Sommer 2006: Zuzug vom Süden
Der bislang schöne und hitzige Sommer erfreute nicht nur Eisverkäufer, sondern beglückte Naturfreunde auch mit vielerlei bunten Schmetterlingen. Weniger begeistert sind Bauern und Förster, da sich krabbelnde Schädlinge ebenfalls zügig vermehren. Warum 2006 ein überwiegend gutes Jahr für Insekten ist und was wir zukünftig erwarten können, erklärt der Entomologe Konrad Fiedler von der Universität Wien im Gespräch mit spektrumdirekt.
spektrumdirekt: Ist dieses Jahr ein gutes Insektenjahr, weil es jetzt sehr lange schön und warm war?
spektrumdirekt: Welche Arten profitieren speziell vom warmen Wetter 2006, und gibt es auch Spezies, die unter der Hitzewelle leiden?
Fiedler: Profiteure sind in erster Linie wärmebedürftige Arten, die faunengeschichtlich aus dem Mittelmeerraum stammen: die so genannten submediterranen Faunenelemente. Sie haben ihre Verbreitungsschwerpunkte in Deutschland in Regionen wie dem oberen und mittleren Rheintal, dem Kaiserstuhl und den fränkisch-thüringischen Trockengebieten. Oft verläuft ihre absolute Nordgrenze der Verbreitung durch Deutschland oder wenig weiter nördlich. Solche Arten sind dieses Jahr teils sehr zahlreich, und sie können sich in solch warmen Jahren aus ihren Vorposten beziehunsgweise Rückzugsgebieten weiter ausbreiten.
Dann spielen außerdem biologische Ursachen hinein: Wenn im Vorjahr eine Tierart sehr häufig war, können davon auch ihre natürlichen Gegenspieler und vor allem Krankheitserreger sowie Parasiten profitiert haben. Dadurch bleiben die Populationen trotz klimatischer Gunstbedingungen mitunter trotzdem klein. So ist es seit langem bekannt, daß nach Massenvermehrungen die Populationen – etwa von Forstschädlingen wie Frostspannern oder dem Schwammspinner – meist im nachfolgenden Jahr wegen massiver Infektionsraten mit Viren oder Bakterien zusammenbrechen.
spektrumdirekt: Konnten Sie in den letzten Jahren Folgen des Klimawandels beobachten?
Fiedler: Mediterrane Wanderfalter kommen eigentlich immer wieder nach Mitteleuropa, aber in warmen Jahren sind sie besonders zahlreich. Dieses Jahr etwa die Schmetterlinge Admiral und Distelfalter, die hier in Österreich zur Zeit in Mengen fliegen. Neben diesen Saison-Zuwanderern, die hier nicht auf Dauer bleiben und im Herbst wieder in den Süden zurückwandern, gibt es natürlich auch echte Arealerweiterer. Unter den Insekten gehört ein Tagfalter namens Steppen-Gelbling (Colias erate) dazu, der aus Südost-Europa kommend inzwischen im östlichen Österreich und sogar in Tschechien sowie Sachsen angekommen ist. Diese Arealerweiterung ist noch nicht wirklich abschließend verstanden, könnte aber mit der Klimaerwärmung speziell in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten zusammenhängen. Ein anderes Beispiel ist der Brombeer-Perlmutterfalter (Brenthis daphne), der sich in Österreich und Südwest-Deutschland ausbreitet oder die Wespenspinne.
Rückgänge nordischer oder alpiner Arten sind bei Insekten, im Unterschied zu Pflanzen, noch weniger gut belegt. Eine größere europaweite Studie an Tagfaltern vor einigen Jahren zeigte aber erstmals auf, dass sich bei einer Reihe von Arten die Süd- und/oder die Nordgrenzen der Verbreitungsareale tatsächlich in den letzten Jahrzehnten nach Norden verschoben haben. Bei solchen Prozessen dürften Wärmesommer wie 2003 oder eben auch 2006 eine wichtige Rolle spielen.
