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Anthropologie: Zurück in die Schimpansen-Steinzeit

Archäologen beschäftigen sich üblicherweise mit der kulturellen Entwicklung des Menschen. Doch vielleicht sollten sie ihren Blick ein wenig erweitern. Denn auch Schimpansen hinterlassen Kulturgüter, die es auszugraben gilt.
Prähistorisches Schimpansen-Werkzeug
"Schimpansen sind zu erstaunlichen intellektuellen Leistungen in der Lage, von denen wir einst glaubten, nur wir Menschen hätten sie: Sie zeigen Gefühle, sie besitzen eine primitive Kultur, sie stellen Werkzeuge her." Jane Goodall gehörte zu den Verhaltensforschern, die als erste die verblüffenden Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Schimpanse erkannten. Mit ihrer These, die Tiere besäßen so etwas wie eine "Kultur", stieß sie allerdings auf – gelinde gesagt – interessiertes Naserümpfen.

Nuss knackender Schimpanse | Ein Schimpanse im Taï-Nationalpark zertrümmert mit einem schweren Stein eine Nuss. Die dabei entstehenden Abnutzungserscheinungen fanden die Forscher auch bei über 4000 Jahre alten Steinen.
Die Videos unter "Medien" zeigen die Schimpansen beim Nüsse knacken.
Kultur gilt schließlich als typisch menschliche Errungenschaft, die Homo sapiens aus der rohen Wildnis befreite. Doch bereits im 19. Jahrundert haben Forscher Schimpansen beim Einsatz von Werkzeugen beobachtet. Inzwischen ist das Verhalten unseres äffischen Verwandten so gut untersucht, dass es tatsächlich berechtigt erscheint, von einer Schimpansen-Kultur zu sprechen: Die Tiere benutzen ihre Werkzeuge nicht nur gezielt, sie geben ihre Kenntnisse auch an Artgenossen weiter. Dadurch entwickeln sich regelrechte Traditionen, die je nach Population vollkommen unterschiedlich aussehen können.

Ausgrabung in Noulo | Christophe Boesch gräbt bei Noulo im Taï-Nationalpark prähistorische Schimpansen-Werkzeuge aus.
So ist beispielsweise im Taï-Nationalpark, einem der letzten Urwälder des afrikanischen Staates Elfenbeinküste, mitunter ein emsiges Klopfen und Knacken zu hören: Um schmackhafte, aber steinharte Coula-Nüsse zu knacken, klemmen die hier lebenden Schimpansen das Objekt der Begierde in eine Wurzel und schlagen mit einem schweren Stein darauf ein. Dieses Verhalten zeigen jedoch nur die Menschenaffen Westafrikas – und auch dort nicht überall. Wie Forscher um Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in den 1990er Jahren beobachten konnten, reicht mitunter ein Fluss als Kulturbarriere, um verschiedene Werkzeugtraditionen voneinander zu trennen.

Kultur hinterlässt – zur Freude der Archäologen – Spuren. Lohnt sich daher, eine neue Wissenschaft namens "Schimpansen-Archäologie" zu etablieren? Genau das versuchte Boesch zusammen mit dem Archäologen Julio Mercader von der kanadischen Universität Calgary und weiteren Kollegen aus den USA: Im Taï-Nationalpark begannen die Forscher im Jahr 2001 mit archäologischen Methoden nach den Überresten verloren gegangener Schimpansen-Kulturen zu graben.

Funde von Noulo | Die Steine, die vermutlich Schimpansen vor 4300 Jahre benutzt haben, sind zum Teil auffallend groß und schwer.
Tatsächlich wurden die Forscher fündig. Vor allem die Grabungsstätte Noulo scheint sich als prähistorische Schimpansen-Werkstatt zu erweisen, tauchten hier doch 60 Steine mit typischen Abnutzungserscheinungen auf. Die Forscher sind sich sicher, dass einst Schimpansen – und nicht Menschen – mit diesen Steinwerkzeugen hantiert haben. Denn einerseits wären die bis zu zwei Kilogramm schweren und 30 Zentimeter langen Brocken viel zu mächtig für eine kleine Menschenhand. Andererseits hingen an den Steinen noch Überreste von Stärkekörnern, die sich den in Schimpansenkreisen beliebten Coula-Arten zuordnen ließen.

Die Radiokarbondatierung der entsprechenden Schichten ergab ein Alter von 4300 Jahren. Sie gehören damit in eine Zeit, die in Afrika als "Later Stone Age", also "Jüngere Steinzeit" bezeichnet wird. Konsequenterweise schlagen die Wissenschaftler vor, die Epoche der von ihnen gefundenen Relikte als "Schimpansen-Steinzeit" zu bezeichnen.

"Es ist nicht klar, ob Menschen und Menschenaffen diese Steinzeittechnologie von einem gemeinsamen Vorfahren übernommen haben"
(Julio Mercader)
Damit können die Schimpansen Westafrikas auf eine Werkzeugtradition zurückblicken, die über 200 Generationen zurückreicht. Und die von manchen Wissenschaftlern vorgebrachte These, die Tiere hätten ihre Künste lediglich von einheimischen Bauern abgekupfert, gilt als widerlegt, da es in der Region vor 4000 Jahren keine menschlichen Siedlungen gab.

Vielleicht reicht die tierische Werkzeugkultur sogar noch weiter zurück, wie Mercader spekuliert: "Es ist nicht klar, ob wir Menschen diese Art der Steinzeittechnologie erfunden haben, oder ob beide, Menschen und Menschenaffen, sie von einem gemeinsamen Vorfahren übernommen haben."

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