Antimikrobielle Peptide: Zweischneidiges Schwert gegen Bakterien
Selbst simple Infektionskrankheiten könnten die Menschheit bald mehr denn je bedrohen, denn immer häufiger treten Bakterien auf, die resistent gegenüber Antibiotika sind. Anfang des Jahres beispielsweise konnten Ärzte zwölf Tuberkulosepatienten in Indien nicht mehr helfen, weil die Erreger, mit denen sie infiziert waren, auf kein einziges der verfügbaren Antibiotika ansprachen.
Immer lauter wird daher der Ruf nach wirksamen Antibiotika. Doch der Markt hat wenig Neues zu bieten: Seit 2003 gab es nur sechs Neuzulassungen, und die meisten davon waren nicht einmal wirkliche Innovationen, sondern eher Abwandlungen altbekannter Wirkstoffe. "Wir haben hier einen massiven Engpass", sagt Julia Bandow, Juniorprofessorin an der Ruhr-Universität in Bochum. "Das Problem wurde lange Zeit verkannt, und zudem haben sich viele Pharmafirmen aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen."
Jetzt wollen Forscher wie Bandow das Ruder noch einmal herumreißen – unter anderem mit so genannten antimikrobiellen Peptiden. Die kurzen Eiweißmoleküle werden von allen Lebewesen, ob Pflanze, Floh oder Mensch, produziert. Entsprechend riesig ist das Arsenal an AMP, das die Natur gegen die verschiedensten Krankheitserreger bereithält. Mehr als 1200 sind bereits entdeckt worden. Weltweit fahnden Forschergruppen in diesem Pool nach Vorbildern für neue Antibiotika.
Waffe mit Haken
Doch die Angelegenheit könnte einen gewaltigen Haken haben. Davon sind zumindest Michelle Habets und Michael Brockhurst von der University of Liverpool überzeugt. Eine breite medizinische Anwendung der AMP könnte "langfristig katastrophale Auswirkungen auf die Fähigkeit des Menschen haben, selbst Infektionen zu kontrollieren" [1]. Die viel versprechende Waffe könnte sich gegen uns selbst wenden.
Wie kommen die britischen Forscher zu dieser Einschätzung? Sie hatten zunächst im Labor Bakterien der Art Staphylococcus aureus so lange mit dem antimikrobiellen Peptid Pexiganan traktiert, bis sogar hohe Dosen keine Wirkung mehr zeigten – anders gesagt: Die Forscher hatten Bakterien gezüchtet, die resistent waren gegen den synthetischen Eiweißschnipsel, der einem AMP eines Froschs nachgebildet ist.
Das Entscheidende zeigte sich bei einem Versuch im Anschluss: Zwei der insgesamt fünf widerstandsfähigen Klone waren, wie sich herausstellte, auch gegenüber einem AMP resistent, das die angeborene Immunabwehr des Menschen einsetzt, dem "Humanen Neutrophilen Peptid 1", kurz HNP-1.
Eine solche Kreuzresistenz könnte folgenreich sein, weil sie eine eigene Waffe des menschlichen Immunsystems unterläuft, schlussfolgerten Habets und Brockhurst. Der breite Einsatz von AMP-Antibiotika würde daher womöglich eher gefährden als nützen, warnen die Wissenschaftler.
Lange gut gegangen
Robert Hancock, Direktor am kanadischen Centre for Microbial Diseases and Immunity Research an der University of British Columbia in Vancouver, teilt die Bedenken der britischen Forscher allerdings nicht: "Im Wesentlichen stimme ich nicht mit ihnen überein", schreibt Hancock auf Anfrage.
So wirken die Peptide
Alle Lebewesen auf der Welt verteidigen sich mit antimikrobiellen Peptiden (AMP) gegen Gefahren von außen. Bisher sind mehr als 1200 verschiedene natürliche AMP beschrieben worden, hinzu kommen zahlreiche synthetische Peptide. Alle fallen in ihrer Zusammensetzung und Struktur sehr unterschiedlich aus. Generell sind AMP aus 12 bis 50 hauptsächlich basischen Aminosäuren aufgebaut und daher leicht positiv geladen. Diese Ladung, gepaart mit zahlreichen hydrophoben Abschnitten, ermöglicht es ihnen, sich an die stets negativ geladenen Zellmembranen von Bakterien anzulagern. Hat sich hier eine größere Menge AMP "eingegraben", können sie sich zusammentun, Poren bilden und Löcher in die Bakterienhülle reißen.
