Optik: Zurück im Vorwärtsschritt
Zuerst trat der Lichtstrahl aus dem Lichtleiter aus, dann ging er rein. Verkehrt herum? Tatsächlich! Sah aber dennoch so aus. Wenn Photonen sich durch Stoffe mit negativem Brechungsindex quälen müssen, muss man schon ganz genau hinsehen, um "Vorher" und "Nachher" in die richtige Reihenfolge zu bringen.
So einfach wie das Betätigen eines Lichtschalters macht die Optik es uns selten. Mal Teilchen, mal Welle – meist eher Welle – kann Licht so richtig kompliziert und unübersichtlich werden. Besonders, wenn es besonders einfach sein soll. Ein einzelner kurzer Lichtpuls beispielsweise. Als isolierte Sinusschwingung kann es den nicht geben, denn der Sinus gilt nunmal von minus unendlich bis plus unendlich. Da gibt es keinen Anfang und kein Ende. Doch aus einem Laser kommt nun wirklich kein Licht, bevor jemand den Schalter umgelegt und Strom in den Apparat geschickt hat. Und nach dem Puls ist es wahrhaftig wieder dunkel. Also kann so ein einzelner Puls gar kein Stück einer einzelnen Sinuswelle sein. Aber was dann?
Physiker stellen sich die kurzen Lichtblitze aus ihren Lasern darum gerne als Wellenpakete vor. Ein Haufen von Einzelwellen verschiedener Frequenzen, die sich so überlagern, dass sie sich gegenseitig verstärken und auslöschen. Das Ergebnis sieht aus wie der gewünschte Lichtpuls, lässt sich mathematisch handhaben und bietet Gelegenheit zu einer Fülle interessanter Experimente, denn das Ganze hängt ab vom Verhalten seiner Teile.
Dass es dabei manch seltsame Überraschung geben kann, haben Wissenschaftler bereits mehrfach demonstriert oder erfahren müssen. Schickt man so einen Lichtpuls nämlich durch ein durchsichtiges Material, so wandern darin nicht alle Teilwellen gleich schnell. Wie eine anfangs ordentliche Kindergartengruppe auf dem Weg durch die Spielwarenabteilung eines Kaufhauses durch Trödler und Ausprobierer schnell ihre Formation verliert, bleiben auch manche Frequenzen stärker in der Substanz hängen als andere. Diese so genannte Dispersion verformt den Puls mitunter beträchtlich. Das kann so weit gehen, dass das Maximum des Lichts den Stoff verlässt, bevor es in ihn eingetreten ist.
Was zunächst wie ein Trick von David Copperfield oder ein Warp-Sprung der Enterprise klingt, steht durchaus mit den Naturgesetzten in Einklang. Maximum ist in solchen Fällen nämlich nicht gleich Maximum, wie die Beobachtung des Kindergartens uns einleuchtend vor Auge führt. Nehmen wir an, die Kinder hätten zu Beginn eine grob normalverteilte Aufstellung von 1-3-7-3-1 pro Reihe. Dann könnten am Ausgang der Spielwarenecke dank Bob, dem Baumeister, robotierter Teletubbys und knuddeliger Weltraummonster die Gruppenleiterinnen 1-3-2-2-2-2-2-1 kleine Quengler entgegennehmen. Die Gruppe wurde gründlich langgezogen und das ursprüngliche Maximum flachgestreckt. Das neue Maximum ist nicht nur kleiner, es besteht auch aus anderen Individuen. Führen Sie dieses Experiment mit einer ganzen Grundschule von vielleicht 120 Kindern durch, und Sie werden feststellen, dass das neue Kindermaximum die Spielwarenabteilung verlässt, bevor das ursprüngliche Maximum überhaupt ins Wunderland eingedrungen ist. Außerdem werden Sie Hausverbot bekommen. Jedenfalls ist keine Hexerei im Spiel.
Weil Licht im Vergleich zu kleinen Kindern doch um etliches einfacher zu bedienen ist, führen Physiker ihre Versuche vorzugsweise mit Lasern durch. Und sie wagen sich mittlerweile an bizarre Materialien, die erst seit wenigen Jahren verfügbar sind. Diese Stoffe weisen unter bestimmten Bedingungen einen negativen Brechungsindex auf, das heißt: In ihnen wird ein Lichtstrahl beim Übergang von einem Medium in ein anderes in die "falsche" Richtung abgelenkt. Ein Umstand, der wissenschaftliche Exotik verspricht.
