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News: Zwei Lesebrillen für Gene

Wer unter die Motorhaube seines Autos schaut, erwartet, dort nur einen Motor zu finden. Jedermann wäre wohl verwirrt, wenn er zwei oder mehr zu Gesicht bekäme. In der Tat waren Molekularbiologen recht überrascht, als sie im Enzymkomplex, mit dem Zellen ihre Gene ablesen, zwei 'Maschinen' entdeckten. Offensichtlich benutzt die Taufliege Drosophila melanogaster zwei verschiedene Schlüsselproteine für die Genexpression. Ein Ergebnis, das im Widerspruch zu der bisherigen Auffassung steht.
Wenn eine Zelle ein Protein benötigt, muss sie das entsprechende Gen dafür ablesen oder "exprimieren". Sie schreibt während des Transkription genannten Vorgangs die DNA-Sequenz zunächst in eine RNA-Sequenz um. Von entscheidender Bedeutung ist dabei ein Protein namens TBP. Der Name steht für TATA-Binde-Protein, weil es an das "TATA"-Sequenzstück der DNA vor dem Gen bindet, den so genannten Promotor. Zu dem TBP als Schlüsselprotein kommen noch weitere Faktoren, die im Zusammenspiel erst den funktionsfähigen Komplex bilden. Je nachdem, welches Gen die Zelle exprimieren will, tauscht sie die Faktoren gegeneinander aus. Denn bestimmte Gene brauchen eine eigene Zusammensetzung des Komplexes, die nicht immer gleich ist. Nur TBP ist bei den allermeisten Genen immer dabei.

So dachten bisher die Molekularbiologen. Nun haben aber Wissenschaftler um Robert Tjian am Howard Hughes Medical Institute in der Taufliege Drosophila melanogaster das erste Gen gefunden, bei dem das Protein TRF1 die Stelle des TBP einnehmen kann, um die DNA umzuschreiben. Die Entdeckung von TRF1 "war faszinierend, weil wir während der letzten vielleicht fünfzehn Jahre dachten, dass der basale Transkriptionsapparat im Wesentlichen unveränderlich sei", sagt Tjian.

Im Grunde wussten die Wissenschaftler schon länger, dass TRF1 auch an der Transkription mitarbeitet, doch seine genaue Funktion war ihnen noch unklar. "Aber dann zeigte die Forschung, dass dieses Molekül nicht gleichmäßig in jeder Zelle verteilt war", so Tjian. "Vor allem Zellen des Zentralnervensystems exprimierten es in größeren Mengen."

Um von den 12000 bekannten Drosophila-Genen genau das Gen zu bekommen, das auf TRF1 anspricht, haben die Biologen mit farblich markierten Antikörpern danach geangelt. Wenn sie Antikörper und TRF1 zu Riesenchromosomen aus Speicheldrüsen gaben, erkannte TRF1 "sein" Gen, der Antikörper wiederum fand das Protein, und dank der Farbmarkierung liessen sich die gesuchten DNA-Sequenzen identifizieren. Im weiteren Vorgehen konnten die Forscher dann die DNA-Sequenz isolieren und ermitteln, dass mit Hilfe von TRF1 das Gen tudor transkribiert wird.

Bemerkenswerter war für sie aber noch ein weiteres Ergebnis: Das tudor-Gen kann nicht nur auf TRF1 antworten, sondern auch auf TBP, weil es für beide Erkennungsfaktoren jeweis die Promotoren bereit hält (Science, 5.  Mai 2000). Die Wissenschaftler hatten bisher gedacht, dass nur ein "entweder-oder" möglich ist, aber dass sowohl für TBP als auch für TRF1 Bindesequenzen vor dem Gen liegen, "ist das vielleicht überraschendste Teilergebnis dieser Arbeit", kommentiert Tjian.

Er sieht in diesen Tandem-Promotoren eine neue Möglichkeit, die Transkriptions-Kontrolle zu erforschen. Allerdings betont er, dass es "im Moment völlige Spekulation ist, wenn man versucht, die Tandem-Promotoren zu deuten." Andererseits erklärt dieses Konzept vielleicht, wie ein Organismus mit wenigen Genen dennoch recht vielgestaltig werden kann. Beispielsweise ist die Taufliege deutlich komplexer als der Fadenwurm Caenorhabditis elegans, obwohl dieser etwa ein Drittel mehr Gene besitzt. Möglicherweise nutzt Drosophila ein und dasselbe Gen je nach Zelltyp anders mit Hilfe verfeinerter Kontrollverfahren. "Wir erkennen jetzt besser denn je, dass der Transkriptionsapparat spezifischer auf Organismen und Gewebe ausgerichtet ist, als wir uns bisher vorstellten", so Tjian.

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