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Wissenschaftliches Publizieren: Zweifel an Lancet-Publikation zu plötzlichem Kindstod

Jonathan Gornall, freier Journalist in London, äußert im British Medical Journal [1] erhebliche Zweifel an der Methodik und den Schlussfolgerungen einer 2005 in The Lancet [2] publizierten Studie zu mehrfach in Familien auftretendem plötzlichem Kindstod. Die Wissenschaftler hatten damals berichtet, dass ein zweiter oder sogar dritter Todesfall meist auf natürliche Ursachen zurückgeht. Die Studie diente in mehreren Prozessen gegen Eltern, die der Kindstötung verdächtigt wurden, als entlastendes Argument in der Urteilsfindung.

Die Daten der fraglichen Studie stammen aus dem "Care of Next Infant Programme" (CONI), das Eltern unterstützt, die ein Kind durch den plötzlichen Kindstod verloren haben. Gornall weist nun unter anderem darauf hin, dass mehrere Todesfälle nachträglich den Status "natürlich" bekamen, obwohl sie bei einem ersten Zwischenbericht im Jahr 1998 noch als "nicht natürlich" galten. In diesem ersten Fazit kamen die Forscher noch zu dem Schluss, dass vierzig Prozent der Todesfälle als unnatürlich einzustufen sind. In der Publikation von 2005 hingegen führten Robert Carpenter und seine Kollegen 87 Prozent auf natürliche Ursachen zurück.

So erweisen sich beispielsweise 13 Fälle als problematisch, in denen die Todesursache nicht zweifelsfrei bestimmt werden konnte oder die Eltern sich geweigert hatten, auf Fragen zu antworten. Die Autoren bekannten hier selbst, sie könnten nicht ausschließen, dass es sich bei manchen davon doch um unnatürliche Todesfälle handelte. Auch wurden mehrere Fälle als natürlich eingestuft, bei denen Ersticken zum Tod beigetragen haben könnte.

"Wir haben deutlich gemacht, dass wir mit 'unnatürlich' Kindstötung meinen. Alles andere haben wir als 'natürlich' eingestuft", so Carpenter. Gornall kritisiert, dass damit eine Kategorie für unklare Fälle fehlte, die stattdessen einfach und womöglich unberechtigt in der Kategorie 'natürlich' landeten und so die Statistik verfälschten.

Die Lancet-Publikation erschien zu einer Zeit, als in Großbritannien die Wogen rund um das Thema plötzlicher Kindstod hochschlugen. Ein Gutachten des renommierten Kinderarztes Roy Meadow hatte dazu geführt, dass die Rechtsanwältin Sally Clark des Mordes an ihren beiden Söhnen schuldig gesprochen wurde. Der Experte hatte sich damals darauf berufen, dass ein zweiter Fall von plötzlichem Kindstod in einer Familie sehr unwahrscheinlich sei.

Später jedoch fanden Wissenschaftler Spuren einer Bakterien-Infektion bei dem zweiten gestorbenen Kind, und das Urteil wurde aufgehoben. Meadow wurde wegen schwerem fachlichen Fehlverhalten vom General Medical Council ausgeschlossen, wogegen er aber erfolgreich Widerspruch einlegte. In zwei weiteren Berufungsverfahren wurden unter Bezugnahme auf die Lancet-Publikation frühere Schuldsprüche aufgehoben. (af)

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