Zwangsgermanisierung: Die Kinder, denen die Nazis die Identität raubten
Hermann Lüdeking hatte in seinem Leben oft dieselben »seltsamen Träume«: eine Straßenbahn, ein Bahnhofsgebäude mit Fresken, schwarz gekleidete Männer. Dass die nächtlichen Bilder keine Fantasien, sondern Kindheitserinnerungen an reale Orte waren, erfuhr er erst später.
Lüdeking, der vielleicht als Roman Roszatowski geboren worden war, war eines von zehntausenden Kindern, die von den Nationalsozialisten aus Polen und anderen besetzten Gebieten verschleppt und in deutschen Pflegefamilien sowie Heimen zwangsgermanisiert wurden. Nach dem Tod seines Pflegevaters fand er 1982 jene Unterlagen, die auf 80 Seiten seinen Weg vom Umerziehungsheim in Bruckau, dem heute polnischen Bruczków, bis ins sächsische Kohren-Sahlis dokumentieren, wo den blonden und blauäugigen Jungen schließlich seine Pflegemutter Maria Lüdeking in Empfang nahm, um ihn in sein neues Zuhause in Lemgo zu bringen.
Es ist einer der frühesten Momente aus seiner Kindheit, an die sich Hermann Lüdeking erinnern kann: Der Sechsjährige spielte gerade mit einem Freund im Lebensborn-Heim Sonnenwiese in Kohren-Sahlis, als die beiden zur Oberschwester gerufen wurden. »Dort stand meine spätere Pflegemutter. Sie trug einen großen Hut und war elegant gekleidet«, erzählt er. »Die Oberschwester sagte zu ihr, sie könne sich ein Kind aussuchen.« Maria Lüdeking, deren erwachsener Sohn ein Jahr zuvor im Krieg gefallen war, entschied sich für Hermann. Nur eine Unterschrift war nötig, dann konnte sie den Jungen mitnehmen. Das war 1942.
Zu Hause sei seine wahre Herkunft nie ein Thema gewesen, seine Pflegeeltern hätten ihn immer sehr gut behandelt, sagt der inzwischen 87-Jährige. Er habe zwar gewusst, dass er ein Pflegekind war – offiziell hieß es aber, seine Eltern seien gestorben.
Als Rentner suchte Lüdeking schließlich die Kinderheime auf, in denen er gelebt hatte. Er reiste nach Bruckau, Lodz, Kalisz, Bad Polzin und Kohren-Sahlis – und fand etliche Erinnerungsfetzen aus seinen Träumen in der Realität wieder: die Fresken am Bahnhof in Kalisz, die Straßenbahn in Lodz und die schwarz gekleideten Männer, die, so erzählte ihm ein Hausmeister, in Bruckau aufgepasst hätten, dass die Heimkinder nicht davonliefen. Nur: Wer seine wahren Eltern waren und wo er wirklich herkam, konnte er bis heute nicht herausfinden.
Kinder mit »gutem Blut« sollten Deutsche werden
Zehntausende Menschen teilen das Schicksal von Hermann Lüdeking. Im Zuge von Hitlers rassischen Neuordnungsplänen für Ost- und Mitteleuropa stahlen die Nationalsozialisten Kinder mit »gutem Blut« aus besetzten Gebieten, um sie zu Deutschen zu machen. Wer sich dem widersetzte oder als unfähig galt, sich eindeutschen zu lassen, wurde zurückgelassen oder getötet. Zahllose Kinder wurden so aus ihren Familien gerissen, über verschiedene Stationen nach Deutschland verschleppt, mussten unter Gewalt Deutsch lernen und erhielten deutsche Namen sowie eine neue Identität, wie es unter anderem die Historikerin Isabel Heinemann von der Universität Münster in einem Aufsatz 2022 darlegt.