Gleich zwei Arbeitsgruppen haben das seltsame Verhalten von Lichtpulsen in negativ brechenden Materialien untersucht und ihre Ergebnisse in der neuesten Ausgabe von Science veröffentlicht. Das Team um George Gehring von der Universität Rochester im US-Bundesstaat New York [1] hat die Pulse durch einen Lichtleiter geschickt, der mit dem Element Erbium versetzt war. Indem sie die anfangs neun Meter lange Faser zwischen den Teilversuchen jeweils um ein paar Zentimeter kürzten, konnten die Physiker die Entwicklung des Pulses im Verlauf des Lichtleiters verfolgen.
Sie machten die Beobachtung, dass auch bei negativem Brechungsindex das Maximum eines Lichtpulses das Material verlässt, bevor das ursprüngliche Maximum hineingegangen ist. Der Blick in das "Innere" des Lichtleiters offenbarte sogar, dass ein internes Maximum vom Ende zum Anfang des Stoffes läuft, also rückwärts. Der Energiefluss war hingegen eindeutig nach vorne gerichtet. Ein Verhalten, dass sich nur damit erklären lässt, dass die verstärkende Wirkung des negativen Brechungsindex den vorderen Teil des Lichtpulses mehr zugute kommt als dem hinteren Bereich.
Noch skurriler ging es in den Experimenten eines deutsch-US-amerikanischen Teams um Gunnar Dolling von der Universität Karlsruhe zu [2]. Die Forscher verwendeten ein strukturiertes Metamaterial aus Indium-Zinn-Oxid und ließen das Licht mit einem Referenzstrahl interferieren, um seine Eigenschaften zu ergründen.
Auch diesmal wanderte das Maximum des Pulses nach hinten, was wissenschaftlich gesprochen als negative Gruppengeschwindigkeit bezeichnet wird. Die Phasengeschwindigkeit der Einzelwellen nahm jedoch in einigen Durchläufen ebenfalls negative Werte an. Je nach eingestellten Bedingungen konnten sowohl Gruppen-, als auch Phasengeschwindigkeit in beliebigen Kombinationen positiv oder negativ werden. Ein physikalisch interessantes Szenario, das teilweise der menschlichen Intuition widerspricht – denn wie kommt am Ende etwas heraus, obwohl innen drin alles rückwärts läuft? Eine Frage, die wegen mangelnder Anschaulichkeit in das Reich der Berechnung verschoben wird.
Die Effekte in negativ brechenden Substanzen mögen bizarr erscheinen – real und physikalisch akzeptabel sind sie dennoch. Das macht neugierig, ob aus diesen Versuchen einst Anwendungen erwachsen, die ebenso unglaublich sind. Doch bis dahin liegen noch viele anspruchsvolle Spielereien vor den Wissenschaftlern, bis sie sicher wissen, was hinten rauskommt, wenn sie vorne Licht reinstecken.
Physiker stellen sich die kurzen Lichtblitze aus ihren Lasern darum gerne als Wellenpakete vor. Ein Haufen von Einzelwellen verschiedener Frequenzen, die sich so überlagern, dass sie sich gegenseitig verstärken und auslöschen. Das Ergebnis sieht aus wie der gewünschte Lichtpuls, lässt sich mathematisch handhaben und bietet Gelegenheit zu einer Fülle interessanter Experimente, denn das Ganze hängt ab vom Verhalten seiner Teile.
Dass es dabei manch seltsame Überraschung geben kann, haben Wissenschaftler bereits mehrfach demonstriert oder erfahren müssen. Schickt man so einen Lichtpuls nämlich durch ein durchsichtiges Material, so wandern darin nicht alle Teilwellen gleich schnell. Wie eine anfangs ordentliche Kindergartengruppe auf dem Weg durch die Spielwarenabteilung eines Kaufhauses durch Trödler und Ausprobierer schnell ihre Formation verliert, bleiben auch manche Frequenzen stärker in der Substanz hängen als andere. Diese so genannte Dispersion verformt den Puls mitunter beträchtlich. Das kann so weit gehen, dass das Maximum des Lichts den Stoff verlässt, bevor es in ihn eingetreten ist.