Übrigens sind für viele europäische Insekten kalte Winter wie der letzte mit sehr viel Schnee und langer Frostperiode kein großes Problem, weil die Überwinterungsstadien vieler Arten sehr kälteresistent sind. Nur die echten mediterranen und dann nicht frostharten Arten werden dadurch klar dezimiert.
spektrumdirekt: Was können oder müssen Bevölkerung oder Landwirtschaft dieses Jahr noch erwarten? Fallen etwa höhere Schäden in Forst- und Landwirtschaft an als in anderen Jahren?
Fiedler: Damit ist durchaus zu rechnen! Schon jetzt ist etwa der Rapsglanzkäfer in Teilen Deutschlands zu großer Blüte gelangt und verursacht weit größeren Schaden als gewöhnlich. Aus Italien werden hohe Dichten von Heuschrecken gemeldet, die lokal merkliche Fraßschäden verursachen. In Deutschland dürften bei weiter anhaltender Trockenheit und Wärme die Borkenkäfer in Fichtenforsten große Schäden anrichten.
Man muss dabei berücksichtigen, dass ohnehin durch Trockenheit und Hitze die Wälder beziehungsweise viele Pflanzenkulturen geschädigt sind. Das allein führt schon zu Ernte- oder Zuwachseinbußen. Wenn dann noch vermehrte Pflanzenfresserpopulationen hinzukommen, kann das den Schaden verstärken. Andererseits profitieren natürlich manche natürlichen Gegenspieler wie parasitische Insekten ebenso von der Wärme, und dadurch kommt es mit Zeitverzögerung wieder zu einer Eindämmung der Schädlinge.
Konrad Fiedler: So pauschal kann man das nicht sagen: Die Wärme hat – zumal der Frühling und Frühsommer vielerorts feucht waren und Spätfröste weit gehend ausblieben – bei vielen Insektenarten natürlich das Wachstum beschleunigt und die witterungsbedingte Sterblichkeit reduziert. Vergleichbares beobachtete man auch im "Jahrhundertsommer" 2003, als viele Insektenarten in unerwartet großer Zahl auftraten, die sonst in Deutschland eher selten vorkommen. Aber die letzten Wochen brachten natürlich auch massive Trockenschäden an der Vegetation mit sich, sodass Pflanzen fressende Arten, die im Juli ihre Hauptfraßzeit haben, vor Problemen standen.
spektrumdirekt: Welche Arten profitieren speziell vom warmen Wetter 2006, und gibt es auch Spezies, die unter der Hitzewelle leiden?
Fiedler: Profiteure sind in erster Linie wärmebedürftige Arten, die faunengeschichtlich aus dem Mittelmeerraum stammen: die so genannten submediterranen Faunenelemente. Sie haben ihre Verbreitungsschwerpunkte in Deutschland in Regionen wie dem oberen und mittleren Rheintal, dem Kaiserstuhl und den fränkisch-thüringischen Trockengebieten. Oft verläuft ihre absolute Nordgrenze der Verbreitung durch Deutschland oder wenig weiter nördlich. Solche Arten sind dieses Jahr teils sehr zahlreich, und sie können sich in solch warmen Jahren aus ihren Vorposten beziehunsgweise Rückzugsgebieten weiter ausbreiten.
Unter der Hitze oder Trockenheit "leiden" Arten, die tatsächlich physiologisch in Hitzestress geraten. Das ist in Mitteleuropa aber eher unwahrscheinlich, weil wirklich tödliche Temperaturen von mehr als 35 Grad Celsius doch die Ausnahme sind und die meisten Insekten dann in etwas kühlere Mikroklimabedingungen ausweichen können. Verbreiteter ist die Einschränkung der Nahrungsgrundlagen durch Trockenschäden. So weiß man etwa aus langjährigen Beobachtungsreihen in England, dass der Kleine Fuchs (eine Schmetterlingsart; Anm. d. Red.) nach sehr trockenen Sommern große Populationseinbrüche zu verzeichnen hat, weil dann die sonnig stehenden Brennnesselbestände – und nur an diesen leben die Raupen – verdorren oder von sehr minderer Qualität sind.