»Hinter dem Kinderraub stand die rassenpolitische Vorstellung, dass Kinder – sofern sie die richtigen Anlagen in den Augen der Rassenplaner hatten – noch formbar seien und man sie zu vollwertigen Mitgliedern der deutschen Volksgemeinschaft machen könne«, erklärt die Historikerin Maren Röger, Direktorin des Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) und Professorin an der Universität Leipzig. »Das machte sie für die Nationalsozialisten und deutschen Rassenpolitiker so interessant.«
In einer Rede im Jahr 1942, die er vor SS- und Polizeichefs in der besetzten Ukraine hielt, fasste der Reichsführer SS Heinrich Himmler in Worte, was die Deutschen mit den Kindern vorhatten: »Gutrassige« Mädchen und Jungen sollten ausgewählt, in deutsche Schulen oder Heime geschickt und dort zu »Bürgern des großgermanischen Reiches« erzogen werden.
Die Strategie, den Feind durch Kindesentführungen und -umerziehungen zu schwächen, ist alt und aktuell gleichermaßen. »Heute sehen wir, wie ukrainische Kinder nach Russland verschleppt werden, um sie dort zu russischen Staatsbürgern zu erziehen«, erklärt Maren Röger. Das Regime wolle auf diese Weise verhindern, dass die Kinder zu ukrainischen Patrioten heranwachsen würden, die sich später gegen Russland stellen könnten, so die Historikerin.
Himmler ordnete an, die Kinder zu verschleppen
Während des Zweiten Weltkriegs waren zahlreiche Akteure an der Zwangsgermanisierung von Kindern beteiligt: die Jugend- und Gesundheitsämter, das Rasse- und Siedlungshauptamt-SS (RuSHA) sowie der SS-Verein Lebensborn. Letzterer galt offiziell als eine Wohltätigkeitsorganisation, die unverheiratete Mütter und ihre unehelichen Kinder unterstützen sollte. Wie die Gruppierungen vorgehen sollten, legt eine Anordnung Himmlers offen, der zugleich das Amt des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums (RKF) innehatte. In dem Dokument vom 19. Februar 1942 hieß es: »Die auf Grund des rassischen und psychologischen Ausleseverfahrens als eindeutschungsfähig bezeichneten Kinder werden deshalb im Alter von sechs bis zwölf Jahren in Heimschulen und im Alter von zwei bis sechs Jahren in vom Lebensborn e.V. nachzuweisenden Familien untergebracht.«
Nachdem die Jugendämter die Kinder registriert und gemeldet hatten, überprüften die Rassenexperten der SS anhand von 21 anthropologischen Merkmalen wie Nasenform, Augen- und Haarfarbe, Körperbau oder Schädelform, ob sie für die Zwangsgermanisierung geeignet seien. Damit die Kinder ihre neue Identität auch annehmen würden, sollten sie nicht älter als acht bis zehn Jahre sein. Wurden sie ausgewählt, stattete sie Lebensborn nach einer Zwischenstation in einem Kinderheim – wo sie beobachtet wurden und zwangsweise Deutsch lernen mussten – mit einer neuen Identität aus und vermittelte sie in SS-Familien oder schickte sie in deutsche Heimschulen.
So wurde aus Janusz Bukorzycki Johann Buchner, aus Barbara Mikołajczyk Barbara Micker oder aus Basia Gajzler Bärbel Geisler – tausendfach.
