaltige Fischerei. Zusammen mit dem Ausweiten von Meeresschutzgebieten, denke ich, haben wir Hoffnung, dass wir Fischbestände erhalten können. Wir werden sie nicht in dem Umfang erhalten können, wie wir das gerne möchten, wir müssen sicherlich auch weiter mit Aquakultur arbeiten, aber ich denke nicht, dass wir dazu übergehen müssen, zu 100 Prozent Quallenburger zu essen.
Wird Aquakultur zukünftig an Bedeutung gewinnen?
Aquakultur hat in den letzten Jahren starke Zuwachsraten gehabt und stellt schon einen großen Anteil an Nahrungsproteinen aus dem Meer. Das wird weiter zunehmen, vor allem in niedrigen Breiten. Dort wird man versuchen, sich auf einzelne Arten zu konzentrieren und in der Kultur höhere Produktionsmengen zu erreichen, um die Nahrungssicherheit zu erhöhen. Ich denke schon, dass Aquakultur ein wichtiges Instrument ist, um die Ernährung der Menschheit zu sichern.
Was ist aus Ihrer Sicht die spannendste Forschungsfrage derzeit?
Die spannendste Aufgabe derzeit ist, zu verstehen, wie die Faktoren Temperatur, CO2-Gehalt und Sauerstoff im Ozean zusammenwirken. Das geht auch schon ein bisschen in Richtung Grundlagenforschung: Wir hätten dann Indizien dafür, wie Klimaänderungen im Verlauf der Erdgeschichte die Entwicklung des Lebens beeinflusst haben. Diese drei Faktoren nämlich haben wahrscheinlich auch bei den großen Massensterben der Erdgeschichte eine Rolle gespielt, und aus diesen Massensterben sind auf langen Zeitskalen auch neue Lebensformen hervorgegangen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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