Dann spielen außerdem biologische Ursachen hinein: Wenn im Vorjahr eine Tierart sehr häufig war, können davon auch ihre natürlichen Gegenspieler und vor allem Krankheitserreger sowie Parasiten profitiert haben. Dadurch bleiben die Populationen trotz klimatischer Gunstbedingungen mitunter trotzdem klein. So ist es seit langem bekannt, daß nach Massenvermehrungen die Populationen – etwa von Forstschädlingen wie Frostspannern oder dem Schwammspinner – meist im nachfolgenden Jahr wegen massiver Infektionsraten mit Viren oder Bakterien zusammenbrechen.
spektrumdirekt: Konnten Sie in den letzten Jahren Folgen des Klimawandels beobachten?
Fiedler: Mediterrane Wanderfalter kommen eigentlich immer wieder nach Mitteleuropa, aber in warmen Jahren sind sie besonders zahlreich. Dieses Jahr etwa die Schmetterlinge Admiral und Distelfalter, die hier in Österreich zur Zeit in Mengen fliegen. Neben diesen Saison-Zuwanderern, die hier nicht auf Dauer bleiben und im Herbst wieder in den Süden zurückwandern, gibt es natürlich auch echte Arealerweiterer. Unter den Insekten gehört ein Tagfalter namens Steppen-Gelbling (Colias erate) dazu, der aus Südost-Europa kommend inzwischen im östlichen Österreich und sogar in Tschechien sowie Sachsen angekommen ist. Diese Arealerweiterung ist noch nicht wirklich abschließend verstanden, könnte aber mit der Klimaerwärmung speziell in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten zusammenhängen. Ein anderes Beispiel ist der Brombeer-Perlmutterfalter (Brenthis daphne), der sich in Österreich und Südwest-Deutschland ausbreitet oder die Wespenspinne.
Leider – aus Naturschutzsicht – verzeichnet die Wissenschaft aber bei den meisten wärmebedürftigen Arten trotz der Erwärmung gegenläufige Bestandszahlen, da ihre Lebensräume wie Magerrasen immer weniger werden. Gewinner des Klimawandels sind also nur solche wärmelimitierten Arten, die in unserer ausgeräumten Kulturlandschaft auch Lebensraum vorfinden.
Rückgänge nordischer oder alpiner Arten sind bei Insekten, im Unterschied zu Pflanzen, noch weniger gut belegt. Eine größere europaweite Studie an Tagfaltern vor einigen Jahren zeigte aber erstmals auf, dass sich bei einer Reihe von Arten die Süd- und/oder die Nordgrenzen der Verbreitungsareale tatsächlich in den letzten Jahrzehnten nach Norden verschoben haben. Bei solchen Prozessen dürften Wärmesommer wie 2003 oder eben auch 2006 eine wichtige Rolle spielen.
Übrigens sind für viele europäische Insekten kalte Winter wie der letzte mit sehr viel Schnee und langer Frostperiode kein großes Problem, weil die Überwinterungsstadien vieler Arten sehr kälteresistent sind. Nur die echten mediterranen und dann nicht frostharten Arten werden dadurch klar dezimiert.
spektrumdirekt: Was können oder müssen Bevölkerung oder Landwirtschaft dieses Jahr noch erwarten? Fallen etwa höhere Schäden in Forst- und Landwirtschaft an als in anderen Jahren?
Fiedler: Damit ist durchaus zu rechnen! Schon jetzt ist etwa der Rapsglanzkäfer in Teilen Deutschlands zu großer Blüte gelangt und verursacht weit größeren Schaden als gewöhnlich. Aus Italien werden hohe Dichten von Heuschrecken gemeldet, die lokal merkliche Fraßschäden verursachen. In Deutschland dürften bei weiter anhaltender Trockenheit und Wärme die Borkenkäfer in Fichtenforsten große Schäden anrichten.
Man muss dabei berücksichtigen, dass ohnehin durch Trockenheit und Hitze die Wälder beziehungsweise viele Pflanzenkulturen geschädigt sind. Das allein führt schon zu Ernte- oder Zuwachseinbußen. Wenn dann noch vermehrte Pflanzenfresserpopulationen hinzukommen, kann das den Schaden verstärken. Andererseits profitieren natürlich manche natürlichen Gegenspieler wie parasitische Insekten ebenso von der Wärme, und dadurch kommt es mit Zeitverzögerung wieder zu einer Eindämmung der Schädlinge.
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