Eine Leibesvisitation, erniedrigend und entwürdigend
Polnische Journalisten und Journalistinnen haben intensiv recherchiert und zahlreiche Biografien von aus Polen geraubten Kindern in ihrem Buch »Als wäre ich alleine auf der Welt« zusammengetragen. Darin berichtet die Zeitzeugin Halina Skalbmierska, wie die Selektion in der Praxis aussah: »In der ersten Etage gab es einen ovalen Raum. Am Tisch saßen Menschen in weißen Kitteln. Wir warteten auf dem Flur. Alle nackt. Das war sehr peinlich.« Skalbmierska fährt fort, was in dem Kinderheim geschah: »Dann wurde gewogen, gemessen, notiert, gefragt. Ich wurde der ersten Gruppe zugeordnet – für die Germanisierung bestimmt. Weil ich helles Haar hatte.«
Auch Krystyna Mikołajczyk wurde von den Nationalsozialisten als »eindeutschungsfähig« kategorisiert und nach Bruckau gebracht – in dasselbe Kinderheim, in dem auch Hermann Lüdeking war. Ein Jahr nach Kriegsende berichtete sie von ihrer Zeit dort: »Dort wurde uns Lesen und Schreiben auf Deutsch beigebracht. Wir durften nicht Polnisch sprechen. Ich selbst habe dafür mit dem Stock Schläge bekommen.«
Anfangs habe man sich nur auf Kinder in Waisenheimen konzentrieren wollen, aber bald schon auch Kinder in Pflegefamilien und solche, die aus deutsch-polnischen Ehen stammten, verschleppt, erzählt Historikerin Röger. Auch Eltern, die sich weigerten, die Deutsche Volksliste zu unterschreiben – sich also als Deutsche einbürgern zu lassen –, sowie Kinder von Widerstandskämpfern gerieten in den Fokus der NS-Rassenplaner. »Man hat irgendwann keine Rücksicht mehr auf die eigentlichen Familienverhältnisse genommen, sondern brutal jene Kinder herausgeschält, die als rassenpolitisch wertvoll galten«, berichtet Röger.
Auf der einen Seite beschworen die Nazis einen mörderischen Rassenwahn, auf der anderen Seite wollten sie Kinder aus Osteuropa zu Deutschen machen. Wie Röger erklärt, verfolgten die Nationalsozialisten beide Ziele, die sich auf den ersten Blick gegenseitig ausschließen. »Zum einen war die NS-Rassenpolitik sehr scharf und exklusiv. In der deutschen Öffentlichkeit erinnern wir heute vor allem an die Vernichtungspolitik gegenüber den Juden und Jüdinnen Europas«, so Röger. »Zum anderen aber war sie sehr viel inklusiver und flexibler, als wir uns das oft stereotyp vorstellen.« Das zeige sich etwa bei der Durchsetzung der Deutschen Volksliste in den besetzten polnischen Gebieten. Über sie kategorisierten die Nazis die ansässige Bevölkerung und entschieden, wer politisch und »rassisch gut genug« war, um in die deutsche Volksgemeinschaft aufgenommen zu werden. »Sofern die Personen einen nichtjüdischen Hintergrund hatten, griff ein sehr feines System der Deutschen Volksliste, das entlang von Kategorien herauszufinden versuchte, wer noch der deutschen Volksgemeinschaft einverleibt werden könnte«, erklärt die Leipziger Historikerin.
Vermittelt in regimetreue Elternhäuser
Nachdem die Kinder die harten Mühlen der Zwangsgermanisierung durchlaufen hatten, wurden sie an regimetreue Pflege- und Adoptivfamilien vermittelt. Hermann Lüdekings Pflegevater war Reiteroffizier in der Wehrmacht, seine Pflegemutter Führerin beim Bund Deutscher Mädel. Was deutsche Adoptiveltern wirklich über die Herkunft der Kinder wussten, lässt sich pauschal nicht mehr erfassen. Vermutlich, so sagen Experten, wurde aber nicht allzu genau nachgefragt.
»Heute sehen wir, wie ukrainische Kinder nach Russland verschleppt werden, um sie dort zu russischen Staatsbürgern zu erziehen«Maren Röger, Historikerin, Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa und Universität Leipzig
Wie viele Kinder die Nationalsozialisten raubten, ist in der Forschung umstritten. Laut der Historikerin Isabel Heinemann entführten die Nazis aus ganz Europa Kinder, vor allem aber aus Polen, den Ländern der Sowjetunion und dem Protektorat Böhmen und Mähren sowie aus Slowenien: »Schätzungen zufolge dürfte es sich mindestens um 50 000 Fälle aus Südosteuropa, Polen und der Sowjetunion gehandelt haben«, schreibt Heinemann. Polnische Fachleute gehen hingegen von 200 000 Kindern aus, die allein aus Polen verschleppt wurden, und berufen sich dabei auf Roman Hrabar (1909–1996). Hrabar war Rechtsanwalt und von der polnischen Regierung beauftragt, die geraubten Kinder nach Hause zu bringen – er war in der Nachkriegszeit eine Schlüsselfigur bei deren Suche, schreibt die auf Geschichte spezialisierte Journalistin Katarzyna Kaczorowska. Hrabars Schätzungen umfassen wohl auch die Kinder von Zwangsarbeiterinnen, die in Deutschland geboren und ihren Müttern entzogen wurden.