Bereits vor knapp zehn Jahren hatte ein französisch-kanadisches Autorenduo Kritik an der Idee einer breiten AMP-Anwendung geäußert [2]. In einer Erwiderung darauf fasste Hancock schon damals einige Punkte zusammen, die gegen eine Gefährdung durch die AMP sprechen [3]: So seien Europäer beispielsweise seit vielen Jahrzehnten mit dem aus Milchsäurebakterien gewonnen AMP Nisin in Kontakt gekommen. Es wird zur Konservierung von Käse eingesetzt. Eine Beeinträchtigung der Abwehrkraft sei jedoch bisher nicht beobachtet worden.
Einige Bakterien würden zwar über gewisse AMP-Resistenzen verfügen, aber wegen des breiten Wirkspektrums der verschiedenen AMP sei es eher unwahrscheinlich, dass die medikamentöse Anwendung ausreiche, um massiv Resistenzen gegen körpereigene Abwehrmoleküle zu fördern. Körpereigene AMP wirkten zudem immer als Cocktail verschiedener Wirkstoffe und außerdem lokal, etwa in den Schleimhautfurchen des Darms oder in bestimmten Immunzellen. Hier setze sie der Körper in sehr hohen Konzentrationen von bis zu 25 Milligramm je Milliliter ein, die jede Resistenz überwinden könnten.
Natürliche Auslese
Um Nutzen und Risiken abwägen zu können, sei es wichtig zu wissen, wie es überhaupt zu den Resistenzen kommt, meint Susanne Gebhard, Mikrobiologin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Vielfach herrscht der Gedanke vor: Immer wenn Menschen ein neues Antibiotikum einsetzen, erfinden die Bakterien etwas Neues dagegen. Das ist so nicht richtig." Dass die Bakterien wie jetzt im Liverpooler Labor eine Resistenz gegenüber dem Pexiganan ausbilden, sei keine Überraschung. Schließlich seien sie den AMP nicht zum ersten Mal begegnet, sondern bei der Besiedelung verschiedener Lebensräume schon viele, viele Male zuvor.
"Bakterien und Pilze produzieren selbst seit jeher antimikrobielle Peptide, etwa um sich nahe Verwandte vom Hals zu halten." Entsprechend verfügten Bakterien auch über molekulare Werkzeuge, mit denen sie die AMP unschädlich machen können. Sind dann keine AMP im Lebensumfeld einer Bakterienkolonie vorhanden, haben die Vertreter, die die (zusätzliche) genetische Information zur Abwehr der AMP mit sich tragen, keinen Überlebensvorteil.
Werden wie jetzt im Experiment Staphylokokken mit dem AMP Pexiganan konfrontiert, überleben die Bakterienzellen, die den passenden genetischen "Rucksack" für die Situation mit sich tragen, und wachsen schnell heran. "Da genügt es, wenn es anfangs ein bis zwei solcher Zellen unter Milliarden anderer Artgenossen gibt", sagt Susanne Gebhard. "Wir produzieren nicht die Resistenzen, wir selektionieren die Bakterien, die diese Resistenzen bereits mitbringen." Das wäre im Fall eines therapeutisch angewendeten AMP nicht anders als bei der Verabreichung von Penizillin.
Strukturelles Problem
Gebhards Team beschäftigt sich mit den Mechanismen, die Bakterien widerstandsfähig gegenüber AMP machen. Dazu zählen etwa Transportermoleküle, mit denen die resistenten Bakterien die "angreifenden" Peptide von der eigenen Zellwand wegschaffen können. Dabei kann ein und dasselbe Entgiftungssystem sehr verschiedene Moleküle erkennen und beseitigen. "Woran der Transporter erkennt, was er wegschaffen soll, versuchen wir gerade herauszubekommen", sagt die Mikrobiologin.
