Gravitationswellen: Zweierlei Wellen in der Raumzeit
Die Welt der Physik erlebt derzeit ein kollektives Déjà-vu. Wie ein Lauffeuer hat sich das Gerücht verbreitet, Gravitationswellen seien entdeckt worden – die Schwingungen der Raumzeit selbst. Vor weniger als einem Jahr spielte sich das gleiche Schauspiel schon einmal ab. Damals allerdings erwies sich die Entdeckungsmeldung des BICEP2 (Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization 2)-Experiments im Nachhinein als falsch. Wir werden früher oder später herausfinden, ob von der heute beim Laserinterferometer-Gravitationswellenobservatorium LIGO verkündeten, seit Wochen gerüchteumschwirrten Entdeckung wirklich mehr zu halten ist. In diesem Fall reden wir jedoch über eine völlig andere Art von Gravitationswellen als bei BICEP2, die auch ganz andere Auswirkungen auf unser Verständnis des Universums haben würde.
LIGO sucht nach energiereichen Gravitationswellen, die bei den brutalsten Ereignissen im Kosmos entstehen – zum Beispiel bei Kollisionen zwischen Schwarzen Löchern oder extrem dichten Neutronensternen. "Sie suchen nach den extremsten vorstellbaren Ereignissen in unserer Milchstraße und den benachbarten Galaxien", sagt Lawrence Krauss, Physiker an der Arizona State University, der nicht an den Versuchen beteiligt ist, aber schon seine Begeisterung über die Gerüchte auf Twitter kundtat. "Die beteiligten Massen sind so groß und auf so kleine Raumregionen beschränkt, dass der größte Teil der Energie in Form von Gravitationswellen emittiert würde."
Die Existenz der Gravitationswellen geht aus den Gleichungen von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie hervor, die Gravitation als Folge der gekrümmten Raumzeit beschreibt. Wann immer ein Objekt mit Masse sich durch die Raumzeit bewegt, verzerrt es die Geometrie des umgebenden Universums und zwingt andere Massen in der Nähe auf gekrümmte Bahnen. "Jedes Mal, wenn ich meine Arme bewege, verändere ich die Krümmung der Raumzeit um mich herum, und das verursacht eine kleine Welle", sagt Krauss. "Es ist nur so, dass diese Gravitationswellen winzig sind." Und damit nicht wahrnehmbar.
LIGO verwendet Detektoren in den US-Bundesstaaten Louisiana und Washington, um nach kleinen Differenzen in den Laufzeiten von Laserlicht auf zwei rechtwinklig zueinander stehenden Strecken zu suchen. Die Strecken sind gleich lang – doch wenn eine Gravitationswelle hindurchläuft, streckt sie die Raumzeit in eine Richtung und staucht sie in die andere. So verursacht sie winzige Unterschiede in den Laufzeiten der Lichtwellen. "Die beteiligten Teams müssen Unterschiede messen, die weniger als dem Hundertstel eines Protonendurchmessers entsprechen", erklärt Krauss. "Es ist einfach bemerkenswert, dass sie das schaffen."
Man vermutet, dass die Gravitationswellen, nach denen LIGO sucht, in unserem modernen Universum um uns herum von Zeit zu Zeit auftauchen. BICEP2 hingegen stürzt sich auf primordiale Gravitationswellen, die im sehr frühen Universum entstanden sind. Vom Südpol aus beobachtet BICEP2 die kosmische Hintergrundstrahlung, die nur etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall entstand, und sucht nicht direkt nach den Wellen selbst, sondern nach einer Spur, die sie in der Strahlung hinterlassen haben könnten. Das Teleskop durchforstet die Hintergrundstrahlung nach Einprägungen durch Gravitationswellen. Sie entstanden möglicherweise, als das Universum sich nach seiner Entstehung schlagartig aufblähte, wie es die Inflationstheorie beschreibt. Demnach hätten sich winzige Quantenfluktuationen in der Raumzeit zusammen mit dem Universum ausgedehnt und dabei Gravitationswellen erzeugt. Diese hätten der Hintergrundstrahlung eine Polarisation aufgezwungen, also eine spezielle Orientierung ihrer Schwingungsrichtung. Im April 2015 verkündete das Team mit großem Tamtam, es habe eben jene Polarisation entdeckt. Aber später folgende Studien enthüllten, dass das, was die Forscher gesehen hatten, vermutlich eine Verunreinigung durch nahen Staub in unserer Galaxie war.
BICEP2 und andere ähnliche Experimente suchen immer noch nach Hinweisen auf primordiale Gravitationswellen. Die Experimente wären gegenüber modernen Wellen, wie LIGO sie sucht, unempfindlich. Moderne Wellen wiederum würden die kosmische Hintergrundstrahlung nicht beeinflussen. Die alten Gravitationswellen sind für LIGO vermutlich sogar unsichtbar, da ihr Signal in dem Wellenlängenbereich, den LIGO betrachtet "viel kleiner ist als das gegenwärtige Detektorrauschen", wie die Astrophysikerin Gabriela González sagt, die Sprecherin der LIGO-Kollaboration. "Diese Quelle wird man also wohl kaum messen."
Sowohl die Entdeckung von primordialen als auch von gegenwärtigen Gravitationswellen wäre ein riesiger Durchbruch, das aber aus verschiedenen Gründen. "Die Gravitationswellen, die BICEP2 nachweisen sollte, wären ein Signal aus dem sehr frühen Universum", sagt Marc Kamionkowski, ein Astrophysiker an der Johns Hopkins University, der 1997 vorhersagte, wie die Spuren primordialer Gravitationswellen gefunden werden könnten. Die Entdeckung hätte einen Nachweis für die Inflationstheorie geliefert und Details darüber enthüllt, wie die ersten Momente der kosmischen Geschichte abliefen.
Die Gravitationswellen von LIGO, so sie denn echt sind, würden erkunden, wie die Schwerkraft von extremen Objekten wie Neutronensternen und Schwarzen Löchern funktioniert, bei denen die aktuellen physikalischen Theorien versagen. Und während BICEP2 nach den Spuren der Gravitationswellen in der Hintergrundstrahlung sucht, versucht LIGO die Wellen direkt nachzuweisen. Das wäre eine Premiere. "Es ist 100 Jahre und zwei Monate her, seit Einstein seine allgemeine Relativitätstheorie vorgeschlagen hat", sagt Kamionkowski. "Es wäre äußerst bemerkenswert, wenn sich die Gravitationswellen nach 100 Jahren der Suche nun bestätigen würden. Für mich ist das eine ziemlich große Sache."
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