Schwierig für die Forschung ist, dass viele Dokumente vernichtet, Identitäten gefälscht und Spuren verwischt wurden. Das Schweigen deutscher Behörden sowie der Kalte Krieg haben eine Aufarbeitung in der Nachkriegszeit zusätzlich erschwert. »Manchmal findet man in den Archiven einfach nur Listen mit Namen und kann nicht mehr nachverfolgen, was mit diesen Kindern passiert ist«, erzählt Historikerin Röger.
Für die polnische Stadt Zamość etwa ist eine solche Liste mit 4455 Namen von Kindern erhalten, die von dort weiter nach Majdanek und dann ins »Altreich« transportiert werden sollten. »Aus indirekten Quellen geht hervor, dass ein Teil dieser Kinder mit Sicherheit geraubt wurde, um sie zu germanisieren«, berichtet die polnische Historikerin Agnieszka Jaczyńska in einem Interview, veröffentlicht im Buch »Als wäre ich allein auf der Welt«. Aber wie viele genau das betraf und was mit den Kindern geschah, lasse sich heute nicht mehr rekonstruieren.
Die Suche nach den geraubten Kindern
Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich die Alliierten und Hilfsorganisationen mit zahllosen heimatlosen und verschleppten Kindern und Erwachsenen konfrontiert, die versorgt und in ihr Heimatland zurückgebracht werden mussten. Dabei legte man besonderes Augenmerk auf die Rückführung von Kindern. Damals »litten alle europäischen Nationen unter einer sehr stark dezimierten Bevölkerung«, sagt Historikerin Röger. Die Kinder wieder aufzufinden war daher wichtig – »nur so konnte die eigene Nation wieder aufgebaut werden«. Gezielte Suchaktionen halfen, tausende Kinder nach Kriegsende nach Polen zurückzubringen. Wie viele allerdings niemals gefunden wurden, geschweige denn überhaupt etwas von ihrer Herkunft erfahren haben, bleibt im Dunkeln.
Einer, der mit vielen dieser geraubten Kinder gesprochen hat, ist Christoph Schwarz. Der Vorsitzende des von Hermann Lüdeking mitbegründeten Vereins »Geraubte Kinder – vergessene Opfer« recherchiert seit Jahren über die Schicksale jener Jungen und Mädchen. In seiner Dokumentation »Himmlers geraubte Kinder« stellt er zahlreiche Einzelschicksale vor. Schwarz gelang es, etwa 30 bis 40 der einstigen Mädchen und Jungen aus Polen, Tschechien, Norwegen und Slowenien ausfindig zu machen. Was verbindet diese Menschen?
»Die Suche nach den Eltern und Wurzeln und damit oft eine ungeheuerliche Einsamkeit«, weiß Schwarz zu berichten. »Nur die allerwenigsten Schicksale wurden jemals aufgeklärt.« So gab es nach Kriegsende keine Organisation, die den Kindern half oder sie zusammenführte. Blieben sie in Deutschland, waren sie oft mit ihrer Vergangenheit auf sich allein gestellt – »zumal sie von der schweigenden Gesellschaft nicht anerkannt oder ernst genommen wurden«, so Schwarz.