"Bakterien werden auf alles, was wir ihnen entgegensetzen, immer die passende Antwort finden."Julia Bandow
Dass in den Experimenten der Briten zwei Bakterienkolonien gegenüber dem Pexiganan und dem HNP-1 resistent wurden, obwohl diese beiden AMP völlig anders aufgebaut sind, wundert Gebhard daher nicht. Auf keinen Fall könne man anhand der Molekülstruktur darauf schließen, dieses oder jenes AMP aus der Tierwelt eigne sich für die therapeutische Anwendung beim Menschen und berge die Gefahr der Kreuzresistenz nicht, nur weil es sich deutlich von menschlichen AMP unterscheide. Vorherzusagen, ob und welche Kreuzresistenzen auftreten, sei nahezu unmöglich.
Eines sollte auf jeden Fall vermieden werden: die eigenen AMP des Menschen zur Therapie einzusetzen. "Eine solche Nutzung könnte große Gefahren bergen", meint auch Julia Bandow aus Bochum. Zwischen den körpereigenen AMP und den Bakterien, die den Menschen bevölkerten, habe sich ein Gleichgewicht eingespielt, erklärt sie. "Eine Therapie mit AMP des Menschen könnte dieses Gleichgewicht stören und eigene AMP wirkungslos machen."
Beim Design therapeutischer AMP bemühen sich die Bochumer Forscher daher um eine möglichst große Unähnlichkeit zu natürlichen AMP, unter anderem durch chemische Veränderungen. Ein weiterer Effekt dieser "Verfremdung": Die Peptide werden stabiler und sind im Körper nicht mehr so schnell abbaubar.
Hürden auf dem Weg zum Einsatz
Sind die AMP unverändert, können sie rasch durch Enzyme in ihre Einzelteile zerlegt werden. "Als Medikament oral eingenommen, wären AMP wirkungslos, weil ein Teil bei der Magen-Darm-Passage abgebaut wird", sagt Jochen Wiesner vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Gießen.
Die Moleküle, die es schaffen, stehen vor einer weiteren Hürde: "Die kleinen Eiweißmoleküle sind wesentlich größer als herkömmliche Arzneistoffe und gelangen deshalb nur schlecht vom Darm ins Blut", sagt Wiesner. Damit sich überhaupt eine ausreichend hohe Konzentration eines AMP-Antibiotikums im Körper einstellt, müssten die kurzen Eiweißmoleküle eigentlich gespritzt werden. Das hingegen berge die Gefahr einer Immunreaktion gegen das Molekül. "Wegen dieser Probleme geht man bisher davon aus, dass sich AMP vor allem für lokale Anwendungen auf der Haut oder den Schleimhäuten eignen", sagt der Gießener Biologe.
Auch für das jetzt im Experiment verwendete Pexiganan war in den USA bereits im Jahr 1999 eine Zulassung zur lokalen Behandlung von Hautgeschwüren an den Beinen von Diabetikern beantragt worden. Die amerikanische Behörde FDA verweigerte eine Zulassung, weil das Pexiganan der Therapie mit klassischen Antibiotika nicht überlegen war. Aktuell hat sich eine andere Firma der Substanz angenommen und plant neue klinische Studien.
Neue Antibiotika zu entwickeln, ist dringend erforderlich – aber es wird dauern. "Diejenigen, die einfach zu entdecken waren, sind entdeckt. Nun wird es schwierig", sagt Julia Bandow. Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass man Medikamente entwickeln könne, die einen Krankheitserreger dauerhaft eindämmen: "Bakterien werden auf alles, was wir ihnen entgegensetzen, immer die passende Antwort finden. Auch gegen jedes Peptid wird es Resistenzen geben." Höchstens verlangsamen könne man diesen Prozess, meint die Bochumer Mikrobiologin: indem man Antibiotika ausschließlich dann einsetzt, wenn es wirklich um Leben oder Tod gehe.
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