Was zunächst wie ein Trick von David Copperfield oder ein Warp-Sprung der Enterprise klingt, steht durchaus mit den Naturgesetzten in Einklang. Maximum ist in solchen Fällen nämlich nicht gleich Maximum, wie die Beobachtung des Kindergartens uns einleuchtend vor Auge führt. Nehmen wir an, die Kinder hätten zu Beginn eine grob normalverteilte Aufstellung von 1-3-7-3-1 pro Reihe. Dann könnten am Ausgang der Spielwarenecke dank Bob, dem Baumeister, robotierter Teletubbys und knuddeliger Weltraummonster die Gruppenleiterinnen 1-3-2-2-2-2-2-1 kleine Quengler entgegennehmen. Die Gruppe wurde gründlich langgezogen und das ursprüngliche Maximum flachgestreckt. Das neue Maximum ist nicht nur kleiner, es besteht auch aus anderen Individuen. Führen Sie dieses Experiment mit einer ganzen Grundschule von vielleicht 120 Kindern durch, und Sie werden feststellen, dass das neue Kindermaximum die Spielwarenabteilung verlässt, bevor das ursprüngliche Maximum überhaupt ins Wunderland eingedrungen ist. Außerdem werden Sie Hausverbot bekommen. Jedenfalls ist keine Hexerei im Spiel.
Weil Licht im Vergleich zu kleinen Kindern doch um etliches einfacher zu bedienen ist, führen Physiker ihre Versuche vorzugsweise mit Lasern durch. Und sie wagen sich mittlerweile an bizarre Materialien, die erst seit wenigen Jahren verfügbar sind. Diese Stoffe weisen unter bestimmten Bedingungen einen negativen Brechungsindex auf, das heißt: In ihnen wird ein Lichtstrahl beim Übergang von einem Medium in ein anderes in die "falsche" Richtung abgelenkt. Ein Umstand, der wissenschaftliche Exotik verspricht.
Gleich zwei Arbeitsgruppen haben das seltsame Verhalten von Lichtpulsen in negativ brechenden Materialien untersucht und ihre Ergebnisse in der neuesten Ausgabe von Science veröffentlicht. Das Team um George Gehring von der Universität Rochester im US-Bundesstaat New York [1] hat die Pulse durch einen Lichtleiter geschickt, der mit dem Element Erbium versetzt war. Indem sie die anfangs neun Meter lange Faser zwischen den Teilversuchen jeweils um ein paar Zentimeter kürzten, konnten die Physiker die Entwicklung des Pulses im Verlauf des Lichtleiters verfolgen.
Sie machten die Beobachtung, dass auch bei negativem Brechungsindex das Maximum eines Lichtpulses das Material verlässt, bevor das ursprüngliche Maximum hineingegangen ist. Der Blick in das "Innere" des Lichtleiters offenbarte sogar, dass ein internes Maximum vom Ende zum Anfang des Stoffes läuft, also rückwärts. Der Energiefluss war hingegen eindeutig nach vorne gerichtet. Ein Verhalten, dass sich nur damit erklären lässt, dass die verstärkende Wirkung des negativen Brechungsindex den vorderen Teil des Lichtpulses mehr zugute kommt als dem hinteren Bereich.
Noch skurriler ging es in den Experimenten eines deutsch-US-amerikanischen Teams um Gunnar Dolling von der Universität Karlsruhe zu [2]. Die Forscher verwendeten ein strukturiertes Metamaterial aus Indium-Zinn-Oxid und ließen das Licht mit einem Referenzstrahl interferieren, um seine Eigenschaften zu ergründen.
Auch diesmal wanderte das Maximum des Pulses nach hinten, was wissenschaftlich gesprochen als negative Gruppengeschwindigkeit bezeichnet wird. Die Phasengeschwindigkeit der Einzelwellen nahm jedoch in einigen Durchläufen ebenfalls negative Werte an. Je nach eingestellten Bedingungen konnten sowohl Gruppen-, als auch Phasengeschwindigkeit in beliebigen Kombinationen positiv oder negativ werden. Ein physikalisch interessantes Szenario, das teilweise der menschlichen Intuition widerspricht – denn wie kommt am Ende etwas heraus, obwohl innen drin alles rückwärts läuft? Eine Frage, die wegen mangelnder Anschaulichkeit in das Reich der Berechnung verschoben wird.
Die Effekte in negativ brechenden Substanzen mögen bizarr erscheinen – real und physikalisch akzeptabel sind sie dennoch. Das macht neugierig, ob aus diesen Versuchen einst Anwendungen erwachsen, die ebenso unglaublich sind. Doch bis dahin liegen noch viele anspruchsvolle Spielereien vor den Wissenschaftlern, bis sie sicher wissen, was hinten rauskommt, wenn sie vorne Licht reinstecken.
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