Depressionen, Bindungsstörungen, Ängste und Vertrauensprobleme – all das kennzeichne die Biografien jener Menschen. Diejenigen, so berichtet es Christoph Schwarz, die ihre Familien und ihre Wurzeln wiederfinden konnten, waren meist in der Lage, ihr Schicksal und ihre gespaltene Identität zu akzeptieren. So habe eine Betroffene später von ihrer deutschen und ihrer polnischen Mutter gesprochen. »Diejenigen aber, die keine Antwort auf die Frage gefunden haben, wer sie eigentlich sind, waren innerlich immer zerrissen.«
Das Leid, nicht zu wissen, woher man kommt
Auch Hermann Lüdekings jahrelange Recherchen haben ihn ohne eine Antwort zurückgelassen. Die Spuren seiner Kindheit führten sogar nach Österreich. War er ein polnisches Kind? Waren seine Eltern Partisanen? Wurde er aus Österreich geraubt? Hatte er Geschwister? Der 87-Jährige sagt heute, dass er sein Schicksal akzeptieren musste, es sei ihm nichts anderes übrig geblieben. Aber: »Jeder leidet darunter, wenn er nicht weiß, woher er kommt.«
Viele dieser Kinder waren dabei nicht nur von der gewaltsamen Entwurzelung traumatisiert. Für jene, die in der Nachkriegszeit wieder nach Polen gebracht wurden, begann ein neues Trauma: Zeitzeugen berichten vom Verlust ihrer deutschen Pflegefamilie – der meist einzigen, die sie kannten – und wie sie sich in einem fremden Herkunftsland wiederfanden, dessen Sprache sie nicht kannten. In den zusammengeführten Familien herrschte oft Enttäuschung und Frustration auf beiden Seiten, weil Kinder und Verwandte einander fremd waren. Im Wohnort und der Schule wurden Betroffene häufig als »Deutsche« ausgegrenzt und verfolgt, wie die Historikerin Heinemann schreibt.
Die meisten der geraubten Kinder erfuhren auch kein spätes Recht. So verweigert das zuständige Bundesfinanzministerium den Betroffenen bislang eine Entschädigung. In einer Stellungnahme schrieb das Ministerium im Jahr 2013: »Das Schicksal betraf im Rahmen des Kriegsgeschehens eine Vielzahl von Familien und diente der Kriegsstrategie. Es hatte nicht in erster Linie die Vernichtung oder Freiheitsberaubung der Betroffenen zum Ziel, sondern deren Gewinnung zum eigenen Nutzen. Hierbei handelt es sich um ein allgemeines Kriegsfolgenschicksal.«
Christoph Schwarz kann diese Haltung nicht nachvollziehen. »Auf Bundesebene spricht man zwar über die Opfer und die Erinnerung, aber eine offizielle Entschuldigung hat man bislang noch nicht gehört.« Für die Bundesrepublik seien Entschädigungszahlungen zudem finanziell leicht machbar, auch weil nur noch wenige geraubte Kinder am Leben seien. Schwarz vermutet, dass die zuständigen Behörden davor zurückschrecken, weil sonst »andere Staaten ebenfalls weitere Entschädigungszahlungen fordern« könnten.
Eine Klage gegen die BRD
Hermann Lüdeking jedenfalls gab sich mit der Reaktion aus Berlin nicht zufrieden: Er schrieb an die Bundesregierung, um auf seinen Fall aufmerksam zu machen, reichte Petitionen ein und hielt immer wieder Vorträge. Im Jahr 2017 verklagte er die Bundesrepublik. Das Kölner Verwaltungsgericht wies seine Klage ab und folgte dabei der Argumentation der Regierung: Betroffene seien von den Nazis nicht »angefeindet« worden, und die Zwangsgermanisierung sei die Folge »einer positiven Bewertung der rassischen Merkmale« gewesen.
Im Dezember 2022 gelang dem Freiburger Verein jedoch ein kleiner Erfolg. Sie schickte an den baden-württembergischen Petitionsausschuss ein Ersuchen, dem der Stuttgarter Landtag zustimmte: Nach Hamburg und Nordrhein-Westfalen, die laut Christoph Schwarz bisher als einzige Bundesländer Opfern eine Entschädigung entrichtet haben, erhalten Betroffene nun auch in Baden-Württemberg eine Zahlung. Insgesamt 50 000 Euro werden zur Verfügung gestellt, heißt es aus Stuttgart – 5000 Euro pro Schicksal.
Bislang wurden acht Personen entschädigt. Eine davon ist Hermann Lüdeking. »Das ist alles, was ich wollte. Mir war die Summe immer egal. Ich habe 20 Jahre lang darum gekämpft, als Opfer eines Verbrechens anerkannt zu werden«, sagt der heute 87-Jährige.
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