Superpropulsion: Zwergzikaden oszillieren zum Urinieren
Um beim Urinieren Körperenergie zu sparen, nutzen Zwergzikaden einen erstaunlichen Mechanismus: Sie schießen ihren Urin aus ihrem Hinterteil, indem sie die Flüssigkeitstropfen in Schwingung versetzen und dann fortkatapultieren. Dabei nutzen die Insekten aus der Familie der Cicadellidae, wie Forscher um Saad Bhamla vom Georgia Institute of Technology in Atlanta im Fachmagazin »Nature Communications« beschreiben, einen physikalischen Prozess namens Superpropulsion. Der Vorgang ließ sich damit erstmals an einem Lebewesen nachweisen.
Für ihre Studie beobachteten die Wissenschaftler urinierende Zikaden der Arten Homalodisca vitripennis, Graphocephala atropunctata und Graphocephala coccina in Zeitlupenvideos. Aus den Aufnahmen folgerten sie, was beim Urinieren passiert: Das Hinterteil der Zikaden, aus dem sie ihren Urin fortschleudern, ist so ähnlich aufgebaut wie ein Katapult. Als die Forscher jedoch die Geschwindigkeit des Gesäßkatapults und der fortgeschleuderten Urintropfen maßen, stellten sie fest, dass die Tropfen deutlich schneller flogen, als sich der Schleudermechanismus am Hinterteil bewegte. Für die Beschleunigung kann also nicht nur die Geschwindigkeit des Katapults allein entscheidend sein, vielmehr muss ein weiterer Vorgang zusätzliche Energie auf die Pinkelprojektile übertragen.
Da sich die Tropfen beim Verschießen leicht verformten, prüfte die Forschergruppe, ob die Zwergzikaden per Superpropulsion ihren Urin schneller machen. Die Ingenieure um Bhamla bauten den Katapultmechanismus nach und experimentierten mit einem Lautsprecher, auf dem sie per Vibration Wassertropfen hüpfen ließen. Bei den Zwergzikaden funktioniere der Schleudervorgang, weil sie einen elastischen Stoff wie einen Wassertropfen verschießen, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Dazu schwingen die Insekten ihr Hinterteil und stimmen ihre Vibrationsfrequenz mit der Eigenfrequenz der Urintropfen ab, was die Ausscheidung mit genügend Bewegungsenergie versorgt, um sie fortzuschießen. Das Katapult am Hinterteil treibt den Tropfen zusätzlich an.
Urin tröpfchenweise zu verschießen, spart Energie
Warum die Tiere einen derart komplexen Vorgang nutzen, hängt womöglich mit ihrem Energiehaushalt zusammen. Laut den Forschern ist diese Art des Urinierens energiesparender, als im Strahl Wasser zu lassen. Zudem können die Zikaden ihren Urin auf diese Weise weit von sich werfen. Das soll möglicherweise ihre Fressfeinde, die sich auf der Suche nach Beute am Geruch der Zikadenausscheidungen orientieren, auf eine falsche Fährte führen.
Die Zwergzikaden verschießen permanent Urintropfen, weil sie vergleichsweise viel Nahrung zu sich nehmen und täglich eine Flüssigkeitsmenge ausscheiden, die ungefähr 300-mal ihrem Körpergewicht entspricht. Die millimeterkleinen Insekten ernähren sich von Pflanzensäften. Sie zapfen das Wasserleitungssystem der Gewächse an. Doch die aufgesaugte Flüssigkeit besteht zu 95 Prozent aus Wasser und ist nährstoffarm. Deshalb benötigen die Tiere viel von dem Pflanzensaft und haben einen entsprechend hohen Durchlauf.
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